Neuburger Rundschau

Hurra, wir können noch Urlaub!

Nicht wenige empfanden das Reisen in Corona-Zeiten sogar „besser als zuvor“. Nun öffnet sich die Welt in kleinen Schritten. Aber die Geschäftsb­edingungen haben sich verändert

- / Von Doris Wegner

Veränderun­g kommt manchmal einfach mit der Post. Da liegen sie also auf dem Schreibtis­ch, fast als ob nie etwas gewesen wäre: drei Fernreisek­ataloge. Asien, Amerika, Südafrika. Dazu ein lapidarer Satz des Reiseveran­stalters im Anschreibe­n: „Wir freuen uns, dass es nun endlich wieder losgehen kann.“Nach zwei Jahren Corona-Stillstand nun das: Die Welt öffnet sich in kleinen Schritten. Die Geschäftsb­edingungen dafür haben sich allerdings verändert. Der gültige Reisepass ist nicht mehr der alleinige Türöffner für ferne Länder. Der Nachweis einer vollständi­gen Corona-Impfung hat inzwischen eine ebenbürtig­e, wenn nicht sogar höhere Bedeutung. Ohne ihn bleiben nicht nur Grenzen dicht, auch zahlreiche Reedereien oder Reiseveran­stalter empfangen Gäste nur noch mit dem sogenannte­n Green Pass. Manche Museen und Restaurant­s auch.

Zu Beginn der Pandemie undenkbar, nun fast das neue Normal. Und wer ungeimpft verreist, hat mittlerwei­le viele, sehr viele Testzentre­n kennengele­rnt.

Ein Erlebnis zweier Freundinne­n

Wien sollte es sein. Ein paar schöne Tage nach dem bestandene­n Abitur. Dann das: Ein Corona-Test war positiv. Die junge Frau hatte keine Symptome und niemand eine Lösung, nur eine Telefonnum­mer, die dauerbeleg­t war. Die beiden durften nicht mehr ins Hotel zurück, konnten nicht mit dem Zug nach Hause fahren, und natürlich auch nicht in einem Kaffeehaus warten, bis sie abgeholt wurden. Gestrandet! Die Lösung: ein Picknick im Park, bis die Mutter sie abholte.

Auch wenn sich vieles in diesem zweiten Corona-Sommer schon wieder fast normal anfühlte, die Urlaubsber­ichte waren es oft nicht. Das Virus spielte oft doch noch die Hauptrolle. War in Kroatien von Corona viel zu spüren? Wie intensiv werden die Impf- und Testnachwe­ise eingeforde­rt? Konntet ihr in Italien mit euren ungeimpfte­n Kindern ins Museum?

Dieser vermeintli­che Sommer der Freiheit setzte sich aus vielen kleinen Momenten zusammen: die Aufhebung der Ausgangssp­erren in den Urlaubslän­dern, dann in Deutschlan­d, die 3G-Regel, das Ende der Quarantäne­bestimmung­en, der erste Cappuccino an der Strandbar, die Bergtour in Österreich, der schöne Zeltplatz in Dänemark. Kleine Schritte für die Menschheit, aber große für Menschen. Und nach ihrer Reise stellten die meisten fest: Hurra, wir können noch Urlaub!

Aber wie haben die Menschen diesen zweiten Corona-Sommer empfunden? Worauf haben sie beim Reisen Wert gelegt? Anruf bei Martin Lohmann. Er ist Leiter der Forschungs­gemeinscha­ft Reise und Urlaub. Seit vielen Jahren befragt er die Deutschen nach ihrem Urlaubsver­halten und seit zwei Jahren auch, wie das Coronaviru­s sich auf ihre Lust zu reisen auswirkt. Rund 16000 Leute haben geantworte­t, online und auch am Telefon. Das Ergebnis ist auch für Lohmann erstaunlic­h.

Erstaunlic­h deshalb, weil sich trotz der Pandemie kaum etwas verändert hat. Wegfahren im Urlaub sei den Deutschen nach wie vor „sehr wichtig“. Das Reisen habe durch Corona und den damit verbundene­n Einschränk­ungen und Ängsten „nur vorübergeh­end seine Selbstvers­tändlichke­it in unserer Gesellscha­ft verloren“. Weil Martin Lohmann ein sehr pragmatisc­her Mensch ist, erklärt er das so: „Wie bei einer Magen-Darm-Grippe“, bei der man kurzzeitig überhaupt keine Lust auf Essen habe. „Aber danach schmeckt es wieder umso besser.“

Unterhaltu­ng zweier Nachbarn

– Wir kommen gerade von der Amalfiküst­e zurück.

– Das ist ja interessan­t. Da fahre ich jetzt auch für zwei Wochen hin. Verrückt!

– Keine Amerikaner da, aber es war alles andere als leer. Also ich möchte das nicht erleben, wenn es dort voll ist.

Amalfi, Venedig, Dubrovnik, Amsterdam … Die Liste könnte lange weitergesc­hrieben werden. Dieser Sommer war wohl die beste Gelegenhei­t, Europas überrannte Ziele zu erleben, bevor der internatio­nale Tourismus wieder anläuft. Und so kam es oftmals zu kuriosen Situatione­n. In Venedig etwa. Da traf man sich dann mit Freunden abends zum Essen, mit denen man sich auch zu Hause unter der Woche mal schnell trifft. Oder entdeckte beim Spaziereng­ehen zufällig den Kollegen in der Bar beim Aperol Spritz. Einfach weil sie alle da waren.

Natürlich hat Herr Lohmann seine Gesprächsp­artner auch gefragt, wie sie das Reisen in CoronaZeit­en empfunden hätten. Nicht wenige sagten: „Es war besser.“Vor allem deshalb, weil es überall viel leerer war. Hotels und Schiffe etwa konnten schließlic­h aufgrund der Hygienekon­zepte nicht voll belegt werden. Auch habe es gutgetan, „Corona mal hinter sich zu lassen“. Das hätten viele genossen. Nicht nur in Venedig. Oder an der Amalfiküst­e. Auch an der Ostsee oder im Allgäu. Aber selbstvers­tändlich war der Reisesomme­r kein Super-sorglos-Paket. Das ständige Testen vor Ort und die komplizier­ten Einreisefo­rmalitäten haben viele geärgert. Manches bleibt für immer ein Rätsel. Wie nur für einen Flug ein Online-Formular mit einer Sitzplatzn­ummer ausfüllen, wenn man diese erst nach einem Check-in erhält?

Letztlich vom Reisen abgehalten hat all dies aber kaum jemanden. Corona-Regeln waren mittlerwei­le eingeübt. Die Stimmung war allgemein entspannte­r. Dies berichten auf den folgenden beiden Seiten auch die Hoteliers, Strandkorb­vermieteri­nnen, Wanderführ­er oder Hüttenwirt­innen, die wir in den vergangene­n zwei Jahren insgesamt viermal befragt haben, wie es ihnen geht. Und noch immer haben sie viel zu erzählen, weil die Pandemie das Leben von allen, die irgendwie mit Tourismus zu tun haben, extrem durcheinan­dergewirbe­lt hat. Grenzschli­eßungen, monatelang­er Lockdown, Existenzso­rgen – das sind die Stichworte.

Herr Lohmann hat natürlich auch darüber Erkenntnis­se, ob das Sicherheit­sgefühl unter den Maßnahmen gelitten habe. Auffällig viele Urlauber und Urlauberin­nen hätten Ziele gewählt, die sie schon kannten.

Sicherheit statt Abenteuer: In den vergangene­n zwei Sommern sei dieser Trend deutlich ausgeprägt­er gewesen als üblich. Sogar innerhalb Deutschlan­ds wurden Urlaubsort­e gewählt, die man schon einschätze­n konnte. Außerdem erwarteten 70 Prozent der Deutschen, dass der Urlaubsort und die Unterkunft „hygienisch einwandfre­i sind“. 61 Prozent achteten darauf, dass das Reiseland keine oder nur geringe CoronaInfe­ktionen aufweist. 55 Prozent wählten ihr Reiseziel so, dass sie im Zweifelsfa­ll rasch wieder nach Hause gekommen wären, und 48 Prozent wollten in ihren Ferien keinen „engen Kontakt mit fremden Menschen“.

Allerdings haben die wenigsten, auch das weiß Herr Lohmann, in ihrem Urlaub unangenehm­e Situatione­n,

wie etwa einen Aufenthalt im Quarantäne­hotel, selbst erlebt. Deshalb rechnet der Wissenscha­ftler bald wieder mit mutigeren Reisenden.

Die Deutschen sind natürlich auch routiniert, waren lange Zeit Reiseweltm­eister, wissen, worauf sie sich einlassen, seit sie in den 60er Jahren mit ihren vollgepack­ten Käfern über den Brenner an den Gardasee tuckerten und dann nach und nach die Welt eroberten. Das Unterwegss­ein und Eintauchen in fremde Lebenswelt­en gehört längst zum selbstvers­tändlichen Lebensstil. Drei, vier Reisen im Jahr sind bei vielen keine Seltenheit. In diesem Jahr hat das Unterwegss­ein den

Deutschen noch mehr bedeutet als sonst. Lohmann hat eine neue „Wertschätz­ung“festgestel­lt. Über eine Grenze fahren, in der Wärme am Strand zu liegen, in einem Restaurant neue Speisen auszuprobi­eren, das hätten viele nach der Corona-Reisepause als etwas Besonderes empfunden. Aber Lohmann, der Wissenscha­ftler, sieht das natürlich nüchtern: „Das wird kein lang anhaltende­r Zustand sein.“

Zufällige Unterhaltu­ng im Zug

– Ich bin von Bamberg bis an den Ammersee geradelt. Dass es bei uns so schön ist, hätte ich nicht gedacht. Und ihr?

– Wir fahren heute bis Oberammerg­au. Und dann mit dem Rad immer an der Ammer entlang, bis Fürstenfel­dbruck. – Oh, das ist auch eine sehr schöne Idee.

Auch der Experte ist erstaunt vom Ergebnis der Umfrage

Viele wollten in den Ferien keine „engen Kontakte“

Was wird bleiben? Die Maske, glaubt Martin Lohmann. In öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und in Geschäften etwa. Alles, was in der Gesamtgese­llschaft verankert sei, gelte auch beim Reisen. Bleiben könnte auch das neue Interesse an nahen Zielen. Viele der Befragten erklärten, dass es ihnen auch im Harz, in der Eifel oder im Bayerische­n Wald überrasche­nd gut gefallen hat, obwohl sie ursprüngli­ch lieber weiter weggefahre­n wären. Die Erkenntnis, dass man schöne Erlebnisse auch mit weniger Aufwand haben kann, das ist nach Ansicht von Martin Lohmann der einzige Punkt, an dem durch Corona ein Lernprozes­s der Reisenden erkennbar ist. Viele hätten Deutschlan­d neu entdeckt und seien nun ganz begeistert von ihrem eigenen Land.

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Foto: Bernd Wüstneck/dpa

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