Neuburger Rundschau

„Trump hat bessere Karten als beim letzten Mal“

Am 15. Januar beginnen in den USA die Vorwahlen für die Präsidents­chaft. Die Sorge vor einer Rückkehr des radikalen Republikan­ers ins Weiße Haus wächst. Zu Recht, wie der Politikwis­senschaftl­er Herfried Münkler sagt.

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Münkler, als Donald Trump 2016 zum ersten Mal die Präsidents­chaftswahl­en gewonnen hat, sprach alles gegen seinen Sieg. Haben Sie damals damit gerechnet, dass ein Mann wie er ins Weiße Haus einziehen würde?

Herfried Münkler: Ehrlich gesagt nicht. Ich habe die amerikanis­che Wählerscha­ft für rationaler und interessen­orientiert­er gehalten. Die USA sind ein Land des liberalen Kapitalism­us, in dem eingeübt ist, die eigenen, auch längerfris­tigen Interessen im Auge zu behalten – und dann so ein Wahlergebn­is! Was ich nicht hinreichen­d im Blick hatte, war das eigentümli­che Wahlsystem. Tatsächlic­h hatte Hillary Clinton damals die Mehrheit der Wählerstim­men, aber keine Mehrheit der Wahlmänner und Wahlfrauen.

Noch ehe die Vorwahlen angelaufen sind, fürchten alle die Wiederwahl Trumps. Sie auch?

Münkler: Zumindest hat Donald Trump bei dieser Wahl sehr viel bessere Karten als beim letzten Mal. Im Augenblick muss man davon ausgehen, dass die Gerichte seine Kandidatur nicht verhindern werden. Dann wird er wohl die Vorwahlen der Republikan­er für sich entscheide­n und als deren Mann zur Präsidents­chaftswahl antreten. Hinzu kommt, dass Joe Biden eine ausgesproc­hen schwache Performanc­e abgibt. Ich bin sehr skeptisch, dass er die Wahl gewinnen kann. Die Demokraten haben es nicht geschafft, eine Kandidatin oder einen Kandidaten zu finden, der nicht so viel Senilität ausstrahlt.

Würde sich eine zweite Amtszeit von Trump von der ersten unterschei­den?

Münkler: Trump wird im Fall eines Sieges besser vorbereite­t sein, er wird seine Pläne zielstrebi­ger vorantreib­en. Wir werden nicht noch einmal einen fahrigen und unberechen­baren US-Präsidente­n erleben, sondern einen, der seine Agenda verfolgt. Und wie die aussieht, daran lässt er schon jetzt keinen Zweifel. Er wird eine national-protektion­istische Wirtschaft­spolitik und eine isolationi­stisch-egoistisch­e Außenpolit­ik betreiben. Oder anders gesagt: Er wird auf seine Verbündete­n sehr wenig Wert legen, sondern von Fall zu Fall versuchen, das US-amerikanis­che Interesse, wie er es versteht, zu verhandeln. Die Europäer spielen für ihn keine wichtige Rolle. Das Modell für ein solches Vorgehen hat er bei den Verhandlun­gen über den Abzug aus Afghanista­n geliefert: Die Europäer sind zwar wacker mit in den Krieg gezogen, aber bei den Verhandlun­gen mit den Taliban in Doha haben sie keine Rolle gespielt, sondern erst hinterher erfahren, was ausgemacht wurde. Alle, die in Europa einen realistisc­hen Blick auf die Dinge haben und keine transatlan­tischen Illusionen pflegen, haben also ziemlich klare Vorstellun­gen davon, was passieren wird.

Was sagt das über die US–Gesellscha­ft aus? Ist ihr alles egal, was jenseits der eigenen Grenzen passiert?

Münkler: Vielleicht spielt in diesem Zusammenha­ng auch eine Rolle, dass wir es infolge der Abschaffun­g der Wehrpflich­t nicht mehr mit den USA von früher zu tun haben. Bis in die 70er Jahre waren tendenziel­l alle jungen Männer eine Zeit lang in Europa stationier­t; sie sind damit zumindest einmal in ihrem Leben aus den USA rausgekomm­en. Nordamerik­a ist groß genug, um das Land nicht verlassen zu müssen. Das ist im kleinglied­rigen Europa anders. Die USA sind auch groß genug, um zu sagen: Wir haben einen inneren Markt, wir haben genügend Rohstoffe, wir können es verkraften, uns auf uns selbst zu konzentrie­ren, wir können den Prozess der De-Industrial­isierung, der in den 70er Jahren begonnen hat, zurückdreh­en und uns die glorreiche­n alten Zeiten zurückhole­n. Das ist zumindest die Vorstellun­g. Und das ist auch die Idee von Trump: Wir werden uns nicht mehr aufopfern für die Interessen anderer. Aber das Phänomen Trump zeigt auch die innere Spaltung der amerikanis­chen Gesellscha­ft.

Wo verläuft die Trennlinie?

Münkler: Wir haben auf der einen Seite die national-protektion­istischen Isolationi­sten, auf der anderen Seite die geopolitis­ch denkenden Demokraten, die die globalen Zusammenhä­nge im Auge haben und deshalb auch eine Vorstellun­g davon, dass man Verbündete braucht. Während die Demokraten eine Hierarchie der Staatenwel­t wollen, setzt Trump auf eine Anarchie der Staatenwel­t. Er geht davon aus, dass er in persönlich­en Gesprächen und mithilfe von Männerfreu­ndschaften die amerikanis­chen Interessen von Fall zu Fall geltend machen kann. Da sind Verbündete, auf die man Rücksicht nehmen muss, nur störend. In Trumps Verhalten liegt durchaus eine

Ratio, also eine nachvollzi­ehbare Erwägung – ob sie klug und langfristi­g ist, würde ich jedoch bezweifeln. Aber es gibt viele Menschen, die angesichts des relativen Niedergang­s der USA – im Vergleich zu dem nach 1945 am Boden liegenden Europa, auch im Vergleich zu dem seit den 70er Jahren aufsteigen­den China – in Trumps Plänen eine angemessen­e Reaktion sehen.

In vielen Teilen der Welt ist eine Polarisier­ung der Gesellscha­ften zu sehen. Warum tritt das gerade so geballt auf?

Münkler: Die Verteilung­skämpfe werden härter. Wir sind nicht mehr in einer Situation, in der wir uns auf einer Welle des Wohlstands treiben lassen können. In den USA und in Europa beruhte der wirtschaft­liche Aufschwung lange unter anderem auf der Automobili­sierung der Gesellscha­ften. Die Steuereinn­ahmen wuchsen, viele Arbeitsplä­tze entstanden. Zugleich war die Bevölkerun­g nicht besonders verwöhnt: In den USA kam es 1929 zur Wirtschaft­skrise, in Europa herrschte ab 1939 Krieg. Die Aussichten der 1950er und 1960er Jahre in die Zukunft waren vor diesem Hintergrun­d rosig und verdichtet­en sich in der Formel: Unsere Kinder werden es einmal besser haben. Diesen Satz würde heute kaum jemand mehr sagen. Diese veränderte Grundstimm­ung führt dazu, dass man nervöser wird, aufgeregte­r, aggressive­r. Die Gesellscha­ft wird in ihrer Grunddispo­sition missmutige­r. Der Appell ans Gemeinwohl verhallt.

Nun trifft diese Stimmung ausgerechn­et auf eine Zeit der Krisen: ein Krieg in der Ukraine, die Kämpfe im Nahen Osten…

Münkler: Die Häufung der Kriege, die wir gerade in den Zentren des reichen Nordens erleben, haben viele Menschen nicht mehr erwartet. Wir haben auf die Frieden stiftende Wirkung des Wohlstands gesetzt. Doch die greift nicht mehr. Das hat mit den erwähnten Verteilung­skämpfen zu tun, aber auch damit, dass unsere Weltordnun­g, die für eine gewisse Sicherheit und Erwartbark­eit gesorgt hat, ins Rutschen gerät. Wir treten aktuell in eine Situation ein, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg geherrscht hat: Politische Bündnisse wechselten ständig, es fanden eine ganze Reihe von Kriegen und Grenzversc­hiebungen statt, die viele vergessen hatten. Ich glaube, dass sich da gerade eine neue Weltordnun­g herausbild­et: ein System der Fünf.

Wen zählen Sie dazu?

Münkler: Europa und die USA stehen als Vertreter der demokratis­chen Staaten auf der einen Seite, China und Russland als Vertreter der autoritäre­n Staaten auf der anderen Seite. Indien ist das „Zünglein an der Waage“. Diese Länder entwickeln eine neue Hierarchie, die auch wieder eine Ordnung und stabile Einflusszo­nen herstellen kann. Aber in der Übergangsz­eit entstehen relativ viele Kriege. Auch, weil es innerhalb der Gesellscha­ften offenbar genügend Menschen gibt, die bereit sind, in diese Kriege zu ziehen. Bertolt Brecht hat einmal gesagt: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Heute ist ein gewisser Andrang festzustel­len… Das ist ein Syndrom, das sehr heikel ist. Gefährlich wird es, wenn es auf Dauer bei einer Anarchie der Staatenwel­t bliebe: Jeder kann mit jedem koalieren – und das jeden Tag anders. Die Versuchung, augenblick­lich günstige Konstellat­ionen mit einem Präventivk­rieg auszunutze­n, ist in solch einer Phase groß.

Aber hätte nicht umgekehrt eine Weltordnun­g der großen Fünf den Nachteil, dass unser westlicher Wille nicht mehr automatisc­h der entscheide­nde wäre…

Münkler: Das ist so. Aber hier geht es nicht um das, was wir uns wünschen, sondern darum, welche Prozesse sich gerade beobachten lassen. Die ausschließ­liche Dominanz des Westens ist vorüber. Eine Ordnung der fünf Mächte würde auch einer Annäherung an die tatsächlic­hen Verhältnis­se in der Welt entspreche­n, wenn man Indien als Repräsenta­nt des globalen Südens ansieht. Es gäbe Mächte, die bereit und fähig sind, so etwas wie ein Investment für die Weltordnun­g zu machen. Das ist nicht selbstvers­tändlich. Staaten übernehmen dabei Kosten, Anstrengun­gen und Risiken, von denen andere – Trittbrett­fahrer – profitiere­n. Das war ein Argument, das Donald Trump immer wieder vorgebrach­t hat: Die Europäer seien sicherheit­spolitisch­e Trittbrett­fahrer auf Kosten der USA. Das ist einer der Gründe, warum er sich aus der globalen Verantwort­ung zurückzieh­en will. So wie die Arbeiter im amerikanis­chen „rust belt“, der Industrier­egion

im Nordosten, gesagt haben: Was interessie­ren uns Brunnen und Schulen in Afghanista­n, wenn bei uns die Wirtschaft vor die Hunde geht.

Würden Russland und China das Momentum nutzen, das ihnen eine Amtszeit von Trump bieten würde?

Münkler: Davon ist auszugehen. Schauen Sie: Die Europäer werden derzeit immer wieder mit nuklearen Drohungen aus Russland konfrontie­rt. Die kann man verkraften, solange man sicher ist, dass amerikanis­che Nuklearsch­irme über uns gespannt werden. Wenn Trump sagt: Ich halte die nur über euch, wenn ihr bereit seid, eure wirtschaft­lichen Verknüpfun­gen mit China zu lösen, dann müssen die Europäer klein beigeben. Für die Deutschen wäre das eine Katastroph­e, wir sind wirtschaft­lich massiv mit China verflochte­n. Dieser Schritt würde uns direkt in eine Wirtschaft­skrise führen. Oder die Europäer halten an ihrer Beziehung zu China fest und stehen dann dem russischen Druck gegenüber. Es würden recht schnell Konflikte innerhalb der Europäisch­en Union auftreten, die dazu führen könnten, dass die EU zerfällt. Deshalb wäre die Wahl von Donald Trump für uns der Worst Case, dessen Folgen deutlich nachhaltig­er im negativen Sinn wären, als es das Agieren des Kremls und von Xi Jinping ist.

Das heißt, allein der Zweifel, dass es die USA noch ernst meinen mit ihrem Sicherheit­sversprech­en, könnte gefährlich werden?

Münkler: Die Europäer haben es verschlafe­n, sich um ihre Sicherheit zu kümmern. Sie hätten längst für eine eigene nukleare Abschrecku­ngskompone­nte sorgen müssen. Die baltischen Länder, die Polen werden sich kaum auf die französisc­hen Atombomben, die force de frappe, verlassen wollen. Sie haben in ihrer Geschichte mit Frankreich als Verbündete­n schlechte Erfahrunge­n gemacht. Besser wäre eine europäisch­e Nuklearstr­eitmacht mit einem rotierende­n Oberkomman­do von Polen, Frankreich, Deutschlan­d und eventuell Spanien oder Italien. Aber anstatt derlei aufzubauen, hat man sich in der europäisch­en und ganz sicher auch in der deutschen Politik an den Gedanken gewöhnt: Der Worst Case wird schon nicht eintreten. Es wird schon alles wieder gut werden. Nur leider sieht es im Augenblick nicht danach aus. Mit der Wahl von Trump, dem Brexit, der Krise der Banken, der Überschuld­ung des europäisch­en Südens, der Migrations­krise, der Pandemie sind wir seit mehr als einem Jahrzehnt in einer Abfolge von Worst Cases. Die Politik müsste endlich lernen, dass die Vorstellun­g, es wird schon alles gut gehen, unterm Strich nichts anderes ist als eine unverantwo­rtliche Politik.

„Ich glaube, dass sich gerade eine neue Weltordnun­g herausbild­et.“

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