Geht der Respekt verloren?
Reklamieren und Abwinken gehören zum Alltag in der Fußball-Bundesliga. Wie ein Schiedsrichter aus dem Allgäu damit umgeht und warum eine einheitliche Linie so schwierig ist
Augsburg So unterschiedlich können Sichtweisen sein. Vor gut einer Woche hatte Deniz Aytekin ein Abwinken gereicht, um Dortmunds Mahmoud Dahoud im Spiel bei Borussia Mönchengladbach eine Gelb-Rote Karte unter die Nase zu halten. Aytekin ist Schiedsrichter, weshalb eine konsequente Regelauslegung von ihm erwartet wird. Erst recht in der Bundesliga, Deutschlands höchster Spielklasse. Aber reicht ein Abwinken, das in erster Linie keine Übereinstimmung bei der Entscheidung ausdrückt, wirklich für einen Platzverweis? Oder drückt es nicht einfach nur eine kurzzeitige Emotion aus, die für den Fußballsport an sich nicht unerheblich ist?
Tobias Welz hat ein Abwinken nicht gereicht. Er entschied sich am Samstag gegen eine Hinausstellung, dabei hatte Augsburgs Andi Zeqiri mehrfach provokant abgewunken. Ihm war bei der 1:2-Niederlage in Dortmund das vermeintliche 2:2 aberkannt worden, da er im Vorfeld seinem Dortmunder Gegenspieler den Arm ins Gesicht geschlagen hatte. Welz entschied auf Foul und kein Tor. Zeqiri reagierte mit Unverständnis. Er gestikulierte und winkte mehrfach verärgert ab. Eine Hinausstellung hatte das nicht zur Folge. Wohl auch, weil Welz zu einem Großteil der Szene dem Augsburger den Rücken zugedreht hatte und das Abwinken wohl gar nicht in all seiner Gänze mitbekommen hatte.
Für Alex Feuerherdt von Collinas Erben, einer Internetgemeinschaft, die sich vermehrt der Thematik Schiedsrichter und ihre Entscheidungen widmet, wäre ein Platzverweis dringend nötig gewesen. Auf Twitter schrieb er: „Hat gerade Gelb bekommen und winkt dann sowohl in Richtung Assistent als auch in Richtung Schiedsrichter deutlich und gut sichtbar ab. Ich hätte GelbRot hier eine sehr gute Entscheidung gefunden.“So unterschiedlich sind also Sichtweisen.
Selbst bei Schiedsrichtern. Was Aytekin als Grund für einen Platzverweis sah, betrachtete Welz eine Woche später nicht wirklich als Vergehen. Von Fingerspitzengefühl ist hier oft die Rede. Aber wie viel Fingerspitzengefühl kann ein Schiedsrichter haben? Sein Wirken ist von klaren Regeln bestimmt. Auf die müssen sich die Spieler verlassen können. Was heute erlaubt ist, sollte morgen nicht verboten sein. „Wir uns sehr bewusst, wie wichtig eine einheitliche Linie ist und dass das die Vereine auch erwarten können“, sagt Robert Hartmann. Allerdings seien die 26 Schiedsrichter im Profibereich sehr unterschiedlich, auch die Tagesform variiere. Deshalb: „In der Theorie gibt es eine Einheitlichkeit, auf dem Platz werden wir sie aber nicht zu 100 Prozent erreichen können“, so Hartmann. Weil eben der eine Schiedsrichter seinen Ermessensspielraum, dieses Wort gefällt Hartmann besser als Fingerspitzengefühl, anders auslege als der andere. Weil der eine Schiedsrichter sich für eine andere Spielführung entscheide als sein Kollege. „Wir müssen aber den Graubereich minimieren“, sagt Hartmann. Und so eine Berechenbarkeit herstellen, auf die sich die Spieler verlassen können.
Aytekin ging es bei seiner Entscheidung gegen Dortmunds Dahoud auch um Respekt. Um ein respektvolles Miteinander auf dem Platz. Den fordern die Schiedsrichter zu Recht ein. Aytekin hatte das Gefühl, dass er nicht ausreichend geachtet wurde.
Dass das Abwinken Dahouds eine abwertende Geste war. Wie aber ist es überhaupt um den Respekt auf dem Platz bestellt?
Hartmann war am Samstagabend in Leipzig im Einsatz. Er leitete das RB-Heimspiel, das mit einem 3:0-Erfolg gegen Bochum endete. Mit einer Rudelbildung musste er sich an diesem Abend nicht auseisind nandersetzen. Ganz im Gegenteil. „Wir hatten einen sehr respektvollen Umgang miteinander“, sagt Hartmann. Ganz so, wie es sein soll. Immer ist das nicht so, dafür bietet der Fußball zu viele Emotionen, dafür sind manche Partien zu eng. Der Schiedsrichter aus dem Allgäu aber sagt: „Respekt sollte nicht vom Spielstand abhängig sein.“Und: „Wer sich nicht respektlos verhält, hat auch nichts zu befürchten.“
Der 42-Jährige ist der Überzeugung, dass der Respekt in dieser Saison nicht nachgelassen habe. Was er aber feststellt: Durch die Rückkehr der Fans ändert sich auch das Verhalten auf dem Platz. Durch Gestik könnten die Spieler nun wieder versuchen, die Zuschauer und damit die Stimmung zu beeinflussen. Für den Schiedsrichter stellt sich die Frage: Wo ist die Grenze? Wie viel EmotioFür nalität ist erlaubt? „Wer in einem normalen Ton mit mir spricht, kann das dann auch mal intensiver und länger tun, ohne eine Verwarnung zu bekommen“, sagt Hartmann. Ihm ist wichtig: „Die Bundesliga hat eine große Strahlkraft, natürlich auch in den Amateurbereich. Wir müssen uns alle dieser Verantwortung bewusst sein.“Also respektvoll miteinander umgehen.
So wie in anderen Sportarten. Im Eishockey, Handball und Basketball wird weniger diskutiert. Womöglich haben die Schiedsrichter im Fußball in den vergangenen Jahren zu viel durchgehen lassen, wobei sich freilich auch die Spielabläufe in den einzelnen Sportarten unterscheiden. „Grundsätzlich wünschen wir uns mehr Ruhe“, sagt Hartmann, was er mit seiner Spielleitung zu erreichen versucht.