„Ein Trauerspiel“
Der Impfskandal in Wemding schlägt hohe Wellen. Im Verdacht stand der Arzt wohl schon seit Monaten. Wie Bayerns Gesundheitsminister Holetschek den Fall einschätzt
Wemding Das kleine Wemding ist, wenn man so will, zu einem Epizentrum großer Unsicherheit geworden. Seit vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass es in der Stadt mit nicht einmal 6000 Einwohnern offenbar einen gigantischen Impfskandal gibt, ist der Ort aus dem Landkreis Donau-Ries bundesweit in den Schlagzeilen. Im Mittelpunkt: Hausarzt Dr. Gerhard Holst.
Der Fall hat zwei Facetten. Die eine: Holst soll statt des Impfstoffs ein wirkungsloses Placebo verabreicht haben. Viele Menschen wissen nun nicht, ob sie tatsächlich gegen Sars-CoV-2 geimpft wurden und vor dem Virus geschützt sind. Die zweite Seite der Geschichte: Holst soll Impfnachweise ausgestellt haben, ohne das Vakzin tatsächlich zu verabreichen – in diesem Fall wussten die Menschen, denen es offenbar nur darum ging, unberechtigt an das begehrte Zertifikat zu kommen, Bescheid. Die Nachfrage scheint groß gewesen zu sein, Autos aus ganz Deutschland sollen vor der Praxis gestanden haben.
Dr. Jakob Berger, der Sprecher der schwäbischen Hausärzte, wusste seit längerem, dass der Kollege aus Wemding im Verdacht steht, gefälschte Impfausweise auszuteilen: „Der Verdacht wurde von uns vor Monaten an die zuständigen Stellen gemeldet“, sagt Berger im Gespräch mit unserer Redaktion. Schließlich habe es viele anonyme Hinweise gegeben und auch die Tatsache, dass so viele Autos mit ortsfremden Nummernschildern vor der Praxis standen, habe den Kollegen zumindest verdächtig gemacht.
Wie wirkt sich so ein Fall gerade jetzt, da die bayerische Impfkampagne ins Stocken geraten ist, aus? Verlieren die Menschen das Vertrauen in die Medizin? Wird da womöglich eine ganze Branche verunglimpft? Berger spricht gegenüber unserer Redaktion von „einem Trauerspiel“, das jetzt wirklich schnell aufgeklärt werden müsse. „Solche Kollegen dürfen nicht geschützt werden“, betont der Hausarzt, der in Herbertshofen im Landkreis Augsburg praktiziert. „Das hat mit unserer medizinischen Ethik nichts zu tun.“Hinzu komme, dass durch solche „bedauerlichen Einzelfälle“auch immer am Ansehen der Hausärzte etwas hängen bleibe. „Das ärgert mich“, so Berger.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) äußert sich gegenüber unserer Redaktion ähnlich: „Auf keinen Fall kann es jetzt darum gehen, die Ärzteschaft in Bayern unter einen Generalverdacht zu stellen. Sie ist ein leistungsstarker und unverzichtbarer Pfeiler unserer bayerischen Impfstrategie.“Ein Fall wie in Wemding, bei dem ein Arzt mutmaßlich vorsätzlich zum Schaden seiner Patienten handelt, müsse aufgeklärt werden – und das geschehe auch. „Wenn nötig wird er mit der geballten Macht des Strafrechts und des ärztlichen Berufsrechts geahndet“, fährt Holetschek fort und gibt sich kämpferisch: „Er wird unser Bemühen und unsere Erfolge beim Impfen gegen das Coronavirus nicht schmälern.“Die Vorwürfe gegen den Arzt seien erschütternd, fährt Holetschek fort. „Die Ermittlungen dazu laufen – und ich bin davon überzeugt, dass sie auch zu einem gerechten Schluss kommen werden.“
Noch ist nicht ganz klar, wie viele Menschen die Praxis in Wemding aufsuchten, um wirklich geimpft zu werden, und wie vielen es nur um den Nachweis ging – ohne Impfung. Hausärztesprecher Berger meint: „Es ist die Minderheit, die zu Holst gegangen ist, um wirklich gegen Covid geimpft zu werden.“Bei ihnen sei jetzt in der Tat ein Antikörpertest wichtig und nötig, wisse doch niemand, ob sie nur ein Placebo erhalten haben. Man stelle sich vor, diese Menschen wiegen sich in falscher Sicherheit und stecken sich und andere leichter an, die dann schwer erkranken oder im schlimmsten Fall auch sterben könnten.
Der erfahrene Hausarzt Berger betont aber in diesem Zusammenhang auch, dass Menschen, die tatsächlich zweimal gegen Covid geimpft worden sind, keinen Antikörpertest benötigen, um zu überprüfen, ob ihr Körper auch wirklich einen wirksamen Schutz aufgebaut hat. „Wir haben hier genügend Erkenntnisse, dass eine zweifache Impfung wirkt“, erklärt er. Und ob und wann eine dritte Impfung für alle nötig wird, werde sich noch zeigen.
Die Praxis von Mediziner Holst ist geschlossen. Das bedeutet auch: Seit einigen Tagen stehen alle Patientinnen und Patienten, die in der seit Jahrzehnten bestehenden Praxis ein- und ausgingen, ohne einen Hausarzt da. Menschen, die dort betreut wurden, müssen sich bei einem akuten medizinischen Problem nun an eine andere Praxis wenden. Das verschärft die Schwierigkeiten in der Region, in der die Versorgung durch Allgemeinmediziner ohnehin angespannt ist. Der Wemdinger Bürgermeister Martin Drexler hat sich deswegen an die Kassenärztliche Vereinigung Schwaben gewandt. Doch die Hoffnung, dass kurzfristig ein Mediziner oder eine Medizinerin nach Wemding oder Umgebung geholt werden könnte, dürfte sich – so zeichnet es sich derzeit ab – nicht erfüllen.