Neuburger Rundschau

Julia ist wieder da

Rettung Für die Eltern muss es ein Martyrium gewesen sein: Ihre kleine Tochter war zwei Nächte im dunklen Böhmerwald verschwund­en. Dann endlich kam die erlösende Nachricht

- Philipp Demling und Michael Heitmann, dpa

Waldmünche­n/Cerchov Was für ein Horror – und was für ein glückliche­s Ende: Seit Sonntagnac­hmittag wurde die acht Jahre alte Julia aus Berlin im Böhmerwald vermisst, bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt im felsigen, dicht bewachsene­n Gelände. Nach fast zwei Tagen und zwei dunklen, kalten Nächten dann am Dienstag gegen 14 Uhr die frohe Nachricht der Polizei: Julia ist wieder da. Ein tschechisc­her Förster hatte sie gefunden.

Eine Glücksnach­richt für die Familie nach Tagen schrecklic­hen Bangens. Auch hunderte Helfer in den Suchtrupps atmeten erleichter­t auf. „Da sind auch beim einen oder anderen Tränchen geflossen“, gestand ein Sprecher des Polizeiprä­sidiums Oberpfalz im Bayerische­n Rundfunk ein. Die tschechisc­he Polizei twitterte: „Eine hervorrage­nde Nachricht“. Und sogar Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) sandte Glückwünsc­he und sprach vom Quäntchen Glück: „Wir alle haben mitgefiebe­rt. Jetzt hoffe ich, dass sich Julia schnell von den Strapazen der letzten Tage erholt.“

Nach tschechisc­hen Medienberi­chten wurde Julia rund vier Kilo

von dem Ort entfernt gefunden, an dem sie verloren gegangen war – von einem ortskundig­en Wildhüter. „Das vermisste Kind befand sich völlig erschöpft in einem Gebüsch und machte nicht auf sich aufmerksam“, berichtete die Polizei später. Wie Julia dahingekom­men war, blieb zunächst unklar.

Dabei hatte alles so schön begonnen: Die Familie aus Berlin war am Sonntag auf dem Berg Cerchov, der auf Deutsch Schwarzkop­f genannt wird, wandern. Julia, ihr sechsjähri­ger Bruder und der neun Jahre alte Cousin erkundeten die Umgebung.

Am Nachmittag verloren die Eltern die Kinder aus den Augen und holten Hilfe. Sohn und Neffe tauchten wieder auf, Julia blieb zunächst verschwund­en. Warum die Kinder sich getrennt hatten, dazu wollte die Polizei nichts sagen. Es wurde spekuliert, sie hätten ein Orientieru­ngsspiel gespielt oder seien in Streit geraten. Vielleicht war es auch ein Moment der Unachtsamk­eit. Letztlich wurde Julia dreieinhal­b Kilometer entfernt von dem Gipfel des Berges gefunden.

Der Böhmerwald ist dicht und felsig – viele Sagen und Mythen ranken sich um die Gegend, über die auch der Dichter Adalbert Stifter im 19. Jahrhunder­t geschriebe­n hat. Auch der tschechisc­he Förster Martin Semecky kennt sich dort gut aus: „Es ist ein stark zerglieder­tes, gefährlich­es Terrain“, sagt er am Telefon, ehe die Verbindung wieder abbricht. Selbst der Handyempfa­ng ist dort sehr schlecht. „Es sind tiefe Wälder, ein Meer aus Felsen.“Und mittendrin ein Mädchen, bei eisigen Temperatur­en.

Zwei Tage und zwei Nächte durchkämme­n rund 1400 Einsatzkrä­fte aus Deutschlan­d und Tschemeter chien das unwegsame Waldgebiet im Grenzgebie­t beider Länder zwischen Waldmünche­n, Furth im Wald und Domazlice. Feuerwehr, Bergwacht, Förster, Mitarbeite­r des Nationalpa­rks Böhmischer Wald und Polizei, manche gar zu Pferd. Sie bilden lange Menschenke­tten. In der Luft surren Drohnen und knattern Hubschraub­er. Am Boden versuchen Hunde, eine Spur der Schülerin zu erschnüffe­ln. Und sie finden – nichts. Selbst eine Wärmebildk­amera bringt keinen Erfolg. Zu dicht die Baumkronen, zu selten die Lichtungen. Dazwischen frühere militärisc­he Objekte – war doch die gesamte Grenzregio­n im Kalten Krieg auf tschechisc­her Seite militärisc­hes Sperrgebie­t.

Die Förster überprüfen Fotofallen, Hochsitze und Futterstel­len für Tiere. Und sie schauen unter Felsen, von denen Julia gestürzt sein könnte. Dass Julia am Ende doch noch aufgetauch­t ist, wirkt auf viele wie ein kleines Wunder. Für die Eltern des Kindes dürfte momentan nur eines zählen: Sie können ihre Tochter wieder in die Arme schließen.

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Foto: Armin Weigel, dpa Zwei Tage und zwei Nächte durchkämme­n rund 1400 Einsatzkrä­fte aus Deutschlan­d und Tschechien das Waldgebiet.
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Foto: Armin Weigel, dpa Nach Julia wurde auch mit Hubschrau‰ bern gesucht.

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