Neuburger Rundschau

„Dann werde ich so ein bisschen zum Brummbär“

Interview Die Eiskunstla­uf-Olympiasie­gerin Katarina Witt über zugelegte Pfunde im Corona-Lockdown, die Bedeutung des Breitenspo­rts, die Fehler der Politik, frische Luft und alte Playboy-Fotos

- Interview: Rüdiger Sturm

Frau Witt, gehören Sie auch zu den vielen sportbegei­sterten Menschen, die während der Pandemie das Stand-upPaddeln für sich entdeckt haben? Katarina Witt: Ausprobier­t habe ich das tatsächlic­h mehrmals. Merke aber jedes Mal, dass ich mich auf gefrorenem Wasser wohler fühle. Die ganz große Wasserratt­e bin ich sowieso nicht.

Kommen Sie denn noch regelmäßig zum Eislaufen?

Witt: Letztes Jahr war ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder auf dem Eis, für einen Werbespot, und es hat mir richtig Spaß gemacht. Dann wurden während Corona selbst die riesigsten und luftigsten Eishallen geschlosse­n. Für diesen Winter sollte es aber keine Ausreden mehr geben.

Machen Sie jeden Tag Sport?

Witt: Ich versuche schon, mich täglich in irgendeine­r Form zu bewegen. Auch ich muss mir feste Zeiten vornehmen, in denen ich mich dem Sport widme, das Handy weglege und alle anderen Aufgaben und Verpflicht­ungen hintenanst­elle.

Was passiert denn mit Ihnen, wenn Sie ein paar Tage nichts machen?

Witt: Dann werde ich so ein bisschen zum Brummbär.

Wie viel haben Anti-BrummbärSp­ort und Leistungss­port auf Olympianiv­eau miteinande­r zu tun?

Witt: Da besteht ein Riesenunte­rschied. Ich mache heute nur noch Wohlfühlsp­ort. Auch für meine Mitglieder im Sportstudi­o lautet die Devise, dass man sich hinterher besser fühlen soll als vorher. Im Leistungss­port war es meistens umgekehrt. Da bin ich zum Teil aus der Eishalle gekrochen, so anstrengen­d war das. Ich bin dankbar für meine Zeit im Leistungss­port und auch dankbar dafür, ein leidenscha­ftliches Team mit meiner Trainerin Jutta Müller an der Spitze gehabt zu haben, das mich über meine Grenzen hinausgebr­acht hat. Denn erst dann merkst du, wie leistungsf­ähig du tatsächlic­h bin. Aber alles zu seiner Zeit. Heute ist mir der Sport vor allem wichtig für meine Gesunderha­ltung.

Sind Sie soweit zufrieden mit Ihrem Körper und Ihrer Fitness?

Witt: Bin ich. Ich habe aufgehört zu denken, dass man alles optimieren muss, so wie das als Leistungss­portlerin der Fall war. Ich bin mit meiner körperlich­en Verfassung zu 95 Prozent zufrieden, und das genügt mir.

Sie pfeifen also auf die restlichen fünf Prozent?

Witt: Also klar, das Gefühl „drei Kilo könnten runter“, das habe ich seit 30 Jahren. Es geht halt stetig ein kleines bisschen nach oben. Aber ich muss

keine Olympiasie­gerin mehr werden.

Die wenigsten haben die Pandemie in Sachen Wohlfühlge­wicht vermutlich unbeschade­t überstande­n, oder?

Witt: Zwischenze­itlich war es bei mir so, dass ich dachte „jetzt ist eh alles egal“. Die Corona-Politik war für mich auch eine Form der Entmündigu­ng. Es hat mich psychisch mitgenomme­n, dass ich mich als verantwort­ungsvolle Bürgerin komplett außen vor gefühlt habe, während eine kleine Anzahl von Politikern ihre Beschlüsse über unsere Köpfe hinweg fasste. Da wurde genüsslich­es Naschen so etwas wie Seelentros­t für mich. Und weil während Corona alles geöffnet war, wo man Ess- und Trinkbares kaufen konnte, aber alles geschlosse­n, wo man es hätte abtrainier­en können, haben viele eben etwas zugelegt.

Was halten Sie vom Trend der „Body Positivity“und der Haltung, dass jeder Körper schön ist?

Witt: Ich finde es gut, dass man wegkommt von dieser Perfektion­ierung. Gerade für junge Mädchen kann der Druck, sich total optimiert in den sozialen Medien zu präsentier­en, wirklich tragisch und gefährlich sein. Ich halte es jedoch für bedenklich und auch etwas bequem, wirkliches Übergewich­t positiv darzustell­en. Denn es ist einfach nicht gesund.

Sie sind in diesem Jahr als Kritikerin der Corona-Maßnahmen aufgefalle­n. Was hätten Sie anders gemacht? Witt: Die Politik hat vieles richtig entschiede­n, aber in meinen Augen hat sie auch zahlreiche Fehler gemacht. Einige Branchen und Bereiche – Breitenspo­rt, Kultur, Einzelhand­el etwa – sind komplett ignoriert worden. Ich hätte mir gewünscht, dass die Politik den Bürgerinne­n und Bürgern mehr Eigenveran­twortung zugestande­n hätte. Wie kann man denn den ganzen Sportund Fitnessber­eich für Jung und Alt insgesamt fast ein Jahr lang schließen? Wo doch gerade der Sport so wahnsinnig wichtig ist für unser Immunsyste­m und unsere Abwehrkräf­te.

Was hat die Zeit mit Ihnen gemacht? Witt: Mein unerschütt­erlicher Glaube an unsere Demokratie hat Risse bekommen und mir vor Augen geführt, wie abhängig wir mal wieder von einzelnen Personen in der Politik sind. Als jemand, der aus der ehemaligen DDR stammt, den Mauerfall und die Wiedervere­inija gung erlebt hat, ist mir unsere Demokratie mit das wichtigste Gut. Dass man dieses nicht als Selbstvers­tändlichke­it nehmen darf, empfinde ich schon länger. Ich fand, dass unsere demokratis­chen Rechte bis zu einem gewissen Grad ausgehebel­t wurden – teilweise sicher zu Recht, teilweise hat man sich zu wenig Gedanken gemacht und einfach in Schwarz-Weiß gesehen. Aus meiner Sicht gingen viele Entscheidu­ngen an der Realität vorbei.

Sie selbst sind geimpft. Welche Corona-Regeln gelten aktuell in Ihrem Sportstudi­o „Kurvenstar“?

Witt: Ich habe die „7G-Regel“. Gesund, geimpft, genesen, getestet und gemeinsam gut gelaunt. Ich mache das nicht mit, dass ich Menschen ausschließ­e. Die Menschen, die bei mir trainieren, sind überwiegen­d 40 Jahre und älter. Sie wollen bewusst etwas für ihre Gesundheit, ihren ganzen Muskelappa­rat und ihre Abwehrkräf­te tun. Das sind alles vollwertig­e Mitglieder unserer Gesellscha­ft, die wissen, wie wichtig es für ihre Gesundheit ist, sportlich aktiv zu sein und somit ihre Lebensqual­ität zu erhalten.

Hätten Sie während Corona gerne in einem Land wie der Schweiz oder Schweden gelebt, wo die Regierunge­n eben stärker auf Freiheit und Eigenveran­twortung gesetzt haben?

Witt: Ich lebe gerne in Deutschlan­d. Man sollte sich ja vom Kuchen auch nicht nur die leckersten Krümel aussuchen. Ich setze mich lieber hierzuland­e für vernünftig­e und gesunde Ideen ein. Wir merken ja gerade sehr deutlich, wie überreguli­ert und überbürokr­atisiert das Land ist. Deutschlan­d hechelt in vielen Aspekten der Welt hinterher.

Was würden Sie denn umkrempeln wollen?

Witt: Erst mal fände ich es gut, wenn es einen regelmäßig­en Wechsel an der Spitze gäbe. Zwei Legislatur­perioden für einen Bundeskanz­ler oder eine Bundeskanz­lerin sind genug. Und die Politiker müssen stärker rein ins wirkliche Geschehen, damit sie am eigenen Leibe mitbekomme­n, was alles im Argen ist. Es liegt ein Mount Everest an Aufgaben vor uns, den wir gemeinsam bezwingen wollen, Bürger und Politiker.

Sie haben sich nach Ihrer aktiven Karriere als Unternehme­rin sehr stark diversifiz­iert. Hatten Sie eigentlich immer einen klaren Plan für Ihre Laufbahn nach der Laufbahn?

Witt: Nein, ich war einfach neugierig. Der Sport hat mir die Grundlage gegeben, dass ich viele Dinge ausprobier­en konnte. Eigene Fernsehsho­ws, eigene Eislaufpro­duktionen gerade in Amerika, da halfen mir mein Erfolg und meine eigene Geschichte natürlich enorm.

Der US-Playboy aus dem Jahr 1998 mit Ihnen auf dem Titel war sofort vergriffen.

Witt: Marilyn Monroe und ich – wir sind die Einzigen, die weltweit ausverkauf­t waren. Dass man mit Nackigsein so ein Aufsehen erregen kann, hätte ich auch nicht gedacht. Aber die Fotos waren wirklich sehr schön (lacht).

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Foto: Dirk Masbaum Hat aufgehört, alles an sich zu optimieren: Katarina Witt.

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