Schulen suchen die SuperSoftware
Noch immer herrscht vielerorts Unmut über die Lernplattformen und -programme des Freistaats. Wo die Probleme liegen und welche Lösung in Sicht scheint
Augsburg Als die Corona-Pandemie über das Land hereinbrach, war kaum eine Schule darauf vorbereitet. Distanzunterricht, digitale Arbeitsblätter, all das war für viele vorher nie dagewesen. „Teams“war als Software eine naheliegende Wahl, ein Programm des US-amerikanischen Softwarekonzerns Microsoft. Das Problem: Es gibt große Bedenken angesichts der Frage, wie viele und welche Daten das Unternehmen über seine Nutzer erhebt – und ob diese unter Umständen in den USA verarbeitet und gespeichert werden, wo laxe Datenschutzvorschriften gelten.
In der Hochphase der Pandemie sah man darüber teilweise hinweg. Doch selbst damals galt: Aufgrund „offener datenschutzrechtlicher Fragen“müsse eine Einwilligung der Schülerinnen und Schüler beziehungsweise von deren Eltern vorliegen, schrieb der Bayerische Datenschutzbeauftragte in seinem aktuellsten Tätigkeitsbericht. Damit diese wirksam ist, muss sie freiwillig sein. Sprich: Die Schule muss im Zweifelsfall Schülerinnen und Schülern dieselbe Teilhabe bieten, ohne dass sie „Teams“nutzen eine hohe, womöglich sogar kaum zu erfüllende Anforderung an den Alltag in Bayerns Klassenzimmern. Immerhin etwas Optimismus verbreitete der Beauftragte: „Erfreulicherweise hat das Kultusministerium im Sommer 2020 entschieden, die bayerische Bildungsplattform mebis durch ein nachhaltig datenschutzkonformes Kommunikationswerkzeug zu ergänzen.“
Mittlerweile gibt es das: Seit April können Schulen dieses Videokonferenz-Programm namens „Visavid“nutzen. Aber längst nicht alle Schulen tun das auch. „Nach unserem Eindruck nutzen sehr viele Schulen weiter Teams“, sagt Simone Fleischmann, Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), unserer Redaktion. Angesichts der Folgen der Pandemie stünden Schulen und Lehrkräfte vor großen Aufgaben – da sei ein Umstieg auf andere Software und damit verbundene Fortbildungen nicht die Nummer eins auf der Prioritätenliste, zumal Videokonferenzen in der Regel dank des Präsenzunterrichts derzeit kaum notwendig seien.
Auch viele Augsburger Schulen setzen weiter auf „Teams“, „da es von Seiten des Freistaates Bayern keine dauerhafte, gut funktionierende und vollumfängliche Alternative gab“, sagt Martina Wild, Bildungsreferentin und Zweite Bürgermeisterin der Stadt Augsburg. „Auch jetzt gibt es dies noch nicht“, fügt die Grünen-Politikerin hinzu. „Teams“werde von den Schulen bevorzugt genutzt. Diese hätten die „außergewöhnliche Robustheit, Zuverlässigkeit und den breiten Funktionsumfang von Microsoft Teams schätzen gelernt“. Die Software werde auch außerhalb des Distanzunterrichts eingesetzt, biete mehr als nur Videokonferenzen und sei daher mit Visavid nicht zu vergleichen.
„Die Nutzung von Visavid ist für die Schulen freiwillig“, sagt ein Sprecher des Bayerischen Kultusministeriums auf Anfrage unserer Redaktion. Aktuell hätten sich 3220 Schulen für die Nutzung der Software registriert. In Bayern gibt es mehr als 4600 allgemeinbildende Schulen. Während der Freistaat also nun ein Unternehmen für die Entwicklung und den Betrieb von „Visavid“bezahlt – wie viel, will das Ministerium nicht verraten –, zahlen viele Kommunen für ihre Schulen Geld an Microsoft. In Augsburg sind es nach Angaben der Bildungsreferentin vier Euro pro Schülerin, Schüler oder Lehrkraft und Jahr.
BLLV-Chefin Fleischmann betont, Schulen müssten ihre Software in jedem Fall selbst wählen dürfen, weil die Gegebenheiten vor Ort unterschiedlich seien. Sie sieht trotz der Vorbehalte vieler Lehrkräfte in „Visavid“zumindest einen Schritt in die richtige Richtung. „Langfristig müssen Schulen eine komplette Softwarelösung erhalten, die alle Funktionen unter einem Dach vereint.“
Zumal auch „Visavid“in Sachen Datenschutz nicht fehlerfrei ist: Im Juli enttarnte die IT-Sicherheitsforscherin Lilith Wittmann eine Sicherheitslücke. Das mittlerweile behobene Problem ermöglichte Unbefugten, nur mit der Raumnummer unbemerkt Videokonferenzen aufzurufen und mitzuschneiden. „Die
Antwort auf große Monopolisten, die sich nicht an deutsches Datenschutzrecht halten, darf nicht sein, auf noch schlechtere Lösungen von Anbietern zu setzen, die höchstens auf dem Papier die datenschutzrechtlichen Anforderungen erfüllen“, schrieb die IT-Expertin in einem Beitrag.
Der Freistaat arbeitet indes bereits an einer eigenen Rundum-Lösung, wie sie auch der BLLV-Vorsitzenden Fleischmann vorschwebt. „BayernCloud Schule“heißt sie und soll laut dem Ministerium „ein schnelles, zuverlässiges, am Nutzer orientiertes und sicher konzipiertes Software-Paket für den Unterricht und die Verwaltung bieten“. Als Nächstes soll ein Web-Portal entstehen, das insbesondere die mebisAnwendungen bequem erreichbar macht. Geplant sind auch ein Messenger sowie ein Cloud-Speicher und Office-Programme. Wann diese Funktionen den Schulen aber wirklich zur Verfügung stehen, beantwortet der Ministeriumssprecher nicht.
Schulen vertrauen Microsoft mehr als dem Freistaat