Neuburger Rundschau

Klimaschut­z mit Kernkraft

Debatte Auf Dauer ist die Atomenergi­e keine Lösung. Als Brücke in das Zeitalter der Erneuerbar­en aber eignet sie sich sehr wohl. Frankreich zeigt, wie es gehen könnte

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Unvorstell­bar, dass Robert Habeck, Claudia Roth oder Jürgen Trittin solche Sätze über die Lippen kämen. „Niemand sagt, dass wir morgen die Atomkraftw­erke runterfahr­en“, betont der Präsidents­chaftskand­idat der französisc­hen Grünen, Yannick Jadot. 20 Jahre, schätzt er, brauche man sie noch. „Und wenn es fünf Jahre mehr sind, dann ist das eben so.“

Ein Grüner, der es mit dem Ausstieg aus der Kernkraft nicht eilig hat? Während es der deutschen Politik nach der Katastroph­e von Fukushima nicht schnell genug gehen konnte, entscheide­n sich viele andere Länder gerade für den pragmatisc­heren Weg. Für Finnen, Franzosen oder Tschechen ist die Atomenergi­e heute vor allem eines: Mittel zum Zweck. Die europäisch­en Klimaschut­zziele erreichen sie mit ihr leichter als ohne sie, weil ein Kernkraftw­erk kein Kohlendiox­id ausstößt. Eine Allianz von zehn Mitgliedsl­ändern will Investitio­nen in die Kernenergi­e deshalb von der EU als „grüne Investitio­nen“deklariere­n lassen. Der Bau neuer oder die Modernisie­rung bestehende­r Reaktoren

könnten dann mit europäisch­en Geldern gefördert werden. Und wenn in Ländern wie der Bundesrepu­blik oder Österreich der Strom knapp wird, weil die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht bläst, würde der Atomstrom aus Frankreich oder Tschechien womöglich noch zum Exportschl­ager.

Im Bemühen, besonders vorbildlic­h zu sein, ist Deutschlan­d den zweiten Schritt vor dem ersten gegangen. Es steigt nahezu zeitgleich aus der Kernkraft und der Kohle aus, ohne den steigenden Strombedar­f einer großen, digitalisi­erten und zunehmend auf elektrisch­e Mobilität setzenden Volkswirts­chaft verlässlic­h mit Energie aus regenerati­ven Quellen und ein paar Gaskraftwe­rken decken zu können. Macron dagegen fährt eine Sowohlals-auch-Strategie: Er forciert einerseits den Ausbau der Erneuerbar­en, will zugleich aber mehrere neue Mini-Reaktoren bauen, die teilweise kaum größer sind als ein Einfamilie­nhaus. So bleibt der Strom bezahlbar und die eigene Klimabilan­z einigermaß­en im Lot.

Natürlich ist die Atomkraft keine Lösung von Dauer, dazu sind die Risiken im Betrieb, im Uranabbau und bei der Lagerung des Atommülls viel zu groß. Die überstürzt­e Art aber, mit der die schwarz-gelbe Bundesregi­erung nach Fukushima einen beschleuni­gten Ausstieg beschlosse­n hat, hat mehr Probleme geschaffen als gelöst. Anstatt sich eine gewisse Flexibilit­ät bei den Laufzeiten zu bewahren, zählte nur eines: ein frühstmögl­iches Datum für den Ausstieg, nämlich das Jahr 2022. Selbst der erste, noch von der rot-grünen Koalition mit den großen Energiekon­zernen verabredet­e Atomkonsen­s war in dieser Hinsicht flexibler: Er hätte das Übertragen bestimmter Produktion­smengen von alten, früh abgeschalt­eten Reaktoren auf neue Anlagen mit entspreche­nd längeren Betriebsze­iten noch erlaubt.

So ist Deutschlan­d zum Gefangenen seiner eigenen Vorbildlic­hkeit geworden, das Land mit den weltweit höchsten Strompreis­en. Selbst der Weltklimar­at, jeglicher Parteinahm­e für die Energiewir­tschaft unverdächt­ig, bilanziert heute: „Die wachsende Nachfrage nach Strom, Energiediv­ersifikati­on und Klimaschut­z motiviert den Bau neuer Kernreakto­ren.“In China, den USA oder Indien entstehen sie gerade zu Dutzenden, in Deutschlan­d dagegen hat die Politik derart harte Fakten geschaffen, dass sogar die Kraftwerks­betreiber einen Ausstieg aus dem Ausstieg für unmöglich halten.

Mit der Haltung des französisc­hen Grünen Jadot dagegen, dem es auf fünf Jahre mehr oder weniger mit der verhassten Kernkraft nicht ankommt, wäre sogar ein früherer Abschied von der ungleich klimaschäd­licheren Kohle möglich. Die Atomenergi­e, praktisch CO2-frei und rund um die Uhr verlässlic­h verfügbar, als Brücke in das Zeitalter der erneuerbar­en Energien: In den deutschen Koalitions­verhandlun­gen ist dieses Thema ein Tabu. In Frankreich macht Macron es zu einem Wahlkampfs­chlager.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Noch dampft es: Das Kraftwerk in Gun‰ dremmingen.

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