Auf Leben und Tod
Das Stadttheater Ingolstadt eröffnet die Spielzeit mit einer „Jedermann“-Adaption
Ingolstadt Jubel im Stadttheater Ingolstadt. Nach eineinhalb Jahren wird wieder im Großen Haus gespielt. Publikum und Ensemble scheinen gleichermaßen überwältigt von der ersten Premiere der Spielzeit „Jedermann (stirbt)“.
Schon der Titel lässt keine Zweifel aufkommen: Dieses Stück „reißt uns allen die Maske runter, samt dem Gesicht“– wie es an einer Stelle des Textes heißt. Vom toten Schöpfergott ist gleich am Anfang die Rede und, dass wir alle verloren sind. Beim bis dato erfolgreichen und schwerreichen Börsenspekulanten Jedermann wird gegen die drohende Finanzkrise angefeiert. Doch die Party ist eine behauptete, bestenfalls Schadenfreude kommt auf. In den hermetisch abgeriegelten Lustgarten, diese Sonderwelt voller „gänzlich kernloser Menschen“, dringt immer wieder das Leben ein – und der Tod.
Autor Ferdinand Schmalz hat sich, wie schon so einige vor ihm, Hugo von Hofmannsthals „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“vorgenommen und bietet „das alte Märchen in neuem Kleid“. Die Sprache, die er dafür findet, imitiert den mittelalterlichen Knittelvers, durchsetzt ihn mit sprachlichen Modernismen: hoher Ton, Fachsprache und Jargon munter gemischt. Schmalz legt die allegorischen Rollen
mutig zusammen, wie beim „armer nachbar gott“und bei der „buhlschaft tod“, und verdichtet so die Konstellationen und Konfrontationen noch einmal mehr als das Hofmannsthalsche Stück es schon tut.
Jan Gebauer muss das Kunststück fertigbringen, sowohl den Mammon als auch die guten Werke darzustellen, und schafft das, routinierter Komödiant, der er ist. Der dicke und der dünne Vetter (Marc Simon Delfs und Karolina Nägele) überzeugen als widerlich wimmerndes Krisengewinnler-Paar. Jedermanns Mutter (Ingrid Cannonier) und seine dazu erfundene Frau (Victoria Voss) bleiben dagegen, dramaturgisch gesehen, blass. Durchgängig im Einsatz, ein Teufel-Trio (Peter Rahmani, Fabio Salvoldelli und Sarah Schulze-Tenberge), das mal sekundiert, mal moderiert, mal kommentiert. Das Stück ist ein Kraftakt für das 100 Minuten lang fast durchgehend komplett präsente Ensemble, das bei stellenweise hohem Körpereinsatz die Spannung hält und bei alledem auch noch berückend singt. Von Anfang bis Ende herausragend agiert das unfreiwillige Paar Jedermann (Matthias Zajgier) und die Buhlschaft/Tod (Sarah Horak).
Regisseur Servé Hermans bringt das modernisierte Mysterienspiel in Ingolstadt auf die große, offene Bühne, auf der es nichts gibt, als 180 Plastikstühle vor alpiner Kulisse.
Die Kostüme (Katrin Busching) eher grau in grau, mal Zitat, mal Karikatur, wenig Effekte, kein Lichtzauber. Einmal senken sich Stäbe von der Decke, wie vertikale Pendel der gnadenlos ablaufenden Zeit, bilden später einen Wald, Labyrinth der letzten Lebensstunden Jedermanns.
Gegen Ende wird das Spiel dann eigen. Wir werden weder Zeugen der Verdammnis, noch der Erlösung, das mag zu Hofmannsthals Zeiten schon nicht mehr glaubhaft, wenn auch wünschenswert erschienen sein. Keine großen Worte, kein Engelschor, kein Beistand für die arme Seele, ein magerer Psalmwortwechsel und Jedermann schlurft ohne jedes Pathos ins Dunkel der Hinterbühne.
Frau Tod hat das letzte Wort, man sitzt und hört, was man schon weiß und immer wieder verdrängt, und kann nicht sagen, fühlt man sich jetzt gerichtet oder aufgerichtet. Und man geht in die Nacht.