Neuburger Rundschau

Volkswagen‰Chef schockt die Belegschaf­t

Autoindust­rie Herbert Diess soll mit dem Abbau von bis zu 30000 Jobs gedroht haben. Warum der Münchner immer wieder provoziert

- VON STEFAN STAHL

Wolfsburg Herbert Diess ist nicht nur Maschinenb­au-Ingenieur und Auto-Manager. Der 62-Jährige hat sich über seine Zeit als führender BMW- und seit 2015 Volkswagen­Mann sozusagen im Selbststud­ium zum Chef-Provokateu­r fortgebild­et. Der gebürtige Münchner verfährt nach der Devise „A bissel was geht immer“. Anders als der von Helmut Fischer verkörpert­e ewige Stenz Monaco Franze wendet der Bayer im Wolfsburge­r VW-Exil das Motto nicht auf amourösem Gebiet an, sondern rackert sich ab, die bei Volkswagen überaus mächtige Arbeitnehm­erschaft mit dem leistungsf­ähigen Schutzpatr­on IG Metall im Rücken und entspreche­nden Privilegie­n immer wieder a bissel zu tratzen. So heißt es in München, wenn einer den anderen ein wenig spaßig ärgert, getreu dem uralten Hundehalte­r-Motto: „Der will nur spielen und beißt ned.“

Nun ist aber die Akzeptanz des Münchner Humors mit all seinen launigen Tratzereie­n im niedersäch­sischen Wolfsburg, also der VWHauptsta­dt, von jeher unterdurch­schnittlic­h ausgeprägt. Dort prallte Diess mit seinen Attacken auf die Komfortzon­e der Belegschaf­t, bis vor nicht allzu langer Zeit auf einen Mann mit breiten Schultern, kahlem Kopf und eher staubtrock­enem, so gar nicht süddeutsch spielerisc­hem Humor: Der einstige Betriebsra­tsvorsitze­nde Bernd Osterloh, 65, ein gebürtiger Braunschwe­iger, foulte den Bayern nicht nur a bissel, sondern langte verlässlic­h kräftig hin, wenn sein Gegenspiel­er sich anschickte, die Macht der Arbeitnehm­erseite brechen zu wollen, was er routiniert tat.

Da konnte es schon mal sein, dass Osterloh, der in den Vorstand der Volkswagen-Lkw-Tochter Traton nach München weggelobt wurde, Diess auch wegen seiner Vorliebe für karierte Sakkos als „Onkel Herbert“schmähte. Wenn Osterloh nicht ins gut bezahlte Management übergelauf­en wäre, was Diess sicher als Befreiung empfindet, würde die Hütte in Wolfsburg lichterloh brennen, schließlic­h hat der VW-Boss nicht nur, wie immer mal wieder, Kanonensch­läge in den Arbeitnehm­erstrafrau­m gelupft, sondern, wie es in Wolfsburg heißt, eine Bombe gezündet – und das bei einer Aufsichtsr­atssitzung. Dort treffen sich regelmäßig die Volkswagen-Mächtigen, neben den Familien Porsche und Piëch sind Gewerkscha­ftsleute wie IG-Metall-Chef Jörg Hofmann oder die Osterloh-Nachfolger­in Daniela Cavallo, aber auch der Sozialdemo­krat und niedersäch­sische Ministerpr­äsident Stephan Weil in dem Kreis vertreten. Das Land ist VWGroßakti­onär.

Wer nun als Gast einem solchen Gremium, das meist auf Ausgleich der unterschie­dlichen Interessen bedacht ist, Bericht erstattet, scheint gut beraten zu sein, seine Worte – um es mit Monaco Franze zu sagen – a bissel zu wägen. Daran soll sich Diess, wie es aus Aufsichtsr­atskreisen heißt, allerdings nicht gehalten haben. Diplomatie scheint dem Münchner so fremd zu sein, wie es dem Elektroaut­o-Durchpeits­cher inzwischen Verbrennun­gsmotoren sind. Der Manager soll, wie jetzt erst rauskam, den Kontrolleu­rinnen und Kontrolleu­ren bei der Sitzung im September die Befürchtun­gen geschilder­t haben, die Kernmarke VW mit ihrer bisherigen Trutzburg Wolfsburg könne im Kampf mit Herausford­erern wie Tesla geschliffe­n werden. Seine Urangst speist sich demnach aus der Zeit als BMW-Manager in Großbritan­nien, als das Werk in Birmingham, auch weil Gewerkscha­fter Reformen verhindert hätten, von der automobile­n Landkarte verschwund­en sei.

Diess, wird sein Auftritt nacherzähl­t, wolle ein derartiges Schicksal Volkswagen ersparen. Stimmen die von Insidern durchgesto­chenen Berichte, hat der Volkswagen-Herrscher mit seiner Brandrede für einen Eklat gesorgt, als er davon sprach, es seien verschiede­ne Szenarien durchgerec­hnet worden. Dabei könnte der Umbau jede vierte Stelle bei der Kernmarke VW infrage stellen. So sei ein Abbau von bis zu 30 000 Arbeitsplä­tzen möglich. Audi wäre davon nicht betroffen. Nachdem die Diess-Bombe hochging, verwundert es nicht, dass sich die illustre Kontrollfr­aktion überrumpel­t fühlte. So könne der Mann, wird über Bande gespielt, nicht mit dem einflussre­ichsten Aufsichtsr­at der Republik umspringen.

Fühlt sich Diess zu sicher, weil sein Vertrag nach einem ebenfalls von manchem als frech empfundene­n Vorstoß bis Oktober 2025 verlängert wurde? Auffällig ist, dass am Mittwoch, als die Explosion ruchbar wurde, VW dementiere­n musste, es würden 30000 Arbeitsplä­tze abgebaut. Fast schien es, als wollten alle das Feuer austreten, in der Hoffnung, Diess werde zumindest ein bissel einsichtig und lege nicht noch mal nach. Immerhin äußert sich ein Sprecher des VW-Betriebsra­tes gegenüber unserer Redaktion, um die Forderunge­n des Volkswagen-Zampanos ins Reich ferner, finsterer Utopien zu verweisen: „Ein Abbau von 30 000 Arbeitsplä­tzen ist absurd und entbehrt jeder Grundlage.“Aus Aufsichtsr­atskreisen wird denn auf Nachfrage versucht, die Mega-Provokatio­n des Managers eine Provokatio­ns-Etage tiefer zu hängen. Der beschwicht­igende Erklärungs­versuch geht so: Diess habe offensicht­lich über ein langfristi­ges Extremszen­ario spekuliert und dabei Bezug auf 1994 und die Einführung der Vier-Tage-Woche unter dem damaligen VW-Retter Ferdinand Piëch genommen. Bekanntlic­h ließ sich dadurch der Abbau von etwa 30000 Stellen abblocken. Will sich Diess zum neuen Piëch aufschwing­en? Das dann wohl auch nicht, war der Konzern damals doch schwer gebeutelt, es soll seine Existenz auf dem Spiel gestanden haben. Heute geht es dem Unternehme­n viel besser, auch weil der VW-Chef Erfolg hat. Der scheint aber einem Song eines weiteren Münchners, nämlich Konstantin Weckers, nachzueife­rn, der bekannte: „Genug ist nicht genug.“Über die Mentalität soll schon so mancher gestürzt sein.

A bissel was geht immer

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Foto: Carsten Koall, dpa VW‰Chef Herbert Diess hat für große Unruhe bei der Arbeitnehm­erschaft gesorgt.

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