„Das war die Rache des Regimes“
Der Rumäne Marcel Raducanu setzte sich 1981 nach Deutschland ab und fand in Dortmund eine neue Heimat. Ein Gespräch über filmreife Fluchten, eigenwillige Strafen und die neue Generation rumänischer Fußballer
Sie planen seit langer Zeit, ein Buch zu veröffentlichen, in dem Sie Ihr Leben Revue passieren lassen. Wie weit ist eigentlich Ihr literarisches Projekt mit dem originellen Titel „Aschenbecher“gediehen?
Marcel Raducanu: Es ist noch nicht druckreif, zumal ich Stoff aus den Securitate-Akten (Anm. d. Red.: rumänischer Geheimdienst) bearbeiten muss, den ich vor geraumer Zeit erhalten habe. Das Buch wird ein befreundeter Rechtsanwalt aus Bukarest schreiben, den ich seit meiner Zeit bei Steaua Bukarest gut kenne. Ich weiß auch noch nicht, ob wir es beim ursprünglich geplanten Titel belassen. Vielleicht finden wir was anderes.
Der kolportierte Titel „Aschenbecher“resultiert aus einer Gegebenheit, als Sie in der Dortmunder Klubzentrale angefangen haben, mit einem Aschenbecher zu jonglieren. Stimmt diese Überlieferung?
Raducanu: Allerdings, das ist eine Tatsache. Ich hatte damals, nach meiner Flucht, einen Termin beim damaligen BVB-Präsidenten, Reinhard Rauball, und im Vorzimmer war auch ein Kamerateam zugegen. So fing ich an, mit einem Kristallaschenbecher zu jonglieren, was natürlich medial für viel Gesprächsstoff gesorgt hat.
Sie haben im Sommer 1981 ein Freundschaftsspiel der rumänischen Nationalmannschaft in Dortmund genutzt, um sich in den Westen abzusetzen. Als Steaua-Spieler (Anm. d. Red.: Armeeklub) hatten Sie den Grad des Hauptmanns und sind in den Genuss etlicher Privilegien des damaligen Ceausescu-Regimes gekommen. Wieso haben Sie die Flucht riskiert wohlwissend, dass Ihre Frau und der Sohn in Rumänien bleiben würden? Raducanu: Ich hatte schon länger vor, das Land zu verlassen. Als wir mit der Nationalmannschaft und Steaua in Europa unterwegs waren, haben wir gesehen, wie das Leben auch hinter dem Eisernen Vorhang aussieht. Ausschlaggebend bei mir war die Tatsache, dass ich beim WM-Qualifikationsspiel gegen England im Wembley-Stadion im April 1981 auf der Bank schmoren musste, obwohl ich in Bestform war und im Vorjahr zum Fußballer des Jahres gekürt worden war. Der Trainer hatte anscheinend von seinen Vorgesetzten die Order bekommen, mich zu demoralisieren, weil ich mich manchmal zu kritisch geäußert hatte. Da hatte ich wirklich die Nase voll!
Beim 2:1-Sieg der rumänischen Mannschaft im Hinspiel gegen England hatten Sie noch das 1:0 erzielt.
Stimmt eigentlich die Legende, dass anschließend das Ceausescu-Regime Ihren Namen als Torschützen aus den Archiven verbannen ließ?
Raducanu: Für sehr lange Zeit klaffte da ein Vakuum. Es war zwar der Torerfolg registriert, aber nicht der Torschütze! Und bei der Aufstellung waren lediglich zehn Spieler aufgeführt. Absurd, aber wahr.
Ihre Flucht aus den Katakomben des Westfalenstadions verlief filmreif. Hatten Sie nicht Angst, dass Ihr Versuch scheitern könnte? Immerhin begleitete der berüchtigte Geheimdienst „Securitate“die Nationalmannschaft auf Schritt und Tritt.
Raducanu: Mir war bewusst, dass die Flucht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden könnte, zumal mein Fluchthelfer, ein Landsmann von mir, auch im Stadion war. Ich täuschte in der Halbzeitpause eine Verletzung vor und blieb dann anschließend alleine in der Kabine, habe geduscht und bin dann mit dem Auto nach Hannover gefahren, wo mein Fluchthelfer damals gewohnt hat. Bis ich in Hannover angekommen war, hatte ich richtiges Herzrasen.
Wenige Stunden nach Ihrer Flucht stand der „Securitate“vor Ihrer Wohnung in Bukarest und hat Ihre Frau, die mit Ihrem Sohn zurückgeblieben war, verhört. Wie kam es dazu?
Raducanu: Ich habe nach meiner Ankunft in Hannover mit meiner Frau telefoniert, ohne zu wissen, dass die Leitung verwanzt gewesen ist. Die Securitate-Mitarbeiter kamen dann vorbei und konfiszierten alles, was wir besaßen: Auto, Schmuckstücke und Wertgegenstände. Es war eine sehr harte Zeit für uns alle. In den ersten Jahren habe ich anonyme Anrufe erhalten mit der Drohung:
„Wir kriegen Dich, du Verbrecher!“Der Verein hat mir anschließend Polizeischutz bereitgestellt.
Ihre Familie kam erst im Januar 1985 nach Deutschland. Wie ist diese Flucht über die Bühne gelaufen?
Raducanu: Ich hatte in der Zwischenzeit alles versucht, auch mit der Unterstützung des BVB. Sogar der damalige Außenminister Hans Dietrich Genscher hat sich meiner Sache angenommen, leider ohne Erfolg. Das Ceausescu-Regime hat mich als Deserteur gebrandmarkt und war zu keinen Zugeständnissen bereit, weil ich Militärmitglied war und als abschreckendes Beispiel dienen sollte. Letztendlich half nur Geld: Ich habe eine Frau im damaligen Jugoslawien bezahlt, die dann das Ganze geregelt hat, und das obwohl Bilder meiner Frau überall an der Grenze hingen. Wie sie das geschafft hat, weiß ich bis heute nicht.
Sie spielten von 1982 bis 1988 in Dortmund, ehe Sie Ihre Karriere in der Schweiz ausklingen ließen. Blicken Sie im Nachhinein etwas wehmütig zurück, zumal es damals eine eher erfolglose Zeit gewesen ist, verglichen mit den ruhmreichen 1990er Jahren, in denen die Borussia viele Titel geholt hat? Raducanu: Sportlich lief es in der Tat nicht besonders. Als ich zum BVB gekommen bin, saß Branco Zebec auf der Trainerbank, der ungeduldig auf meinen Einsatz gewartet hat, weil ich wegen einer Fifa-Sperre für zehn Monate nicht spielberechtigt gewesen bin. In der darauffolgenden Saison wurde Zebec aufgrund seiner bekannten Alkoholprobleme gefeuert und durch Kalli Feldkamp ersetzt. Zwischen den beiden Trainern lagen Welten. Zebec war, was seine Fußballphilosophie betrifft, seiner Zeit weit voraus. Beinahe wären wir 1986 noch abgestiegen, als wir in letzter Minute Fortuna Köln im Relegationsrückspiel bezwungen haben. Nichtsdestotrotz möchte ich diesen Karriereabschnitt nicht missen.
Trotz dieser widrigen Bedingungen hätten Sie beinahe bei der WM 1990 in Italien teilgenommen. Woran ist Ihr Comeback in der rumänischen Nationalmannschaft gescheitert? Raducanu: Der damalige Nationaltrainer, Emerich Jenei, hat mich zu einem Mini-Trainingslager in München vor der WM in Italien eingeladen, wo ich auf den Rest der Mannschaft gestoßen bin. Dort hat mir der Trainer dann mitgeteilt, dass er mich nicht zum Turnier mitnehmen werde, weil Hagi und andere Spieler dagegen waren.
Apropos Hagi. Die Generation um den begnadeten „Karpaten-Maradona“war die letzte, die an einer WM-Endrunde (Anm. d. Red.: 1998 in Frankreich) teilgenommen hat. Wie stehen aktuell die Chancen Rumäniens, sich für die Weltmeisterschaft in Katar zu qualifizieren?
Raducanu: Puh, es wird schwer. Deutschland ist unangefochtener Gruppenfavorit und für Rumänien bleibt der zweite Platz und die damit verbundene Gelegenheit auf ein Play-off-Match. Aber das ist eher Zweckoptimismus, weil die Qualität dieser Generation für so einen Erfolg nicht ausreicht. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.