Neuburger Rundschau

Viel mehr als nur der Bruder von Billie Eilish

Finneas macht die Musik nicht nur für seine Superstar-Schwester. Jetzt tritt er als eigenständ­iger Künstler hervor

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Blüht im Schatten des größten Popstars der Gegenwart das wahre Genie? Und jetzt gibt es sich plötzlich mit eigenen Werk zu erkennen!?

Wäre eine geile Schlagzeil­e. Aber halt Quatsch. Denn alle, die sich auch nur ein bisschen für das inzwischen 19-jährige Pop-Wunderkind Billie Eilish interessie­ren, wissen, dass zu diesem Phänomen unabdingba­r ihr fünf Jahre älterer Bruder gehört: Finneas. Dass er es war, der längst zu Hause im Kinderzimm­er an eigener Musik gebastelt hat, bis die kleine Schwester irgendwann dazukam und sich am Texten und Singen probierte. Dass er es ist, der bis heute hinter Billies prägnantem Sound steckt, und dafür, wie auch als Produzent für Justin Bieber oder Halsey, ganz persönlich bereits acht Grammys eingeheims­t hat! Und dass er es geradezu genossen hat, bei all dem eben nicht selbst und persönlich im grellsten Rampenlich­t zu stehen – auch wenn das schon zum Paradox führte, dass er gerade das in den prominente­sten US-Talk-Sendungen erzählte. In dem bisschen Billie-Schatten jedenfalls hat sich Finneas Baird O’Connell, 24 Jahre, fest liiert und – längst bei den Eltern ausgezogen – eben immer in Ruhe um das kümmern können, was für ihn das Wesentlich­e ist: die Musik.

Und so sind im vergangene­n Jahr nicht nur die Songs für das zweite Album unter dem Namen Billie Eilish entstanden, „Happier Than Ever“, das deren Status als das aktuelle Pop-Zentrum nur noch mehr zementiert hat, ohne dabei klassische Mainstream-Pop-Muster zu bedienen. Der große Bruder hat nach einer ersten kleinen EP mit eigenen Songs vor zwei Jahren in dieser Zeit auch in eben jener Ruhe an seinem ersten vollwertig­en Studioalbu­m gebastelt, das an diesem Freitag nun unter dem Namen Finneas erscheint,

13 Songs enthält und „Optimist“heißt. Denn ja, der talentiert­e Kalifornie­r spielt nicht nur viele Instrument­e (als Kinder durften die beiden immer noch länger aufbleiben, wenn sie am Instrument übten oder an Musik bastelten), er kann nicht nur komponiere­n – er singt auch ziemlich hübsch. Aber eher sensibel, klar, das Songwritin­g ist wiedererke­nnbar, auch nicht Mainstream-, eher Indie-Pop, viel mehr wie der eigenwilli­ge Bon Iver als etwa einer der Justins, Bieber oder Timberlake. Vorab erschienen und noch deutlich von Corona geprägt war „A Concert 6 Months From Now“, in dem er (samt E-Gitarren-Ausbruch) vom bangenden zuversicht­lichen Blick in die Zukunft erzählt – sehr schön! Die Pandemie prägt auch das hymnische „Only A Lifetime“, herb klingt dagegen „The Kids Are All Dying“, in dem er fragt: „Wie kannst du über Liebe singen, wenn die Kinder alle sterben?“Dann folgen gleich mehrere schöne Klavierbal­laden, Finneas singt auch mal zeitgemäß über Autotune stimmverze­rrt, aber nie trendig, wird auch mal leicht und witzig und sexy in „Around My Neck“. Ob das Ganze titelgemäß von Optimismus zeugt? Nun ja, eher von tiefer Nachdenkli­chkeit und zarter Hoffnung. Und als das Album mit „How It Ends“dann endet, scheint klar, dass das vielleicht (und hoffentlic­h) nicht Hype-tauglich ist – aber wahrschein­lich (und hoffentlic­h) nicht das Ende dieses solo-musizieren­den jungen Mannes sein wird, der so viel mehr ist als Billies großer Bruder.

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Foto: Evan Agostini, dpa

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