Frieden mit den Tauben schließen
Stadttiere Viele Städte haben seit Jahren Probleme mit den Vögeln. Die Stadt Augsburg hat ein Modellprojekt entwickelt, mit dem sie die Tauben pflegt und die Population kontrolliert. Andere Kommunen wollen dem Beispiel folgen
Augsburg Marcel Stemmler klopft an die Dachbodentür und schon fängt das Gewusel an. Gurren, Flügelschlagen, Scharren. Nach kurzem Gedrängel sind alle Tauben ausgeflogen. Im Dach des Verwaltungsgebäudes am Rathaus ist einer von zwölf Taubenschlägen der Stadt Augsburg. Tierpfleger Marcel Stemmler koordiniert dort die Arbeit für den Tierschutzverein. Ehrenamtliche säubern die Taubenschläge, verteilen Futter und halten nach verletzten Tieren Ausschau.
Tauben haben alles andere als einen guten Ruf. In Großstädten leben häufig viel zu viele davon. Sie nerven Passanten, verdrecken Gebäude und Statuen, nisten auf Balkonen. Außerdem hängt ihnen das Gerücht nach, sie würden Krankheiten übertragen. Allerdings ist Letzteres ein urbaner Mythos. Laut Studien ist die Gefahr, dass Tauben Krankheiten übertragen, ähnlich niedrig wie bei Haustieren. Das ändert aber nichts an ihrem Spitznamen „Ratten der Lüfte“. Es stellt sich die Frage: Wenn Städte Tauben eher loswerden wollen, warum dann zwölf Taubenschläge errichten, in denen sich Tierschutzverein und Ehrenamtliche um die Vögel kümmern?
„Dort, wo es Probleme mit Tauben gibt, kann es sinnvoll sein, einen Taubenschlag zu errichten“, erklärt Stemmler. Denn Tauben halten sich 80 Prozent der Zeit in ihrem Schlag auf. Dort brüten sie, dort fressen sie und dort bleibt der größte Teil des Drecks. Im Verwaltungsgebäude des Rathauses leben etwa 150 Tauben, im größten Augsburger Taubenschlag in Oberhausen 200 bis 300, schätzt Stemmler. An belebten Stellen gibt es zwar weitere Tauben, trotzdem sind es in der Augsburger Innenstadt weniger als in anderen Städten. Zusätzlich dazu, dass die Tiere von der Straße geholt werden, soll mit Hilfe der Taubenschläge die Population beschränkt werden. Denn gelegte Eier tauschen die ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen gegen Kalkeier aus. Im Taubenschlag in Oberhausen werden pro Jahr 700 bis 800 Eier ausgewechselt.
Augsburg betreut seit 25 Jahren die Taubenschläge. Die Methode nennt sich deswegen inzwischen Augsburger Modell. Aber es ist nicht der einzige Weg. Füssen beispielsweise hat voriges Jahr das Taubenfütterungsverbot erneuert. In Neu-Ulm ist das Füttern in öffentlichen Grünanlagen verboten, in Ulm überall. Die Idee dahinter ist simpel: Wenn Tauben kein Futter bekommen, verlassen sie den Ort oder hungern aus. Je größer die Stadt, desto schwieriger wird das allerdings. Ulm will deswegen laut Pressesprecherin Marlies Gildehaus einen Taubenschlag bauen, sucht aber noch nach einem geeigneten Standort. „Das reine Fütterungsverbot reicht einfach nicht“, sagt die Pressesprecherin. „Mülleimer bieten so viel Taubenfutter, dass die innerstädtische Taubenpopulation nicht auf Fütterung angewiesen ist.“Grund dafür seien beispielsweise Fast-Food-Überreste, die in Mülleimern oder am Boden lägen.
Der Freundeskreis Taubenhilfe Ulm will schon seit zehn Jahren, dass die Stadt Taubenschläge nach dem Augsburger Modell baut. „Man wird vertröstet und vertröstet“, beschwert sich Elisabeth Ziehn von der Taubenhilfe. Die Tauben in seien ausgehungert und deswegen extrem lästig. „Sie sehen, man hat etwas in der Hand und betteln oder kommen nah, um Krümel abzubekommen.“Ziehn kümmert sich häufig um verletzte Tauben. Manche hätten sich an Spikes verletzt, die als Taubenabwehr auf Fensterbrettern befestigt werden, andere Tauben bekämen Tritte ab. Laut Ziehn sehen Menschen die Vögel als Schädlinge und gingen deswegen respektlos mit ihnen um. „Ich könnte manchmal verrückt werden, wenn ich sehe, dass Eltern ihren Kindern nicht beibringen, dass man vor Lebewesen Respekt haben muss“, sagt sie.
In Augsburg gibt es laut Tierpfleger Stemmler solche Probleme in der Bevölkerung nicht. „Der Großteil der Leute ist aufgeschlossen“, sagt er. Nur vereinzelt gebe es Beschwerden. Auch der Tierschutzverein Augsburg kümmert sich um verletzte Tauben. Aber dass Menschen Tauben verletzen, sei ihm noch nicht untergekommen. Elisabeth Ziehn in Ulm kann sich sehr gut vorstellen, dass eine Taubenpopulation, die unter Kontrolle gehalten wird und weniger hungrig und lästig ist, von der Bevölkerung eher akzeptiert wird.
Zu viel Mitleid ist allerdings ebenfalls nicht gut für die Tiere. Tauben zu füttern, empfiehlt Stemmler aus Augsburg nicht. „Wir haben in den Taubenschlägen eine kontrollierte Fütterung“, sagt er. Mehr Nahrung außerhalb der Schläge führe dazu, dass sich Tauben wieder an anderen Ecken der Stadt niederlassen. Das ergebe mehr Dreck und Nistplätze. Außerdem sei das Futter häufig nicht tiergerecht. „Manchmal wird mit Dingen gefüttert, die Tauben nicht vertragen“, sagt er. Er warnt generell davor, Essensreste in der Innenstadt auf den Boden zu werfen.
Inzwischen gilt Augsburg als Vorbild im Umgang mit Tauben. Selbst aus Tschechien kam schon die Anfrage nach dem Augsburger Modell. Verschiedene Städte in Deutschland richten sich danach. München hat beispielsweise zusätzlich zum Fütterungsverbot TaubenUlm schläge aufgestellt. Aktuell versucht es Landsberg am Lech. Allerdings konnte kein passender Standort in der Innenstadt gefunden werden, weswegen das neue Taubenhaus etwas weiter weg steht. Eine Ehrenamtliche versucht nun, die Tiere mit Futter aus der Innenstadt dorthin zu locken. Die Grünen-Stadträtin Jennifer Lübcke, die das Taubenhaus beantragt und den Aufbau mitverfolgt hat, erzählt, dass inzwischen 50 bis 60 Tauben zur Fütterung kommen. Es besteht also Hoffnung, dass sie das Taubenhaus beziehen und anfangen, dort zu brüten. Das ist wichtig, damit durch ausgetauschte Eier die Population in Schach gehalten werden kann. In Landsberg sind die Tauben ein kontroverses Thema. Die Ehrenamtliche will anonym bleiben, da sie befürchtet, angefeindet zu werden. Generell sei das Taubenhaus aber gut angenommen worden, betont Lübcke. Den Gegnern müsse man manchmal einfach erklären, dass Tauben in der Wildnis gar nicht überleben und somit dauerhafte Mitbewohner in der Stadt sind. „Eigentlich sind Tauben ja ausgewilderte Haustiere, die auf uns angewiesen sind.“
Tierschutzverein rät davon ab, Tauben zu füttern