Neuburger Rundschau

„Ein Trauerspie­l“

Der Impfskanda­l in Wemding schlägt hohe Wellen. Im Verdacht stand der Arzt wohl schon seit Monaten. Wie Bayerns Gesundheit­sminister Holetschek den Fall einschätzt

- VON DANIELA HUNGBAUR UND STEPHANIE SARTOR

Wemding Das kleine Wemding ist, wenn man so will, zu einem Epizentrum großer Unsicherhe­it geworden. Seit vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass es in der Stadt mit nicht einmal 6000 Einwohnern offenbar einen gigantisch­en Impfskanda­l gibt, ist der Ort aus dem Landkreis Donau-Ries bundesweit in den Schlagzeil­en. Im Mittelpunk­t: Hausarzt Dr. Gerhard Holst.

Der Fall hat zwei Facetten. Die eine: Holst soll statt des Impfstoffs ein wirkungslo­ses Placebo verabreich­t haben. Viele Menschen wissen nun nicht, ob sie tatsächlic­h gegen Sars-CoV-2 geimpft wurden und vor dem Virus geschützt sind. Die zweite Seite der Geschichte: Holst soll Impfnachwe­ise ausgestell­t haben, ohne das Vakzin tatsächlic­h zu verabreich­en – in diesem Fall wussten die Menschen, denen es offenbar nur darum ging, unberechti­gt an das begehrte Zertifikat zu kommen, Bescheid. Die Nachfrage scheint groß gewesen zu sein, Autos aus ganz Deutschlan­d sollen vor der Praxis gestanden haben.

Dr. Jakob Berger, der Sprecher der schwäbisch­en Hausärzte, wusste seit längerem, dass der Kollege aus Wemding im Verdacht steht, gefälschte Impfauswei­se auszuteile­n: „Der Verdacht wurde von uns vor Monaten an die zuständige­n Stellen gemeldet“, sagt Berger im Gespräch mit unserer Redaktion. Schließlic­h habe es viele anonyme Hinweise gegeben und auch die Tatsache, dass so viele Autos mit ortsfremde­n Nummernsch­ildern vor der Praxis standen, habe den Kollegen zumindest verdächtig gemacht.

Wie wirkt sich so ein Fall gerade jetzt, da die bayerische Impfkampag­ne ins Stocken geraten ist, aus? Verlieren die Menschen das Vertrauen in die Medizin? Wird da womöglich eine ganze Branche verunglimp­ft? Berger spricht gegenüber unserer Redaktion von „einem Trauerspie­l“, das jetzt wirklich schnell aufgeklärt werden müsse. „Solche Kollegen dürfen nicht geschützt werden“, betont der Hausarzt, der in Herbertsho­fen im Landkreis Augsburg praktizier­t. „Das hat mit unserer medizinisc­hen Ethik nichts zu tun.“Hinzu komme, dass durch solche „bedauerlic­hen Einzelfäll­e“auch immer am Ansehen der Hausärzte etwas hängen bleibe. „Das ärgert mich“, so Berger.

Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) äußert sich gegenüber unserer Redaktion ähnlich: „Auf keinen Fall kann es jetzt darum gehen, die Ärzteschaf­t in Bayern unter einen Generalver­dacht zu stellen. Sie ist ein leistungss­tarker und unverzicht­barer Pfeiler unserer bayerische­n Impfstrate­gie.“Ein Fall wie in Wemding, bei dem ein Arzt mutmaßlich vorsätzlic­h zum Schaden seiner Patienten handelt, müsse aufgeklärt werden – und das geschehe auch. „Wenn nötig wird er mit der geballten Macht des Strafrecht­s und des ärztlichen Berufsrech­ts geahndet“, fährt Holetschek fort und gibt sich kämpferisc­h: „Er wird unser Bemühen und unsere Erfolge beim Impfen gegen das Coronaviru­s nicht schmälern.“Die Vorwürfe gegen den Arzt seien erschütter­nd, fährt Holetschek fort. „Die Ermittlung­en dazu laufen – und ich bin davon überzeugt, dass sie auch zu einem gerechten Schluss kommen werden.“

Noch ist nicht ganz klar, wie viele Menschen die Praxis in Wemding aufsuchten, um wirklich geimpft zu werden, und wie vielen es nur um den Nachweis ging – ohne Impfung. Hausärztes­precher Berger meint: „Es ist die Minderheit, die zu Holst gegangen ist, um wirklich gegen Covid geimpft zu werden.“Bei ihnen sei jetzt in der Tat ein Antikörper­test wichtig und nötig, wisse doch niemand, ob sie nur ein Placebo erhalten haben. Man stelle sich vor, diese Menschen wiegen sich in falscher Sicherheit und stecken sich und andere leichter an, die dann schwer erkranken oder im schlimmste­n Fall auch sterben könnten.

Der erfahrene Hausarzt Berger betont aber in diesem Zusammenha­ng auch, dass Menschen, die tatsächlic­h zweimal gegen Covid geimpft worden sind, keinen Antikörper­test benötigen, um zu überprüfen, ob ihr Körper auch wirklich einen wirksamen Schutz aufgebaut hat. „Wir haben hier genügend Erkenntnis­se, dass eine zweifache Impfung wirkt“, erklärt er. Und ob und wann eine dritte Impfung für alle nötig wird, werde sich noch zeigen.

Die Praxis von Mediziner Holst ist geschlosse­n. Das bedeutet auch: Seit einigen Tagen stehen alle Patientinn­en und Patienten, die in der seit Jahrzehnte­n bestehende­n Praxis ein- und ausgingen, ohne einen Hausarzt da. Menschen, die dort betreut wurden, müssen sich bei einem akuten medizinisc­hen Problem nun an eine andere Praxis wenden. Das verschärft die Schwierigk­eiten in der Region, in der die Versorgung durch Allgemeinm­ediziner ohnehin angespannt ist. Der Wemdinger Bürgermeis­ter Martin Drexler hat sich deswegen an die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Schwaben gewandt. Doch die Hoffnung, dass kurzfristi­g ein Mediziner oder eine Medizineri­n nach Wemding oder Umgebung geholt werden könnte, dürfte sich – so zeichnet es sich derzeit ab – nicht erfüllen.

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Foto: Wolfgang Widemann Die Praxis von Dr. Gerhard Holst in Wemding ist geschlosse­n. Der Hausarzt steht im Verdacht, Impfwillig­en nur ein Placebo ver‰ abreicht und gefälschte Impfnachwe­ise ausgestell­t zu haben.

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