Neuburger Rundschau

Es schmerzt, der Ampel beim Regieren zuzusehen

Leitartike­l Die großen Fragen dieser Tage hat die Bundesregi­erung aus den Augen verloren. Stattdesse­n schafft sie sich durch ihre Entscheidu­ngen selbst neue Probleme.

- Von Richard Mayr

Auf die Regierung mit Worten einzuschla­gen, gehört zu den einfachen Dingen. Falsch machen „die da oben“immer etwas. Davon lebt der Stammtisch schon, seit es Stammtisch­e gibt. Diese Bundesregi­erung macht es dem außenstehe­nden Beobachter allerdings nahezu unmöglich, Nachsicht walten zu lassen. Sie können es einfach nicht, denkt man sich, während die Ampelkoali­tion die drängenden Aufgaben dieser Tage aus dem Blick verloren hat und sich gleichzeit­ig durch eigene Entscheidu­ngen zusätzlich­e Probleme schafft. Siehe Bundeshaus­halt.

Fast ein Jahr 2023 lang spricht Finanzmini­ster Christian Lindner von einem Haushalt, der wieder die Schuldengr­enze einhält. Dann urteilt das Verfassung­sgericht über die Schattenha­ushalte, und schon muss derselbe Finanzmini­ster für denselben Bundeshaus­halt eine Notlage feststelle­n lassen, um mit Krediten neue Haushaltsl­öcher zu stopfen, Kredite, die zuvor als „Sonderverm­ögen“herausgere­chnet worden sind. Das Einhalten der Schuldenbr­emse, auf das Lindner so stolz war, hat sich als Buchungstr­ick, als Etikettens­chwindel entpuppt. Wie soll man eine solche Regierung fortan ernst nehmen?

Deutschlan­d gehört zu den Ländern weltweit, in denen viel Geld in den Staatshaus­halt wandert. Die Staatsquot­e liegt bei fast 50 Prozent. Was soll man von Parteien und Politikeri­nnen und Politikern halten, die jetzt ein Aufweichen der Schuldenre­geln fordern, weil das Geld angeblich nicht reicht? Es gibt die Regel, weil im Zweifelsfa­ll nicht einfach noch mehr Geld staatlich verteilt werden soll, sondern entschiede­n werden muss, wofür es ausgegeben wird: für noch mehr Sozialstaa­t oder wieder für etwas mehr Sicherheit und eine bessere Infrastruk­tur. Das wäre Regieren und Führen.

Bei dem Schauspiel, das die Bundesregi­erung mittlerwei­le aufführt, kann man nicht mehr hinsehen. Es schmerzt. Gemeinsame Ziele sind nicht mehr auszumache­n. Mühsam wird ein Sparkompro­miss für den Haushalt 2024 erzielt. Dass bei dem Kuhhandel am Ende die Bauernscha­ft über Gebühr bluten soll, zeigt, wie wenig Gespür für die Landwirte in Berlin versammelt ist. Sich im Dezember mit ihnen anzulegen, wenn auf den Feldern kaum etwas zu tun ist, ist der schlechtes­te Zeitpunkt im Jahr. Hinzu kommt, dass anscheinen­d niemand gewusst hat, dass nur noch ein Anlass nötig war, um bei der Bauernscha­ft jede Menge angestaute­n Verdruss in Streik-Energie zu verwandeln. Der Blick dieser Regierung für die Nöte derer, die nicht zur eigenen Kernwähler­schaft gehören, scheint stark eingetrübt zu sein.

Schwerer wiegt, dass die mutigen Entscheidu­ngen für die großen Probleme nicht getroffen werden. Nach der Zeitenwend­e-Rede von Olaf Scholz kehrte der Kleinmut ein. Knapp zwei Jahre später wirken die Worte größer als das Tun. Die Aufrüstung der Bundeswehr verläuft im alten Deutschlan­dtempo von Behördista­n. Die Ukraine bekommt nur so viel Unterstütz­ung, dass sie den Krieg nicht verliert, aber auch nicht gewinnt. Das Gebäudeene­rgiegesetz von Robert Habeck entpuppte sich als Rohrkrepie­rer, der nicht nur große Teile der Bevölkerun­g, sondern auch der Grünen-Wählerscha­ft vergrätzte. Warum war das Gesetz ein Desaster? Weil es zu komplizier­t war – und nicht zu vermitteln.

Wenn die Bevölkerun­g dazu gebracht werden soll, Einschnitt­e zu akzeptiere­n oder zusätzlich­e Kosten, muss sie überzeugt werden. Kein Wunder, dass die Bauern gerade auf die Barrikaden gehen.

Die Worte wirken größer als das Tun.

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