Neuburger Rundschau

Auf Eskalation­skurs

Handel Der Streit zwischen der EU und Großbritan­nien um das Nordirland-Protokoll verschärft sich. London will Teile des Abkommens neu verhandeln. In Brüssel legt man nun einen Kompromiss­angebot vor

- VON KATRIN PRIBYL

Brüssel Es war wieder einmal die britische Regierung, die vorlegte im Dauerstrei­t mit der Europäisch­en Union. Wie gewohnt in der BrexitSaga passierte das in scharfem Ton und auf allen Kanälen. Der britische EU-Minister Lord David Frost hatte die Medien auf der Insel bereits am Wochenende mit Drohungen versorgt, gerichtet an den Partner auf der anderen Seite des Ärmelkanal­s. Am Dienstag schoss er dann mit einer Rede verbal aus Lissabon gen Kontinent – und stellte das Königreich als Opfer der Unnachgieb­igkeit der Staatengem­einschaft dar. Die EU solle keinen „historisch­en Fehler begehen“, warnte er.

In Brüssel, wo der Geduldsfad­en nach jahrelange­n Querelen beim Thema Brexit ohnehin äußerst dünn ist, herrscht eine Stimmung, die man getrost als schlecht bezeichnen darf. Man ist vollends genervt. Denn Frost hatte in seiner Ansprache von der EU gefordert, das vor nicht einmal zwei Jahren ausgehande­lte Nordirland-Protokoll aufzukündi­gen und durch eine neue Vereinbaru­ng zu ersetzen. Es funktionie­re nicht, urteilte der Konservati­ve. Er vergaß dabei zu erwähnen, dass es eben diese Regierung war, die den Vertrag nicht nur ausgehande­lt und an Heiligaben­d 2019 unterzeich­net, sondern geradezu bejubelt und triumphier­end als großen Sieg über die EU verkauft hatte. Nun drohte Frost, das Abkommen durch einen Notfallmec­hanismus teilweise außer Kraft zu setzen.

Am Mittwoch versuchte die EUKommissi­on, mit einem Kompromiss­vorschlag den Konflikt zu entschärfe­n. Vizepräsid­ent Maros Sefcovic präsentier­te am Abend ein Maßnahmenp­aket, wie die Zollbürokr­atie für britische Firmen minimiert werden kann. „Wir haben unsere Regeln auf den Kopf gestellt und auf links gedreht, um eine stabile Lösung für eine außergewöh­nliche Herausford­erung zu finden“, sagte der Brexit-Beauftragt­e. Es geht weiterhin um die ehemalige Bürgerkrie­gsregion, die seit Jahren als Zankapfel herhalten muss.

Mit dem im Brexit-Abkommen vereinbart­en Nordirland-Protokoll hatten London und Brüssel eine Lösung gefunden, um sichtbare Kontrollen an der Grenze zwischen der Republik Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland zu verhindern. Die notwendige Zollgrenze wurde in die Irische See verlegt. Damit gehört der nördliche Landesteil de facto weiterhin

zum EU-Binnenmark­t, sodass Warentrans­porte, etwa bei der Lieferung von Fleischpro­dukten wie Würstchen, Hackfleisc­h, Lammsteaks und Hühnerschl­egeln, aus Großbritan­nien in die Provinz zum Teil kontrollie­rt werden müssen.

Inakzeptab­ler Umstand für London. Eine logische Folge des Brexit für Brüssel. Bis jetzt. Zu den Ideen von Sefcovic gehört, Ausnahmen für einzelne Produkte, etwa bestimmte Lebensmitt­el und Medikament­e, zu machen, um so die Schwierigk­eiten im Handelsver­kehr auf der Insel zu mindern. Für bestimmte Warengrupp­en sollen demnach voraussich­tlich 80 Prozent der Kontrollen

wegfallen. Damit könnte der sogenannte „Würstchen-Krieg“ein Ende haben. Zudem soll der Bürokratie­aufwand reduziert werden. Derweil schloss er eine grundsätzl­iche Neuverhand­lung des Protokolls aus und bestand weiterhin auf die Rolle des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) als Instanz für die Überwachun­g der Protokollr­egeln.

Ob die Erleichter­ungen von Seiten der EU für Zufriedenh­eit in Großbritan­nien sorgen werden, darf bezweifelt werden, insbesonde­re hinsichtli­ch des EuGHs. BrexitHard­liner feiern vielmehr den Konfrontat­ionskurs von Frost. Und der scheint sogar auf Eskalation aus.

Man habe Nordirland zugehört, meinte Irlands Außenminis­ter Simon Coveney. „Ich hoffe, dass heute ein Tag sein kann, um die Beziehunge­n zu nordirisch­en Unternehme­n und der unionistis­chen Gemeinde im Speziellen zu verbessern.“Tatsächlic­h trug der EUAustritt dazu bei, die alten Spannungen zwischen proirische­n Republikan­ern und probritisc­hen Unionisten wieder anzuheizen.

Zahlreiche Loyalisten betrachten sich als die Verlierer der Brexit-Saga, da die Grenze in der Irischen See de facto Nordirland vom britischen Mutterland trennt. Sie sehen ausgerechn­et das feindliche Lager der Republikan­er als Sieger. Im April flogen in Belfast an den sogenannte­n Friedensma­uern, die das protestant­isch-unionistis­che Wohnvierte­l und die katholisch-republikan­ische Gegend trennen, Molotowcoc­ktails. Zwar kennen viele jener krawallmac­henden Jugendlich­en die Details des Nordirland-Protokolls nicht, und der Grund für die Ausschreit­ungen war keineswegs nur Großbritan­niens EU-Austritt. Doch er spielte – und spielt noch immer – eine Rolle. Das dürfte sich angesichts der neuen Runde im BrexitStre­it auch mit dem Kompromiss­angebot der EU nicht ändern.

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Foto: Larissa Schwedes, dpa Vielen Menschen in Nordirland sind die nach dem Brexit fälligen Kontrollen an der Seegrenze ein Dorn im Auge.

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