Deutschland fällt zurück
Hohe Arbeitskosten, teure Energie und eine ausufernde Bürokratie: Der Standort D verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Kann die neue Regierung gegensteuern?
Die Börse lügt nicht. Verglichen mit den anderen europäischen Indizes oder dem Dow Jones in den USA liegt der deutsche Dax im Jahresvergleich mit seiner Wertentwicklung auf einem der hintersten Plätze. Volkswirtschaften wie die in Polen, in Frankreich, Spanien oder Österreich wachsen heute dynamischer, entsprechend interessant sind sie für Investoren. Dass die Bundesrepublik Jahre soliden Wachstums hinter sich hat? Geschenkt. An der Börse wird Zukunft gehandelt – und da häufen sich die schlechten Nachrichten aus Deutschland gerade.
Die Inflation hoch, die Energiepreise auf Rekordniveau, die Industrieproduktion im August deutlich niedriger als erwartet: Obwohl die Forschungsinstitute für das kommende Jahr ein Wachstum von vier Prozent und mehr erwarten, fällt der Standort Deutschland in den einschlägigen Vergleichen kontinuierlich zurück – beim bürokratischen Aufwand ebenso wie bei der Steuerbelastung, den Arbeitskosten oder dem Zustand der Infrastruktur. Besonders drastisch liest sich eine Studie der Weltbank, die die Bedingungen für Unternehmensgründer untersucht hat. Hier liegt die Bundesrepublik auf Platz 120, noch hinter Ländern wie Guinea, Dschibuti und Mali.
Solange die Regierungen von Angela Merkel von den Reformen der Schröder-Jahre profitiert haben, so wenig haben sie selbst getan, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zu stärken. Entsprechend groß ist der Reformbedarf jetzt, da Sozialdemokraten, Grüne und Liberale über eine neue Regierung verhandeln. Vor allem die hohen Stromkosten haben sich zu einem unternehmerischen Risiko entwickelt – ein Punkt, der in der Debatte um einen besseren Klimaschutz weitgehend ausgeblendet wird. Ohne eine größere Kompensation an anderer Stelle aber, sei es durch einen
Verzicht auf die Öko-Umlage, sei es durch eine deutliche Reduzierung der Stromsteuer, rechnet sich das Produzieren in Deutschland für viele Unternehmen irgendwann nicht mehr. Der Münchner ChipZulieferer Siltronic etwa verlegt einen Teil seiner Produktion gerade nach Singapur und begründet das vor allem mit dem teuren Strom in Deutschland. Am neuen Standort zahlt er weniger als die Hälfte.
Technologisch ist die deutsche Wirtschaft noch immer Weltspitze. Wenn sie diese Kompetenz dauerhaft im Land halten will, darf die neue Bundesregierung aber nicht weiter an der Belastungsschraube drehen. Und mit Belastung sind keineswegs nur finanzielle Zumutungen wie eine Vermögenssteuer oder ein deutlich höherer Mindestlohn gemeint. Auch die in Teilen marode Infrastruktur, die Defizite bei der
Digitalisierung oder ineffiziente Verwaltungen machen der Wirtschaft zu schaffen. Armin Laschets Metapher vom Modernisierungsjahrzehnt war deshalb gut gewählt. Ob Olaf Scholz sich ebenfalls davon leiten ließe? Mit der SPD-Linken und den Grünen sitzen ihm Kräfte im Rücken, die im Zweifel lieber zu viel regeln als zu wenig.
Gerhard Schröder hat sich in einer ähnlich schwierigen Situation entschieden, Politik nicht gegen die Wirtschaft zu machen, sondern mit ihr. Für die Kühnerts, die Eskens und Trittins im politischen Berlin aber ist ein Unternehmer immer noch eine Art Klassenfeind. Dieses alte Denken zu überwinden und das Land aus dem Reformstau zu führen ist die vielleicht größte Herausforderung für die neue Regierung. Mit den (Wohlstands-) Jahren ist Deutschland träge geworden, saturiert und ein wenig larmoyant auch. Dabei blinken die ersten Alarmzeichen bereits hellrot: Die Auftragseingänge etwa sind im August um sieben Prozent eingebrochen. Ökonomen nennen so etwas einen Frühindikator.
Der Unternehmer ist kein Klassenfeind