Vom wilden Fluss zum regulierten Lech – und zurück?
Einer der größten Flüsse in Schwaben hat im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte große Wandel mitgemacht. Das zeigen unsere Karten. Nun soll er befreit werden.
Früher hat er oft sein Erscheinungsbild geändert. „Der Lech hat nach jedem Hochwasser anders ausgesehen“, sagt Günther Groß, Vorsitzender des Naturmuseums Königsbrunn, in dem ein ganzer Raum dem bedeutendsten Fluss der Region gewidmet ist. Früher, das ist eine Zeit vor mehr als 100 Jahren. Inzwischen ist der Lech, der von Österreich kommend vorbei an Landsberg, Königsbrunn, Augsburg, Gersthofen, Langweid bis in den Landkreis Donau-Ries fließt, wo er in die Donau mündet, längst in fest vorgegebene Bahnen gelenkt. Das zeigt der Vergleich der Karten in diesem Artikel. Viele Menschen sind überzeugt, dass dem Gewässer im Laufe der Jahrzehnte zu enge Fesseln angelegt wurden, dass der Lech wieder ein Stück weit befreit werden müsste. Günther Groß vertritt diese Ansicht.
Hochwasser haben laut Groß bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ständig Kies abgetragen und neuen Kies mitgebracht. Dadurch seien immer neue Seitenarme entstanden. Karten, die rund 150 Jahre alt sind, zeigen, dass zwischen den beiden äußeren Seitenarmen des Lechs auf der Höhe von Königsbrunn gut zwei Kilometer lagen. Auch weiter nördlich, bei Gersthofen und Langweid, war das Gewässer bis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch ein verästelter
Wildfluss. Dort wurde er früh kanalisiert. Nach dem großen Hochwasser 1910, das zahlreiche Dörfer und Städte überflutete, ereilte den Lech nach und nach auch im Rest der Region dieses Schicksal. Er wurde, wie Groß sagt, in ein Korsett gezwungen.
Durch dieses Korsett, die einengende Längsverbauung, Querbauwerke und Stauseen seien Lebensräume in und um den Fluss zerstört worden. Entlang des Lechs gebe es im Vergleich zum vorvergangenen Jahrhundert nur noch einen winzigen Bruchteil des Auwaldes. „Man hat damals noch nicht erkannt, was das für einen Schaden für die Natur bedeutet“, sagt Groß.
Die Regulierung des Lechs hatte für die Menschen deutliche Vorteile. Mehr Land war verfügbar, sie konnten näher an das Wasser heran bauen, ohne Überflutung fürchten zu müssen. Dazu wird der Lech immer mehr zur Energie-Gewinnung genutzt, etwa mit Wasserkraftwerken. Maschinen
trieb die Wasserkraft schon vor mehr als hundert Jahren an. Dazu brachte der Fluss seinen Anwohnerinnen und Anwohnern gutes Trinkwasser. Mit der Fischerei und dem Vieh- und Warentransport per Floß basierten außerdem ganze Wirtschaftszweige
auf ihm. „Aber er hat mit seinen Hochwassern Angst und Schrecken verbreitet“, sagt Groß. Er hat nicht nur Dörfer, Scheunen und Ställe überflutet. Nach Ellgau spülte der Lech im 19. und 20. Jahrhundert zahlreiche Leichen. 21 waren es allein zwischen 1880 und 1907, fast eine pro Jahr. Die Todesursache war bei den wenigsten bekannt.
Das Museum in Königsbrunn beherbergt Teile der wissenschaftlichen Sammlung des Naturforschers Heinz Fischer. Auch ihn faszinierte der Lech. SchwarzWeiß-Fotos, die Fischer im vergangenen Jahrhundert am Lech aufgenommen hat, hat Groß auf seinem Computer. Woher nimmt er seine Begeisterung für den Lech? Angefangen habe es 1997 mit dem Zusammenschluss mehrerer Naturschutzverbände, sagt der Königsbrunner. Damals habe Uniper ein Kraftwerk im Augsburger Stadtwald mit kompletter Querverbauung des Lechs errichten wollen. Mit einer Resolution der Stadt sei das Projekt verhindert worden.
An derselben Stelle plane das Unternehmen nun ein Seitenkraftwerk entlang des Lechs, erklärt Groß. Das würde einen großen Teil des Wassers beanspruchen, sagt Groß. Auch gegen dieses Projekt erhebt er seine Stimme. Statt grünen Strom würde es „blutigen Strom“erzeugen. Denn durch die Turbinen, so der Königsbrunner, würden zahlreiche Fische zu Tode kommen.
Das Kraftwerk passe nicht zu „Licca liber“. Hinter dem lateinischen Begriff verbirgt sich der „freie Lech“. Vor zehn Jahren hat das Wasserwirtschaftsamt Donauwörth das Projekt ins Leben gerufen. Groß unterstützt es. „Wenn das so umgesetzt wird, ohne Kraftwerk, ist das der größtmögliche Gewinn.“Ziele sind die Stabilisierung des Flussbetts, die Stärkung der Ökosysteme in und am Lech bei gleichzeitiger Verbesserung des Hochwasserschutzes und das Schaffen von Erholungsräumen.
„Da sind wochenlang Simulationen gelaufen“, sagt Groß. Die sollten zeigen, wie ein etwas freierer Lech zwischen Königsbrunn und der Mündung in die Donau in den kommenden 80 bis 100 Jahren aussehen könnte. Von einer Renaturierung will er nicht sprechen. „Das geht nicht, weil wir die Fläche gar nicht haben“, sagt er. Aber eine Revitalisierung sei ein wichtiger Schritt. „Am Anfang wird einfach die Längsverbauung weggenommen.“Der natürliche Fluss schaffe dann wieder Kies-Inseln und grüne Auen.
Ob es irgendwann wieder annähernd solche Momente geben wird, wie einen, den Heinz Fischers Vater Anton vor gut hundert Jahren auf der Höhe des heutigen Mandichosees mit der Kamera eingefangen hat, bleibt abzuwarten. „Da sind 5000 Lachseeschwalben aufgestiegen“, sagt Groß.
Es entstanden immer wieder neue Seitenarme.