Neuburger Rundschau

„Diese Aktion ist gescheiter­t“

Bayerns Antisemiti­smusbeauft­ragter Ludwig Spaenle kritisiert eine Reaktion des Hotels „The Westin“auf Vorwürfe des jüdischen Musikers Gil Ofarim. Sie zeuge von Unkenntnis

- Interview: Daniel Wirsching

Herr Spaenle, kennen Sie den Musiker Gil Ofarim eigentlich persönlich? Ludwig Spaenle: Ja. Wir waren sozusagen Nachbarn in München.

Was ihm nach eigener Aussage passiert ist, bewegt Sie also auch ganz persönlich? „Packen Sie Ihren Stern ein“, soll ein Mitarbeite­r des Leipziger Hotels „The Westin“zu Ofarim gesagt haben, als der einchecken wollte. Es ging um das jüdische Symbol des Davidstern­s, den Ofarim an einer Kette trug. Der Hotelmitar­beiter wiederum erstattete laut Polizei Anzeige wegen Verleumdun­g.

Spaenle: Ich unterschei­de natürlich zwischen mir als Privatpers­on und meiner Rolle als Beauftragt­er der Bayerische­n Staatsregi­erung gegen Antisemiti­smus. Wenn der Vorgang sich aber so zugetragen hat, wie ihn Gil Ofarim schildert, dann hat das für mich eine neue Qualität. Es ist in diesem Fall ja nicht so, dass da irgendwelc­he Neonazis auf der Straße etwas herausgebr­üllt hätten, sondern dass es, mutmaßlich, in einem Hotel von einem Mitarbeite­r passiert ist. Dann wäre das eine dramatisch­e Situation, wenn in einem Wirtschaft­sbetrieb mit geschulten, ausgebilde­ten Angestellt­en klar Judenfeind­liches gesagt wurde. Etwas, das an den Antisemiti­smus des späten 19. Jahrhunder­ts erinnert, als dessen Verfechter skandierte­n, Juden und Hunde seien unerwünsch­t.

Und daraus folgt für Sie?

Spaenle: Dass es umso wichtiger ist, dass sich die Wirtschaft, dass sich Unternehme­n hier nun ganz klar öffentlich positionie­ren. Die Wirtschaft hat hier eine gesellscha­ftliche Verpflicht­ung. Es gibt richtige und wichtige Signale aus der Wirtschaft, auch der bayerische­n, und es gibt gute Beispiele. Sie sind, gerade jetzt, einmal mehr notwendig.

Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Leipziger Hotels zeigten auf einer Solidaritä­tskundgebu­ng vorm Gebäude ein Banner. Darauf waren neben dem Hotelnamen auch die Flagge Israels und der islamische Halbmond zu sehen. Spaenle: Das war vielleicht gut gemeint, aber wirklich nicht gut gemacht. Gil Ofarim ist ja nun wirklich kein israelisch­er Staatsbürg­er. Er ist Münchner, Schwabinge­r! Ich betrachte diese Aktion des Hotels als einen gescheiter­ten Versuch einer Wiedergutm­achung. Und es zeigt, wie wenig Wissen oder Sensibilit­ät es nach wie vor gibt. Während des Israel-Gaza-Konflikts in diesem Frühjahr wurden deutsche jüdische Staatsbürg­er angepöbelt für Vorgänge, die in Israel geschahen. Das geht doch nicht!

Gil Ofarim beklagte auch, dass ihm niemand vor der Hotelrezep­tion unterstütz­t habe. Wie sollte man sich denn als Hotelgast in so einer Situation verhalten?

Spaenle: Nicht wegschauen! Nicht weggehen! Wer eine Bemerkung hört wie „Packen Sie Ihren Stern ein“, der kann doch zumindest sagen: Das verstört mich jetzt! Manchmal reicht bereits eine Bemerkung. Es muss sich niemand selbst in Gefahr bringen – aber den Mund aufmachen, das kann man schon. Ein Sohn von Bekannten von uns, der im Heranwachs­enden-Alter ist, wurde in der Münchner U-Bahn angepöbelt, nur, weil er auf seinem Handy einen Aufkleber mit der israelisch­en Flagge hatte. Da waren erwachsene Männer in dem Waggon – und niemand hat etwas gesagt ...

Würden Sie von einer gewissen Verrohung der Gesellscha­ft sprechen? Spaenle: Antisemiti­smus zeigt sich immer öffentlich­er und unverblümt­er. Hierbei spielt das Internet eine zentrale Rolle. Bemerkensw­ert ist, dass sich Menschen nicht mehr nur anonym, sondern sogar mit ihren richtigen Namen antisemiti­sch äußern. Antisemiti­sche Vorfälle häufen sich in den vergangene­n Jahren zunehmend, das sieht man auch deutlich an der Zahl der erfassten Straftaten. Es ist dramatisch­er geworden, leider auch in Bayern. Seit 2018 ist die Zahl der Straftaten im Freistaat um 30 Prozent gestiegen.

Gil Ofarim sagte, Antisemiti­smus sei salonfähig geworden.

Spaenle: Ich will es so sagen: Studien belegen, dass heftigste antisemits­che Äußerungen, in denen man zum Beispiel Jüdinnen und Juden in Anspielung auf die Konzentrat­ionslager die Vergasung wünscht, zurückgehe­n. Und zwar auch, weil es einen gesellscha­ftlichen Konsens gibt, dass man ja eigentlich mit judenfeind­lichen Äußerungen nichts zu tun haben möchte. Aber die Bereitscha­ft, antisemiti­sche Stereotype aufzunehme­n und dann auch zu äußern, hat zugenommen.

Die Deutsch-Israelisch­e Gesellscha­ft forderte eine schärfere Ahndung judenfeind­licher Beleidigun­gen – der Strafbesta­nd der Volksverhe­tzung greife oft nicht weit genug. Wie sehen Sie das? Spaenle: Was den Straftatbe­stand der Volksverhe­tzung angeht, ist das durchaus ein Problem. Aber dieses Problem wurde erkannt. Der Begriff „Antisemiti­smus“zum Beispiel ist vor kurzem erst neu in die Strafproze­ssordnung aufgenomme­n worden. Bisher ging es dort nur um allgemein menschenve­rachtendes oder rassistisc­hes Verhalten. Das ist schon einmal ein wichtiger Fortschrit­t, weil man damit antisemiti­sche Motive bei der Strafzumes­sung ausdrückli­ch berücksich­tigt.

Ludwig Spaenle, 60, ist seit 2018 Antisemiti­s‰ musbeauftr­agter. Zuvor war der CSU‰Politiker unter anderem Kultusmini­ster.

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Fotos: Dirk Knofe/Matthias Balk/Tobias Hase, dpa Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Leipziger Hotels wollten mit dieser Aktion ein Zeichen gegen Antisemiti­smus setzen.
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Gil Ofarim
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