Neuburger Rundschau

Wenn Gotteshäus­er das Zeitliche segnen

Erstmals seit Jahrzehnte­n wird im katholisch­en Bistum Augsburg eine Kirche abgerissen, und zwar in Füssen. Das dürfte künftig in Bayern häufiger vorkommen. Doch manchmal können die Bauten auch eine neue Zukunft haben.

- Von Klaus Bielenberg, Heike Heel, Heinz Sturm und Daniel Wirsching

Füssen/Ingolstadt Manchmal muss man Dinge hinter sich lassen und neu beginnen. Manchmal muss man zerstören, um etwas aufzubauen. Und manchmal muss man Geweihtes entweihen – und ein Gotteshaus abreißen.

Am 25. Februar geschieht dies erstmals seit Jahrzehnte­n im Gebiet des katholisch­en Bistums Augsburg. An jenem Tag wird Bischof Bertram Meier nach Füssen kommen und die 1966 geweihte Kirche „Zu den Acht Seligkeite­n“profaniere­n, also entweihen. Danach können die Abbrucharb­eiten starten.

So etwas erregt Aufmerksam­keit und löst Diskussion­en aus. Weit über den Einzelfall hinaus wird die Schließung, Entweihung oder der Abriss eines Gotteshaus­es als Zeichen für den Zustand der gesamten Kirche gewertet. Einer Kirche, der wegen ihrer Skandale die Menschen davonlaufe­n, die unnötig zu werden scheint. Marode Gotteshäus­er als Sinnbild für eine marode Kirche. Die Wirklichke­it aber ist vielschich­tiger. Das ist in Füssen so, das ist in Ingolstadt so. Dort konnte ein Gotteshaus gerettet werden. Was der frühere Ministerpr­äsident Bayerns, Horst Seehofer, damit zu tun hat – später.

Zunächst zurück nach Füssen, in die Kirche „Zu den Acht Seligkeite­n“, die das Bild ihres Stadtteils prägt. Zum Spatenstic­h im April 1963 sagt der damalige Pfarrer: „Die Kirche ist das Herz der menschlich­en Wohngemein­schaft.“Eine Landschaft ohne Kirche sei wie eine Wiese ohne Blumen. In den Randgebiet­en würden Pfarrkirch­en erbaut und Pfarreien gegründet, „damit die Menschen den Kirchturm sehen und die Glocken hören können“. Kommende Generation­en würden jenen danken, die den Plan des Kirchenbau­s gefördert hätten.

Die 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre sind eine Zeit der Aufbrüche und wachsender Städte. Katholisch­e wie evangelisc­he Gemeinden wachsen mit, und vielerorts entsteht der Bedarf für und der Wunsch nach Kirchenneu­bauten. Oft Betonbaute­n, außen ambitionie­rt, innen schlicht. Auch das Füssener Gotteshaus atmet den Geist seiner Entstehung­szeit. Es ist die des Zweiten Vatikanisc­hen Konzils mit seinen Reformen. Die katholisch­e Kirche öffnet sich, und wie ein „Zelt Gottes“wölbt sich das Dach des Gotteshaus­es über die Bankreihen, die 600 Menschen Platz bieten. Es dient auch als Garnisonsk­irche für die benachbart­e Kaserne.

Wer heute das Wort „Betonkirch­e“benutzt, mitunter abschätzig, meint: völlig überdimens­ionierte, als wenig ansehnlich empfundene Gotteshäus­er in schlechtem baulichem Zustand und mit hohem Renovierun­gsbedarf. Während etwa vormoderne Gotteshäus­er die Jahrhunder­te überdauern, befinden sich Betonkirch­en häufig nach wenigen Jahrzehnte­n in bedenklich­em Zustand. Auf dem Sichtbeton bilden

Regentropf­en Schlieren, Feuchtigke­it setzt den Wänden zu, Stahlträge­r korrodiere­n, Elektrik und Heizung sind eine Herausford­erung. Vor allem Betonkirch­en sind zum flächendec­kenden Problem geworden.

Trotzdem hängen Menschen an ihren Gotteshäus­ern. Füssener Katholikin­nen und Katholiken werden im „Zelt Gottes“getauft und getraut, verbinden mit ihm gute und schlechte Zeiten ihres Lebens. Im Gottesdien­stbesuch schlägt sich das allerdings nicht mehr nieder. Am Dreikönigs­tag verlieren sich 14 Besucher im morgendlic­hen Acht-Uhr-Gottesdien­st. Zum Abendgotte­sdienst mit Sternsinge­rn und Kinderchor sind es immerhin um die 130.

Pfarrer Frank Deuring sagt: „Die Trauer über den Abriss dieser Kirche bleibt.“Gleicherma­ßen spricht er von einer Chance, „etwas Neues, Zukunftsge­wandtes aufzubauen“. Weil der Sakralbau und der nur wenige Meter entfernte, viel zu klein gewordene Kindergart­en St. Gabriel sanierungs­bedürftig und die Kirche für die Gemeinde nicht zu unterhalte­n sind, war vor sieben Jahren die Entscheidu­ng getroffen worden: Auf dem Gelände soll ein Begegnungs­zentrum mit Gottesdien­straum sowie weiteren Räumen für die Pfarreieng­emeinschaf­t Füssen entstehen – und ein neuer Kindergart­en. Auch von anderen Gebäuden trennt man sich. Zu hoch der Sanierungs­stau, der Aufwand für Verwaltung, Reinigung, Unterhalt – zu gering die Auslastung. Die Konzentrat­ion auf das Begegnungs­zentrum sei der richtige Schritt in die Zukunft.

All das hört man nun öfter. Wie dies: „Menschen sind wichtiger als Steine.“Hieß es aus der evangelisc­hen Landeskirc­he. Der Dienst an den Menschen habe Vorrang vor dem Erhalt von Immobilien. Hieß es, als das katholisch­e Erzbistum München und Freising im vergangene­n Jahr erklärte: Der Erhalt aller seiner rund 4000 seelsorgli­ch genutzten Gebäude – darunter mehr als 3000 Kirchen und Kapellen – sei langfristi­g nicht finanzierb­ar; der Bestand müsse reduziert werden.

Die Aussichten sind alles andere als rosig: Die Zahl der Kirchenaus­tritte wird hoch und die der Gottesdien­stteilnehm­er niedrig bleiben, die Kirchenste­uereinnahm­en könnten massiv einbrechen, die Bausubstan­z wird weiter bröckeln, die Relevanz der evangelisc­hen und der katholisch­en Kirche als Institutio­n weiter schwinden. Eine Folge werden Schließung­en, Profanieru­ngen und Abrisse von Gotteshäus­ern sein.

Eine Profanieru­ng macht ein Gotteshaus zu einem „alltäglich­en Gebäude“, wie es das Bistum Eichstätt formuliert. In Ingolstadt ist es an diesem Sonntag so weit, Bischof Gregor Maria Hanke feiert dann den letzten Gottesdien­st in St. Monika. An dessen Ende wird – wie im Februar in Füssen

– das Allerheili­gste aus dem Tabernakel genommen und das Ewige Licht gelöscht. Die erst 1986 geweihte St. Monika, viel Holz, viel Ziegelstei­n, soll abgerissen, das Areal an die Gemeinnütz­ige Wohnungsba­ugesellsch­aft Ingolstadt GmbH vergeben und mit dem Erlös die Pfarrkirch­e St. Augustin saniert werden – eine marode Betonkirch­e, wie die Füssener ein „Zelt Gottes“, 1959 geweiht. Unklar ist die Zukunft der Pfarrkirch­e Mariä Himmelfahr­t in Kaufering im Bistum Augsburg, ebenfalls ein Betonbau, aus den 60ern. Seit Januar ist sie geschlosse­n, aus statischen Gründen. Diskutiert wird über Sanierung – oder Abriss samt Neubau.

Seit dem Jahr 2000 wurden in Deutschlan­d mehr als 500 katholisch­e Kirchengeb­äude als Gottesdien­storte aufgegeben, ergab eine Recherche des Portals katholisch.de von 2017. Ende Dezember 2023 teilte die Deutsche Bischofsko­nferenz mit, dass in den vergangene­n fünf Jahren 131 Kirchen geschlosse­n wurden, 126 von ihnen wurden profaniert. Die Zahlen steigen auch in Bayern, wo Entweihung­en in den vergangene­n Jahrzehnte­n eine absolute Seltenheit waren.

Das Bistum Augsburg beispielsw­eise berichtet von bislang zwei Profanieru­ngen – die Kirchen befanden sich in staatliche­m Besitz und werden als Vortragssa­al beziehungs­weise für geistliche Konzerte genutzt. Eine Nutzung als Supermarkt oder Diskothek ist ausgeschlo­ssen. Im Nachbarbis­tum, dem Erzbistum München und Freising, wurde erstmals seit Jahren am 30. Dezember ein Gotteshaus profaniert, St. Benedikt in Ebenhausen, 1965 geweiht, Asbest im Dach, Feuchtigke­it, Schimmel.

Drastische­r sieht es bei weiteren kirchliche­n Immobilien aus. „Von den rund 600 Pfarrhäuse­rn im Bistum Würzburg werden künftig noch 150 bis 170 benötigt“, sagt ein Sprecher. Die Entwicklun­g in anderen Bistümern dürfte kaum anders sein. Die Kirche befindet sich im Umbruch, im Wortsinne im Umbau.

Gläubige reagieren darauf mit Unmut, Wut, Protesten. In Füssen stößt man auf gemischte Gefühle und auf Zuversicht, ergibt ein Stimmungsb­ild. Er freue sich auf das Neue, sagt der 30-jährige Florian Wild. Die 50-jährige Barbara Henle spricht von Wehmut. Die 81-jährige Heide Eckl, die einst im Kirchencho­r sang, findet es schade, „dass die typische Kirchenarc­hitektur des vorigen Jahrhunder­ts abgerissen wird“. Traurig ist die 85-jährige Margarete Huber, die die Grundstein­legung miterlebte: „Mir tut der Abriss im Herzen weh“, sagt sie.

In Ingolstadt überwog zunächst die Wut, als das Gerücht kursierte, die frühgotisc­he Franziskan­erkirche aus dem Jahr 1275 solle entweiht und in eine Bibliothek umgewandel­t werden. Die Kapuzinerm­önche hatten das benachbart­e Kloster im Frühjahr 2023 verlassen, es gab keine Gottesdien­ste mehr. Dafür eine Mahnwache. Um die 100 Menschen versammelt­en sich. Das Bistum Eichstätt, das sich bei dubiosen Immobilien­geschäften in den USA verzockt habe, habe jetzt kein Geld übrig für diesen „Zufluchtso­rt“, meinten sie.

Dass es anders kam, hat auch mit dem früheren bayerische­n Ministerpr­äsidenten und Ingolstädt­er Horst Seehofer zu tun. Der initiierte einen Unterstütz­erkreis zum Erhalt seiner Beichtkirc­he aus Jugendzeit­en. „Mir war klar, dass ich alles tue, damit die Kirche eine Kirche bleibt“, sagte er. Um Unterstütz­ung gebeten hatte ihn Matthias Schickel, per SMS. Schickel war, wie er erzählt, zufällig bei der Mahnwache. Er ist stellvertr­etender Stadtheima­tpfleger und Leiter des „Katherl“genannten Katharinen-Gymnasiums. „Es wäre ein herber Verlust für die Stadt gewesen“, sagt er, „die Franziskan­erkirche ist eine der drei prägenden Gotteshäus­er Ingolstadt­s. Sie ist wichtig für die Identität der Stadt.“

Es folgten Gespräche, Treffen, schließlic­h die Wiedereröf­fnung durch Bischof Hanke am 3. Oktober 2023. Ein Video dokumentie­rt die Prozession hin zu ihr, zeigt einen spürbar überwältig­ten, frohen Hanke. Seit jenem historisch­en Tag ist das Gotteshaus wieder täglich geöffnet. Die Seelsorge hat die Gemeinscha­ft der Vor-Oratoriane­r übernommen. Zu hören ist, dass die Beichtgele­genheiten vergleichs­weise häufig wahrgenomm­en werden.

Matthias Schickel betrachtet die Franziskan­erkirche als „vorläufig gerettet“. Sie müsse saniert werden, hauptsächl­ich das Dach und die Elektrik. Er schätzt die Kosten auf sechs, sieben Millionen Euro. Schickel, selbst Mitglied im Unterstütz­erkreis, klingt zuversicht­lich.

Horst Seehofer rettete seine Beichtkirc­he in Ingolstadt.

 ?? Foto: Benedikt Siegert ?? Wie ein „Zelt Gottes“: die katholisch­e Kirche „Zu den Acht Seligkeite­n“in Füssen. Sie wird bald Geschichte sein.
Foto: Benedikt Siegert Wie ein „Zelt Gottes“: die katholisch­e Kirche „Zu den Acht Seligkeite­n“in Füssen. Sie wird bald Geschichte sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany