Ein „Löwenherz“für alle Nationen
In dem Haus in Rennertshofen sind in einer heilpädagogischen Wohngruppe vor Kurzem unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eingezogen. Wie es dazu kam und wie die Reaktionen waren.
Es gibt Fischstäbchen mit Kartoffelsalat. Beim Mittagessen wird es richtig international. Der afrikanische Kontinent trifft auf den Mittleren und Nahen Osten, auf Europa und natürlich auf Deutschland. Und das alles sehr friedlich. Die Jugendlichen sitzen gemeinsam am Tisch und genießen ihr Essen. Anschließend wird gemeinsam abgeräumt, gespült und aufgeräumt. Wo das geschieht? In Rennertshofen. In der Marktgemeinde zogen Anfang Dezember neun Jugendliche mit Flüchtlingsstatus in das Haus im Neubaugebiet „Nord-West“. Dort erhalten die sieben Buben und zwei Mädchen ein Stück normales Familienleben.
Ursprünglich plante Barbara Reichstein vom Träger Formilia in Rennertshofen eine Wohngruppe für Kinder und Jugendliche, die, aus welchen Gründen auch immer, vom Jugendamt aus ihren Familien herausgenommen wurden. Gerade als sich das Unternehmen Formilia mit dem im Juli 2022 gekauften Haus in Rennertshofen in der Zulassungsphase bei der Regierung von Oberbayern und in der Genehmigung für den Gewerbebetrieb bei der Gemeinde und beim Landratsamt befand, wurde das Jugendamt Neuburg-Schrobenhausen auf die Einrichtung aufmerksam, wie Sebastian Karl vom Jugendamt in Neuburg berichtete.
Das Jugendamt fragte bei Formilia an, ob es auch unbegleitete Flüchtlinge aufnehmen würde. Wie Karl bestätigte, sind die Zahlen bei den elternlosen minderjährigen Flüchtlingen in letzter Zeit gestiegen. Nach dem Königsteiner Schlüssel müsse der Landkreis für die Unterbringung von 36 unbegleiteten Flüchtlingen unter 18 sorgen. Das müsse aber nicht unbedingt im eigenen Landkreis sein. Daher hat Barbara Reichstein auch von anderen Jugendämtern aus ganz Deutschland Anfragen erhalten.
In Rennertshofen ging alles ganz schnell. Bereits Anfang Dezember zogen die ersten Jugendlichen
in das Haus dort ein, das zuvor auf deren Belange umgebaut worden war. In der Marktgemeinde kümmert sich nun Sozialpädagogin Verena Bolsinger mit einem kleinen Stab an Mitarbeiterinnen um die neun Bewohner. Damit ist das Haus auch schon maximal belegt. Das Genehmigungsverfahren für eine Jugendhilfeeinrichtung läuft aber weiter. Denn das ist die eigentliche Bestimmung dieses Hauses.
Jeden Tag erhalten die geflüchteten Minderjährigen zwei Stunden Deutschunterricht. Leider habe der Freistaat noch keine Schulplätze zugeteilt, so Bolsinger.
Das kann bis zu drei Monate dauern. Die Nachbarn hätten sehr unterschiedlich auf den Zuzug der Flüchtlingskinder reagiert, so erzählen Verena Bolsinger und Barbara Reichstein. Die beiden hatten vorher bei allen Häusern in der Umgebung geklingelt, sich vorgestellt und über die Einrichtung informiert. „Es hat alles gegeben, von der totalen Ablehnung und einer gewissen Angst bis hin zur großen Hilfsbereitschaft.“Nachbarn hätten sogar gefragt, was denn gerade gebraucht werde und dann spontan mit Winterkleidung geholfen.
Jeder, der Interesse habe oder
neugierig sei, wie diese Wohngruppe ausschaue, der könne gerne vorbeikommen. „Wir freuen uns über jeden Kontakt.“Die 14- bis 17-jährigen Bewohnerinnen und Bewohner seien sehr motiviert, in der Gemeinde zu helfen, sei es bei älteren Menschen den Schnee räumen oder bei der Gartenarbeit helfen. „Momentan sind sie, da sie alle noch keinen Schulplatz haben, ganz wild auf Beschäftigung.“Beim FC Rennertshofen würden einige der Jungs bereits Fußball spielen, erzählte Bolsinger. Und mit der Stiftung St. Johannes in Schweinspoint werde gerade eine Kooperation angestrebt. Dann
könnten die Jugendlichen in der Sozialeinrichtung bei der Tierpflege und bei der Gartenarbeit helfen. „Die Kinder wollen etwas tun, sind sehr an der Sprache interessiert und wollen lernen.“
Und wie sieht die Zukunft der Jugendlichen aus? „Idealerweise bringen wir alle so weit, dass sie das B2-Deutsch-Zertifikat erhalten und, wenn sie einen Bleibestatus erhalten, eine Ausbildung beginnen können.“Das Haus hat übrigens auch schon einen Namen: „Löwenherz“. Eine starke Heimat und eine geschützte Umgebung für die, die es am meisten brauchen – Kinder.