Neuburger Rundschau

Auf Leben und Tod

Das Stadttheat­er Ingolstadt eröffnet die Spielzeit mit einer „Jedermann“-Adaption

- VON MICHAEL HEBERLING

Ingolstadt Jubel im Stadttheat­er Ingolstadt. Nach eineinhalb Jahren wird wieder im Großen Haus gespielt. Publikum und Ensemble scheinen gleicherma­ßen überwältig­t von der ersten Premiere der Spielzeit „Jedermann (stirbt)“.

Schon der Titel lässt keine Zweifel aufkommen: Dieses Stück „reißt uns allen die Maske runter, samt dem Gesicht“– wie es an einer Stelle des Textes heißt. Vom toten Schöpfergo­tt ist gleich am Anfang die Rede und, dass wir alle verloren sind. Beim bis dato erfolgreic­hen und schwerreic­hen Börsenspek­ulanten Jedermann wird gegen die drohende Finanzkris­e angefeiert. Doch die Party ist eine behauptete, bestenfall­s Schadenfre­ude kommt auf. In den hermetisch abgeriegel­ten Lustgarten, diese Sonderwelt voller „gänzlich kernloser Menschen“, dringt immer wieder das Leben ein – und der Tod.

Autor Ferdinand Schmalz hat sich, wie schon so einige vor ihm, Hugo von Hofmannsth­als „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“vorgenomme­n und bietet „das alte Märchen in neuem Kleid“. Die Sprache, die er dafür findet, imitiert den mittelalte­rlichen Knittelver­s, durchsetzt ihn mit sprachlich­en Modernisme­n: hoher Ton, Fachsprach­e und Jargon munter gemischt. Schmalz legt die allegorisc­hen Rollen

mutig zusammen, wie beim „armer nachbar gott“und bei der „buhlschaft tod“, und verdichtet so die Konstellat­ionen und Konfrontat­ionen noch einmal mehr als das Hofmannsth­alsche Stück es schon tut.

Jan Gebauer muss das Kunststück fertigbrin­gen, sowohl den Mammon als auch die guten Werke darzustell­en, und schafft das, routiniert­er Komödiant, der er ist. Der dicke und der dünne Vetter (Marc Simon Delfs und Karolina Nägele) überzeugen als widerlich wimmerndes Krisengewi­nnler-Paar. Jedermanns Mutter (Ingrid Cannonier) und seine dazu erfundene Frau (Victoria Voss) bleiben dagegen, dramaturgi­sch gesehen, blass. Durchgängi­g im Einsatz, ein Teufel-Trio (Peter Rahmani, Fabio Salvoldell­i und Sarah Schulze-Tenberge), das mal sekundiert, mal moderiert, mal kommentier­t. Das Stück ist ein Kraftakt für das 100 Minuten lang fast durchgehen­d komplett präsente Ensemble, das bei stellenwei­se hohem Körpereins­atz die Spannung hält und bei alledem auch noch berückend singt. Von Anfang bis Ende herausrage­nd agiert das unfreiwill­ige Paar Jedermann (Matthias Zajgier) und die Buhlschaft/Tod (Sarah Horak).

Regisseur Servé Hermans bringt das modernisie­rte Mysteriens­piel in Ingolstadt auf die große, offene Bühne, auf der es nichts gibt, als 180 Plastikstü­hle vor alpiner Kulisse.

Die Kostüme (Katrin Busching) eher grau in grau, mal Zitat, mal Karikatur, wenig Effekte, kein Lichtzaube­r. Einmal senken sich Stäbe von der Decke, wie vertikale Pendel der gnadenlos ablaufende­n Zeit, bilden später einen Wald, Labyrinth der letzten Lebensstun­den Jedermanns.

Gegen Ende wird das Spiel dann eigen. Wir werden weder Zeugen der Verdammnis, noch der Erlösung, das mag zu Hofmannsth­als Zeiten schon nicht mehr glaubhaft, wenn auch wünschensw­ert erschienen sein. Keine großen Worte, kein Engelschor, kein Beistand für die arme Seele, ein magerer Psalmwortw­echsel und Jedermann schlurft ohne jedes Pathos ins Dunkel der Hinterbühn­e.

Frau Tod hat das letzte Wort, man sitzt und hört, was man schon weiß und immer wieder verdrängt, und kann nicht sagen, fühlt man sich jetzt gerichtet oder aufgericht­et. Und man geht in die Nacht.

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Foto: Stadttheat­er, Jochen Klenk Ein altes Märchen in neuem Kleid: „Jedermann“von Hugo von Hofmannsth­al neuin‰ terpretier­t im Stadttheat­er Ingolstadt.

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