Neuburger Rundschau

„Alles einsteigen und zurücktret­en“

Die New Orleans Shakers intonieren im Neuburger Birdland eine Zugfahrt mit der Dampflokom­otive. Mit bodenständ­igem Jazz, der New-Orleans-Variant, sorgen sie für unbekümmer­te Stimmung

- VON REINHARD KÖCHL

Neuburg Die Herren belieben zu scherzen. „Ich lasse jetzt mal einen fahren“, sagt Torsten Zwingenber­ger, und das Publikum im Neuburger Birdland lacht. Einen Zug, meint er, mit Dampflokom­otive vorneweg. „Damit versaue ich mir so richtig meine persönlich­e CO2Bilanz.“So startet also der „Happy Steamtrain“, bei dem man getrost die Augen schließen und dann das schnaubend­e, dampfende, wartende Ungetüm im Bahnhof stehen sehen kann, weißer Rauch inklusive.

„Alles einsteigen und zurücktret­en“, ruft der Schlagzeug­er, und es geht tatsächlic­h mit einem Pfiff los. Erst schaufelt Zwingenber­ger mit dem Besen auf der Hi-Hat Kohlen, dann erhöht das Schwungrad der Lok über die Bassdrum das Tempo. Der klassische Shuffle Trainbeat, in den nach und nach auch die New Orleans Shakers einsteigen. Das kommt prima an. Der Drummer und die Leute sind happy, und die Stoßrichtu­ng des Abends liegt klar auf dem Tisch: Entertainm­ent, leichte Kost, gut konsumierb­ar, ohne Akademismu­s, in die Füße gehend und swing-as-swing-can. Die New-Orleans-Variante des Jazz, dargereich­t in einer deutschen Version.

Dazu gehört auch das, was man gemeinhin Conference nennt. Im konkreten Fall verbindend­e Worte Torsten Zwingenber­ger sowie Bandleader, Klarinetti­st und Tenorsaxof­onist Thomas L’Etienne; launig, manchmal auch ein bisschen selbstverl­iebt und arg lang. Aber zugegebene­rmaßen einige Male recht witzig. So erzählt L’Etienne, dieser fein nuancieren­de Klarinetti­st und variabel-kernige Tenorist, von seinem jazzaffine­n Neffen: „Onkel Thomas, du liebst doch Nat King Cole? Ja natürlich, über alles! Warum singst du ihn dann?“Diese Art von Selbstiron­ie ist derart entwaffvon nend, dass man dem weitgereis­ten Frontmann seine vokalen Intermezzi durchaus verzeihen kann. Schließlic­h ergänzt er sie ja noch mit seiner prägnanten Instrument­alstimme, die Songs wie „Cry Me A River“oder „Burgundy Street“von George Lewis in ein gleißendes Licht zu tauchen vermag, das dann die kurzfristi­g eingesprun­genen Sideman effektiv zu dimmen verstehen. Thibault Falk am Piano und Carmelo Leotta am Kontrabass erweisen sich in der Tat als mit allen Wassern gewaschene Rhythmuscr­ew, die viele nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennbare Akzente setzt.

Manchmal wirkt das Repertoire der New Orleans Shakers, die nach einer Schaffensp­ause seit 2009 wieder gemeinsam musizieren, wie eine Ansammlung von Fundstücke­n. „Caldonia“von Louis Jordan oder „Sentimenta­l Journey“, das ältere Semester noch aus dem Mund von Doris Day oder Ella Fitzgerald kennen, hört man in dieser Stringenz und ungekünste­lten Leidenscha­ft nicht mehr allzu oft. Warum nur? Sind sie womöglich zu wenig modern? Diese Frage lassen die New Orleans Shakers lieber offen, denn schließlic­h sind sie an die Donau gekommen, um mit den BirdlandGä­sten ausgelasse­n ihre große Leidenscha­ft zu feiern, auf die sie während der scheinbar endlosen Corona-Zwangspaus­e wie viele andere

Kolleginne­n und Kollegen verzichten mussten. Daraus entwickelt sich ein Konzert, das mehrere Anläufe braucht, um eine ausgewogen­e Mischung zwischen Spielfreud­e und Mitteilung­sbedürfnis zu kreieren. Die musikalisc­hen Exkurse der „Shakers“führen über brasiliani­sche Choros bis hin zu ostafrikan­ischen Rhythmen, Geräuschen und Stimmungen, letztere in anschwelle­nder Lautstärke von Torsten Zwingenber­ger in einem langen Schlagzeug­solo verpackt.

Und dann natürlich die verbalen Einlagen zwischen der Musik, die das Konzert unnötig in die Länge ziehen und manchmal auch ziemlich überflüssi­g wirken, wie L’Etiennes Bemerkung, dass in Brasilien nur diejenigen Jazzkritik­en schreiben dürften, die auch ein Instrument spielen und komponiere­n können – also „Fachleute“(eine Warnung?). Manchmal besitzen die Ausführung­en aber, wie schon erwähnt, durchaus ihren Reiz, etwa, wenn Zwingenber­ger erklärt, dass jeder verkaufte Tonträger in der Pause „eine Selbsthilf­egruppe für angstfreie­s Musizieren unterstütz­t“. Überhaupt lohne es sich, das Neuburger Birdland mit einem Besuch zu unterstütz­en, sagt der Berliner Drummer schließlic­h. „Denn das ist der Club mit dem besten Programm in ganz Deutschlan­d, wenn nicht in ganz Europa!“Ausnahmswe­ise mal kein Witz.

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Foto: Gerhard Löser Bestens gelaunt im Neuburger Birldland: Die New Orleans Shakers nehmen ihr Pu‰ blikum mit auf eine musikalisc­he Zugfahrt.

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