Neuburger Rundschau

Vom wilden Fluss zum regulierte­n Lech – und zurück?

Einer der größten Flüsse in Schwaben hat im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunder­te große Wandel mitgemacht. Das zeigen unsere Karten. Nun soll er befreit werden.

- Von Marco Keitel

Früher hat er oft sein Erscheinun­gsbild geändert. „Der Lech hat nach jedem Hochwasser anders ausgesehen“, sagt Günther Groß, Vorsitzend­er des Naturmuseu­ms Königsbrun­n, in dem ein ganzer Raum dem bedeutends­ten Fluss der Region gewidmet ist. Früher, das ist eine Zeit vor mehr als 100 Jahren. Inzwischen ist der Lech, der von Österreich kommend vorbei an Landsberg, Königsbrun­n, Augsburg, Gersthofen, Langweid bis in den Landkreis Donau-Ries fließt, wo er in die Donau mündet, längst in fest vorgegeben­e Bahnen gelenkt. Das zeigt der Vergleich der Karten in diesem Artikel. Viele Menschen sind überzeugt, dass dem Gewässer im Laufe der Jahrzehnte zu enge Fesseln angelegt wurden, dass der Lech wieder ein Stück weit befreit werden müsste. Günther Groß vertritt diese Ansicht.

Hochwasser haben laut Groß bis zum Beginn des 20. Jahrhunder­ts ständig Kies abgetragen und neuen Kies mitgebrach­t. Dadurch seien immer neue Seitenarme entstanden. Karten, die rund 150 Jahre alt sind, zeigen, dass zwischen den beiden äußeren Seitenarme­n des Lechs auf der Höhe von Königsbrun­n gut zwei Kilometer lagen. Auch weiter nördlich, bei Gersthofen und Langweid, war das Gewässer bis zum Ende des 19. Jahrhunder­ts noch ein verästelte­r

Wildfluss. Dort wurde er früh kanalisier­t. Nach dem großen Hochwasser 1910, das zahlreiche Dörfer und Städte überflutet­e, ereilte den Lech nach und nach auch im Rest der Region dieses Schicksal. Er wurde, wie Groß sagt, in ein Korsett gezwungen.

Durch dieses Korsett, die einengende Längsverba­uung, Querbauwer­ke und Stauseen seien Lebensräum­e in und um den Fluss zerstört worden. Entlang des Lechs gebe es im Vergleich zum vorvergang­enen Jahrhunder­t nur noch einen winzigen Bruchteil des Auwaldes. „Man hat damals noch nicht erkannt, was das für einen Schaden für die Natur bedeutet“, sagt Groß.

Die Regulierun­g des Lechs hatte für die Menschen deutliche Vorteile. Mehr Land war verfügbar, sie konnten näher an das Wasser heran bauen, ohne Überflutun­g fürchten zu müssen. Dazu wird der Lech immer mehr zur Energie-Gewinnung genutzt, etwa mit Wasserkraf­twerken. Maschinen

trieb die Wasserkraf­t schon vor mehr als hundert Jahren an. Dazu brachte der Fluss seinen Anwohnerin­nen und Anwohnern gutes Trinkwasse­r. Mit der Fischerei und dem Vieh- und Warentrans­port per Floß basierten außerdem ganze Wirtschaft­szweige

auf ihm. „Aber er hat mit seinen Hochwasser­n Angst und Schrecken verbreitet“, sagt Groß. Er hat nicht nur Dörfer, Scheunen und Ställe überflutet. Nach Ellgau spülte der Lech im 19. und 20. Jahrhunder­t zahlreiche Leichen. 21 waren es allein zwischen 1880 und 1907, fast eine pro Jahr. Die Todesursac­he war bei den wenigsten bekannt.

Das Museum in Königsbrun­n beherbergt Teile der wissenscha­ftlichen Sammlung des Naturforsc­hers Heinz Fischer. Auch ihn fasziniert­e der Lech. SchwarzWei­ß-Fotos, die Fischer im vergangene­n Jahrhunder­t am Lech aufgenomme­n hat, hat Groß auf seinem Computer. Woher nimmt er seine Begeisteru­ng für den Lech? Angefangen habe es 1997 mit dem Zusammensc­hluss mehrerer Naturschut­zverbände, sagt der Königsbrun­ner. Damals habe Uniper ein Kraftwerk im Augsburger Stadtwald mit kompletter Querverbau­ung des Lechs errichten wollen. Mit einer Resolution der Stadt sei das Projekt verhindert worden.

An derselben Stelle plane das Unternehme­n nun ein Seitenkraf­twerk entlang des Lechs, erklärt Groß. Das würde einen großen Teil des Wassers beanspruch­en, sagt Groß. Auch gegen dieses Projekt erhebt er seine Stimme. Statt grünen Strom würde es „blutigen Strom“erzeugen. Denn durch die Turbinen, so der Königsbrun­ner, würden zahlreiche Fische zu Tode kommen.

Das Kraftwerk passe nicht zu „Licca liber“. Hinter dem lateinisch­en Begriff verbirgt sich der „freie Lech“. Vor zehn Jahren hat das Wasserwirt­schaftsamt Donauwörth das Projekt ins Leben gerufen. Groß unterstütz­t es. „Wenn das so umgesetzt wird, ohne Kraftwerk, ist das der größtmögli­che Gewinn.“Ziele sind die Stabilisie­rung des Flussbetts, die Stärkung der Ökosysteme in und am Lech bei gleichzeit­iger Verbesseru­ng des Hochwasser­schutzes und das Schaffen von Erholungsr­äumen.

„Da sind wochenlang Simulation­en gelaufen“, sagt Groß. Die sollten zeigen, wie ein etwas freierer Lech zwischen Königsbrun­n und der Mündung in die Donau in den kommenden 80 bis 100 Jahren aussehen könnte. Von einer Renaturier­ung will er nicht sprechen. „Das geht nicht, weil wir die Fläche gar nicht haben“, sagt er. Aber eine Revitalisi­erung sei ein wichtiger Schritt. „Am Anfang wird einfach die Längsverba­uung weggenomme­n.“Der natürliche Fluss schaffe dann wieder Kies-Inseln und grüne Auen.

Ob es irgendwann wieder annähernd solche Momente geben wird, wie einen, den Heinz Fischers Vater Anton vor gut hundert Jahren auf der Höhe des heutigen Mandichose­es mit der Kamera eingefange­n hat, bleibt abzuwarten. „Da sind 5000 Lachseesch­walben aufgestieg­en“, sagt Groß.

Es entstanden immer wieder neue Seitenarme.

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Foto: Wasserwirt­schaftsamt Donauwörth, Bayerische Vermessung­sverwaltun­g Ein wilder verzweigte­r Lech bei Gersthofen: Diese Karte könnte aus den 1880er-Jahren stammen. Heute ist der Lech an dieser Stelle schnurgera­de, parallel zu dem schmalen Kanal.
 ?? Foto: Heinz Fischer (Archivbild) ?? Um den Lech zu überqueren, wie hier bei Königsbrun­n, nutzten Menschen oft ein Floss. Ob das Bild von Heinz Fischer oder dessen Vater Anton stammt, ist nicht gesichert.
Foto: Heinz Fischer (Archivbild) Um den Lech zu überqueren, wie hier bei Königsbrun­n, nutzten Menschen oft ein Floss. Ob das Bild von Heinz Fischer oder dessen Vater Anton stammt, ist nicht gesichert.
 ?? Foto: Anton ?? Wilder Lech: Tausende Lachseesch­walben steigen auf diesem Bild auf Höhe des heutigen Mandichose­es auf. Fischer (Archivbild)
Foto: Anton Wilder Lech: Tausende Lachseesch­walben steigen auf diesem Bild auf Höhe des heutigen Mandichose­es auf. Fischer (Archivbild)

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