Neue deutsche SuperReiche
Impfstoff In Deutschland gibt es trotz Corona mehr Milliardäre. Das liegt auch am Aufstieg von Biontech. Dessen Gründerpaar lebt bescheiden in einer kleinen Wohnung und sieht Geld nur als Mittel zur Forschung. Über eine wachsende Generation ethisch motivi
Mainz Seit 2001 veröffentlicht das Manager Magazin eine Liste der hundert reichsten Deutschen. Das Kapitalismus-Ranking ist ein Spiegel der Gesellschaft, zeigt es doch, wer nach oben schießt und wer tief fällt. Es lag nahe, dass während der Corona-Krise mit Geschäftsschließungen und Lieferproblemen das Vermögen der Super-Reichen schrumpfen würde. Es kam anders: Die Zahl der Milliardäre wuchs 2021 auch dank des Aktien- und Immobilienbooms um 24 auf 213. Auf den ersten fünf Plätzen sind vertraute Gesichter auszumachen: Die BMW-Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt landeten mit Zuwächsen auf Platz eins, gefolgt von Dieter Schwarz (Lidl), Klaus-Michael Kühne (Logistik, Schifffahrt) und den Familien Reimann (Getränke, Kosmetik) sowie Merck (Pharma, Chemie).
Ehe sich die Aldi-Süd-Eigner auf Platz acht einreihen, hat sich ein Brüderpaar vom Tegernsee dazwischengeschoben. Thomas und Andreas Stüngmann, 71, sind Zwillinge und haben früh Biontech, dem Aufsteiger des Jahres, vertraut. Als Thomas Strüngmann finanziell massiv auf die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Ug˘ur S¸ahin, also die von beiden vorangetriebene Form der Immuntherapie, setzte, verstand er „zu diesem Zeitpunkt nicht viel davon“. Doch der Mann war fasziniert von ihnen und dachte sich: „Das ist das Paar, das unsere Träume erfüllen wird.“Die Strüngmann-Brüder und das Biontech-Paar eint derselbe Lebenstraum: Sie wollen schwere Krankheiten wie Krebs besiegen.
Dazu bedarf es viel Geld, schließlich verschlingen Projekte in der Pharmaindustrie Milliarden. Doch wer Äußerungen der fantastischen Vier studiert, gewinnt den Eindruck, Geld sei für sie Mittel zum Zweck und nicht Selbstzweck. Türeci und S¸ahin sprechen von der „neuen Generation ethisch motivierter Gründer“, was auf eine oft
Kritische Stimmen zum Börsenhype mehren sich
als Utopie abgetane Versöhnung von Kapital und Moral hinausläuft.
Mit einer derartigen Mentalität lässt sich die deutsche Wohlstandsmeisterschaft aufmischen. Würde das geschätzte Vermögen der Strüngmanns von je 24 Milliarden Euro zusammengeworfen, wären sie dank ihres Anteils von gut 47 Prozent an Biontech klarer Wohlstandstabellenführer. Dabei haben Türeci und S¸ahin, die über ein Vermögen von rund 13,5 Milliarden Euro verfügen sollen, auf Anhieb Platz 13 erobert. Der Wohlstand der Strüngmanns und des Biontech-Paars schwankt munter, hängt er doch vom Aktienkurs ab. Nach extrem überhitzt wirkenden Spitzenwerten von fast 400 Euro hat sich der Wert auf rund 215 Euro zumindest etwas abgekühlt. Zu Beginn des Jahres stand die Aktie erst bei etwa 70 Euro. Um das Papier ist ein Hype entstanden. An manchen Börsen wird es intensiver gehandelt als jeder andere Wert. Auch wenn manche Aktiensachkundigen Biontech nach wie vor empfehlen, mehren sich kritische Stimmen. Ein Wertpapier-Profi, der gerade der Kleinanlegerschaft seit längerem zur Vorsicht rät, ist Ingo Schweitzer, Vorstand der Kaufbeurer Vermögensbetreuungs AG AnCeKa. Er warnt weiter vor euphorischen Hochrechnungen, nach denen sich der Biontech-Börsenwert vervielfachen könnte. Schweitzer ist wie viele nicht eingestiegen, schließlich war es lange unklar, welcher Impfstoffhersteller das Rennen macht. Nun wolle er nicht mehr, wie er sagt, auf den Zug bei nach wie vor hohen Preisen aufspringen. Seiner Ansicht ist das hoch spekulative Papier „für Privatanleger problematisch“.
Die nervösen Kursausschläge scheinen die Firmen-Gründer nicht aus der Fassung zu bringen, ebenso wenig, dass sie beim Nobelpreisreigen leer ausgingen. Sie treten hartnäckig ruhig auf, äußern sich sachlich, erklären verständlich Vorhaben, strahlen Zuversicht aus und lächeln. Als Hausärztin und Hausarzt wären beide sicher beliebt.
Doch verändert Geld nicht auch ihren Charakter? Warum sollten so erfolgreiche Menschen nicht in einer großen Villa leben und schicke Autos fahren? Wer sich im Unternehmen umhört, erfährt über das Gründer-Paar, sie würden weiter in der Mainzer Dreizimmerwohnung leben und nach wie vor auf einen Fernseher verzichten. S¸ahin, der wie seine Frau asketisch und sportlich wirkt, verschmäht unverdrossen ein Auto und fährt mit dem Fahrrad. Zwar trägt er bei Auftritten ein Sakko zu Hemd und Jeanshose, hält aber sonst an seiner Vorliebe für einfarbige T-Shirts fest. Nach wie vor geizen Türeci und ihr Mann mit Details über ihr Privatleben. Einen Journalisten haben sie doch näher an sich herangelassen und ihm Einblicke gewährt. Der Financial-Times-Autor Joe Miller interessierte sich früh für Biontech und gewann Türeci und S¸ahin als Co-Autoren für sein Buch über ihr Wirken („Projekt Lightspeed. Der Weg zum Biontech-Impfstoff“).
Die Arbeit liest sich wie ein Thriller, schließlich gelang es dem Unternehmen, in Rekordzeit einen Corona-Impfstoff mit einem Nischen-Verfahren zu entwickeln, welches das Mediziner-Ehepaar gegen Widerstände verfolgt hat und sich für seine Sturheit, abgesehen von den Strüngmann-Zwillingen, manch heftige Kritik von Investorenseite anhören musste. Matthias Kromayer, der selbst als Mikrobiologe wie Türeci und S¸ahin reichlich von mRNA-Forschung, auf welcher auch der Corona-Impfstoff aufbaut, versteht, soll früh gewarnt haben: „Ich habe Ug˘ur unverblümt gesagt, dass ich das schlichtweg für verrückt halte.“S¸ahin war jedoch viel zu überzeugt von seiner Idee, Menschen gegen schwere Krankheiten wie Krebs zu immunisieren, als dass er sich davon abbringen ließ. Hier zitiert der Superhelden-Fan gerne aus seinem Lieblingsfilm „Batman Begins“. Dort heißt es ja, nur der Wille entscheide.
Miller ist zum Schluss gekommen, es sei die schiere Willenskraft des Biontech-Ehepaars gewesen, die zum Corona-Impfstoff führte. Das Buch endet mit dem Satz: „Der entscheidende Wirkstoff hinter dem Vakzin war nicht die RNA. Es waren Ug˘ur S¸ahin und Özlem Türeci.“
Sind es wirklich vorrangig edle Motive, die das Mediziner-Ehepaar antreibt, oder sind sie nicht vor allem clevere Geschäftsleute? Das eine schließt das andere nicht aus. Moral und Rendite müssen keine Gegensätze sein. Erzählungen belegen, dass S¸ahin, der Mathematik überaus liebt und entsprechende Fachbücher wie Romane verschlingen soll, mit den Biontech-Jahren zum knallharten Geschäftsmann herangewachsen ist. Doch er gilt auch als Nerd, eben als auf Spezialthemen fixierter Mensch, wie seine Frau immer wieder über den 56-Jährigen sagt. S¸ahin sitzt zu Hause gerne vor zwei Bildschirmen, analysiert Studien und leitet daraus Ideen für das Unternehmen ab. Wenn die neuen Milliardäre verreisen, geben sie einen Extra-Koffer auf, in dem sich neben den zwei Bildschirmen eine Kaffeemaschine samt Mühle befindet. Die Ferienzeit ist nur teilweise von wissenschaftlicher Beschäftigung geprägt. Sie steht vor allem im Zeichen eines knallharten Sportprogramms mit Lauf- und Schwimmtraining. Dass beide schlank sind, haben sie nicht nur dem AlkoholVerzicht zu verdanken. Kaffee und Tee sind ihre geistigen Treibstoffe.
Auf alle Fälle verschwendet das Ehepaar ungern Zeit. Verbürgt ist, wie Türeci, 54, und S¸ahin sich nach der Hochzeit nicht mit Feierlichkeiten aufhielten und rasch ins Labor abgedüst sind. Die Mentalität mag erklären, mit welcher Lichtgeschwindigkeit der Impfstoff entwickelt wurde. Hier könnte den Biontech-Lenkern eine entsprechende Impfung gegen Krebs sicher mehr Geduld abverlangen. Das wird sie schmerzen, litten beide doch darunter, dass ihnen einst bei der Behandlung von Krebserkrankungen nur begrenzte Mittel zu Verfügung standen und Menschen starben.
Nach solchen Tagen der Tränen verschwor sich das Paar. Türeci und S¸ahin träumten davon, dass das Immunsystem fähig ist, gegen todbringende Feinde das Feuer zu eröffnen. Schon als Kind konnte S¸ ahin es nicht akzeptieren, „dass Menschen, die Krebs bekommen, obwohl sie gesund aussehen, todkrank sind“. In ihm reifte der Entschluss, Arzt zu werden. Auf einer Krebsstation traf er seine spätere Frau.
Türeci nennt sich und ihren Mann selbstironisch „ImmunsytemFlüsterer“. Dass ihre Methode bei Corona fruchtete, kommentiert sie philosophisch, ja theologisch: „Wir waren glücklich und dankbar, dass die Natur sich als barmherzig erwiesen hatte.“Die Biontech-Gründerin stellt die Natur über ihre eigenen
Leistungen. Die neuen, ethisch motivierten Milliardäre widerstehen der Versuchung zu prahlen, dass ihr Unternehmen an der Börse wertvoller als der Aspirin-Konzern Bayer ist. Sie stellen lieber die Leistungen des Teams mit Menschen aus über 60 Nationen heraus, wobei mehr als die Hälfte Frauen sind.
S¸ahin selbst sagt, er habe den für Erfolg nötigen Mannschaftsgeist während seiner Studienzeit beim Fußballspielen auf den Kölner Rheinwiesen erlernt. Oft hätten hier lustige Truppen mit Kindern und Erwachsenen gegeneinander gekickt. Wie im Fußball verhält es sich wohl auch in der Pharmaindustrie: Auf Dauer setzt sich das bessere Team durch.
In ihrem Team spielen Türeci und S¸ahin nicht ganz vorne, sondern eher als Regisseure im BiontechMittelfeld. Die Position der Mittelstürmerin haben sie einer gebürtigen Ungarin überlassen, deren Vater Metzger war und die mit Mann und Tochter in die USA ausgewandert ist. Die Biochemikerin Katalin Kariko, 66, gilt als unverwüstliche Mutter der RNA-vermittelten Immunaktivierung. Die Wissenschaftlerin musste Rückschläge hinnehmen und auf Beförderungen verzichten, weil sie stur an dem Verfahren, das lange ein Nischendasein fristete, festhielt. Weil Kariko sich in der US-Wissenschaftslandschaft isoliert fühlte, engagierten sie Türeci und S¸ahin 2013 für Biontech – ein Glücksfall. Einst hatte die Ungarin an einem Tiefpunkt ihrer Karriere sich trotzig zugerufen: „Ich bleibe so lange am Leben, bis ich erfahre, dass meine Forschung jemandem geholfen hat.“Dafür nahm sie mit ihrer Familie einiges in Kauf: Vor der Ausreise in die USA hatte Kariko 900 englische Pfund, die sie für das Familienauto bekam, in den Teddybären der Tochter eingenäht, durfte sie doch nur wenige Devisen ausführen.
Wie Türeci und S¸ahin will die Forscherin nicht an ihren Lebensgewohnheiten rütteln: „Natürlich
Eine gebürtige Ungarin ist wichtig für Biontech
könnten wir uns heute ein größeres Haus und ein neues Auto leisten. Aber wozu?“Die Biontech-Gründer sehen das ähnlich: „Wir brauchen nicht viel.“Sie brauchen jedoch mehr als alles andere, so wirkt es: einander. Es ist interessant zu beobachten, wie das Paar vor Kameras agiert. Nachdem ein Reporter eine Frage gestellt hat und offenlässt, wer antworten soll, schaut Türeci für wenige Sekunden ihrem Mann in die Augen und spricht mit sanfter, heller Stimme, wie sie auch S¸ahin eigen ist. Das Zeremoniell wiederholt sich ein ums andere Mal. Der männliche Part kommt auch zu Wort: „Ich fang jetzt mal an.“Türeci verrät: „Wir sind so eingespielt, dass wir immer synchron sprechen.“
Der Erfolg der Biontech-Milliardäre scheint neben Hartnäckigkeit, langem Atem, Visionen, Teamgeist, asketischem Lebensstil, Überzeugungskraft und Geschäftssinn auch auf Gleichberechtigung zu beruhen.