„Sind die Kinder motiviert, dann klappt es auch“
Interview Kinderpsychologe Ben Furman erklärt, wie das Lernen neuer Regeln und Verhaltensweisen nicht zum Kampf in der Familie wird
Herr Furman, Sie sagen, Kinder haben keine Probleme, sondern nur Fähigkeiten, die sie erlernen und verbessern können. Was meinen Sie genau? Ben Furman: Am besten lässt sich das an einem Beispiel erklären: Kinder sollen sich in der Schule melden und nur reden, wenn sie an der Reihe sind. Dies ist eine Regel, die Kinder zu befolgen haben. Wer sie bricht, wird ermahnt. Passiert das öfter, spricht man mit den Eltern. Strafen kommen ins Spiel, oder wie man heute sagt: Konsequenzen. Dann sind die Eltern verantwortlich dafür, dass die Kinder die Regeln beachten. Ungefähr so läuft das ab, was ich Regeldenken nenne. Aber man kann das Melden auch als Fähigkeit betrachten, die das Kind erst lernen muss.
Wo setzt man an?
Furman: Man spricht anders: Anstatt das Kind zu maßregeln, weil es sich immer noch nicht meldet, sagt man: Oh, du hast das noch nicht gelernt. Das ist auch schwierig. Wie könntest du das lernen? Und man beginnt mit dem Kind zusammen nachzudenken, wie es diese Fähigkeit erlernen kann und wer ihm auf dem Weg dahin helfen kann. Schon hat man eine ganz andere Stimmung.
Als Ihre jüngere Tochter acht Jahre alt war, wollte sie immer bei Licht einschlafen. Wie haben Sie sie davon überzeugt, im Dunkeln einzuschlafen? Furman: Ich habe ihr vorgeschlagen, dass wir das Licht im Flur anmachen und es durch einen Spalt der Tür hineinlassen. Davon hielt sie nichts. Sie sah keinen Vorteil darin. Ich sagte ihr, dass ich nicht jeden Abend im Bett überlegen müsste, ob ich ihr Licht ausgemacht habe oder nicht. Und dass bei ihr vielleicht mehr Kinder übernachten würden. Andere Eltern würden es eher erlauben, wenn sie wüssten, dass bei ihr nicht bis um Mitternacht Licht brennt und die Kinder nur reden und spielen, weil das Licht ja immer an ist. Ich habe sogar die Stromrechnung ins Spiel gebracht, bei der wir sparen können. Als sie eine Weile über die Vorteile nachgedacht hatte, griff sie plötzlich zum Schalter und knipste das Licht aus.
Das geht nicht immer so schnell …
Furman: Es ist natürlich leicht zu sagen, du sollst lernen, in deinem eigenen Bett zu schlafen, du sollst dich im Griff haben, wenn du dich ärgerst, du sollst lernen, alleine deine Hausaufgaben zu machen. Aber wenn man in Fähigkeiten statt Problemen denkt, hat man automatisch einen besseren Kontakt zu den Kindern. Doch ohne Motivation geht es nicht. Sind die Kinder aber motiviert, dann klappt es auch.
Gibt es heute mehr Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern als früher? Furman: Eltern sind heute häufig verunsichert und fühlen sich alleingelassen. Es gibt eine Menge Regeln, die sie in der Erziehung befolgen sollen, sie sollen ihren Kindern Grenzen setzen. Tun sie das nicht, kommen sie in Konflikt mit der Schule. Funktionieren die Kinder dann nicht, wie wir uns das vorstellen, geht man zum Arzt – das Kind bekommt eine Diagnose, einen Stempel, wie zum Beispiel ADHS, und Medikamente. Gute Kinderpsychiater überlegen mit den Eltern, den Lehrern und dem Kind zusammen, welche Fähigkeiten es noch lernen muss, damit der Schulalltag gelingt.
Die Kinder dürfen sich passend zu der Fähigkeit, die sie erlernen wollen, eine Kraftfigur aussuchen, wie zum Beispiel Superman. Warum?
Furman: Kleinere Kinder suchen sich oft Tiere als Kraftfiguren aus, wie Tiger, Elefanten, Affen, Delfine. Größere wählen eher Superman oder einen Fußballspieler. Jetzt kann man das Kind fragen, wie Superman ihm beim Erlernen der Fähigkeit helfen kann. So wird das Kind zum aktiven Teilnehmer im Problemlösungsprozess und ist motiviert mitzumachen. Über die Kraftfigur bekommt es Ideen, was es tun kann, wenn das unerwünschte Verhalten zurückkehrt, und sie gibt ihm Stärke, weiter zu üben. Kinder malen ihre Kraftfigur auch gerne und hängen sie in ihrem Zimmer auf.
Sie ermutigen die Kinder auch, sich Helfer zu suchen, um etwas zu erlernen. Ein Kind hat sogar mal seinen verstorbenen Opa als Helfer bestimmt. Furman: Ja, oft sind es die Mama, der Papa, der Bruder oder die Schwester, die Katze, ein Schutzengel, die zu Helfern werden, aber es kann auch ein Verstorbener sein. Kinder haben gute Ideen, wer ihnen helfen kann. Für sie ist es ganz normal, sich vorzustellen, dass jemand sie unterstützt und sich über ihren Erfolg freut, auch wenn er schon tot ist. Den Kindern hilft es auch, wenn sie in der Gruppe neue Lösungen finden, sich gegenseitig an die neue Fähigkeit erinnern, sich helfen und ermutigen.
Eine sehr schöne Idee ist die Feier, die man planen soll. Was hat es damit auf sich?
Furman: Das Wichtigste ist, dass Kinder verstehen, warum es so wichtig ist, die neue Fähigkeit zu lernen und was sie davon haben. Um Kinder zu motivieren, versprechen Eltern ein neues Handy, eine neue Puppe oder ein Fahrrad. In dem Kindergarten, wo wir damals in den 90er-Jahren mit unserem Konzept anfingen, konnten wir den Kindern keine materiellen Dinge geben. So kamen wir auf die Idee mit der Feier.
Eigentlich auch eine viel bessere Idee, weil man den Kindern Zeit schenkt, die man zusammen verbringt.
Furman: Ja. Viele Leute sehen in einem solchen Fest eine Belohnung. Für mich ist das eher eine Bestätigung für das Kind. Es merkt, dass es etwas gelernt hat, auf das es stolz sein kann. Kinder definieren sich über ihren Ruf, das heißt, für sie ist es wichtig, was die anderen über sie denken. Bei der Feier merken sie, dass ihr Ruf sich verändert hat. Deshalb ist die Feier nicht nur Belohnung – das geht tiefer.
Bullying und Mobbing sind schwerwiegende Probleme, die mit einer ganzen Gruppe von Kindern zu tun haben, und sich nicht so einfach lösen lassen. Wie geht man als Familie mit so etwas am besten um?
Furman: Es gibt Fähigkeiten, mit denen man Mobbing lösen kann, wie zum Beispiel: Ich schaffe es, für meine Freunde einzustehen, ich kann mich entschuldigen, wenn ich jemanden gekränkt habe. Ich lerne es, schlagfertig zu sein, ist mein Favorit. Was sagt man, wenn jemand behauptet, dass man dumm ist oder ein Idiot, die Familie arm. Die Eltern können mit dem Kind überlegen, wie es schlagfertig reagieren kann. Wichtig ist auch die Fähigkeit: Ich schaffe es, bei anderen mitzumachen. Wer das nicht kann, wird oft zum Opfer.
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Ich schaffs! Spielerisch und prak tisch Lösungen mit Kindern finden von Ben Furman ist erschienen im Carl AuerVerlag, hat 158 S. 19,95 Euro.
Ben Furman, 68, finnischer Psychiater und Psycho therapeut, entwickelte ein Motivationsprogramm für Kinder und Jugendliche.