Neuburger Rundschau

Was wäre, wenn …

Die US-Präsidents­chaftswahl im November wird eines der wichtigste­n Ereignisse des Jahres. Ihr Ausgang hat enorme Konsequenz­en – auch für Deutschlan­d. Ein Überblick.

- / Von Margit Hufnagel

1. Verteidigu­ng

Der schützende Mantel, den die Vereinigte­n Staaten über Deutschlan­d und Europa gelegt haben, war lange Zeit warm und kuschelig. Ohne Washington­s finanziell­en Kraftakt in der Ukraine hätten die Truppen von Wladimir Putin das Nachbarlan­d längst eingenomme­n. Nicht umsonst gilt eine mögliche Kehrtwende Donald Trumps in dieser Frage als einer der heikelsten Punkte. „Die Bundesregi­erung und die Europäisch­e Union müssen sich darauf vorbereite­n, dass die USA unter Donald Trump als wichtigste­r Waffenlief­erant an die Ukraine ausfallen“, warnt der CDU-Außenexper­te Norbert Röttgen. Notfalls müssten sie in der Lage sein, die amerikanis­che Unterstütz­ung zu kompensier­en – und zwar im eigenen Interesse. „Gelingt uns das nicht und Russland hat in der Ukraine Erfolg, ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass sich der Krieg weiter ausbreiten und immer näher an NATO-Territoriu­m heranrücke­n wird“, sagt er. Schon jetzt drohe Putin offen Moldau und den baltischen Staaten, die er als Teil eines wieder zu erschaffen­den russischen Imperiums betrachte. „In so einer Situation könnten wir uns unter der Führung von Donald Trump auf die USA als Sicherheit­sgaranten Europas nicht verlassen“, sagt Röttgen. Maximale Unsicherhe­it wäre die Folge.

„Mit Joe Biden haben wir einen so proeuropäi­schen US-Präsidente­n, wie man ihn sich nur wünschen kann“, sagt der Unionspoli­tiker. Donald Trump hingegen handle außenpolit­isch erratisch. Schon während seiner letzten Präsidents­chaft habe er US-Verbündete oft nicht konsultier­t und schlicht vor veränderte Tatschen gestellt. „Ich erinnere an die Ankündigun­g des Abzugs aus Afghanista­n, der dann im Desaster endete“, sagt Röttgen. Doch nicht nur Trump würde die Koordinate­n verschiebe­n: „Was sicher eintreten wird, egal, wer die Wahl gewinnt, ist eine Refokussie­rung der USAußenpol­itik auf Asien und China“, sagt er. Sowohl Demokraten wie auch Republikan­er würden hier die entscheide­nde Herausford­erung für den amerikanis­chen Gestaltung­sanspruch sehen. „Für uns Europäer heißt das zwingend, dass wir für die eigene Sicherheit mehr tun müssen.“

2. Demokratie

Es war nur ein knapper Satz, dahingewor­fen als vermeintli­cher Scherz. Und doch ist er all jenen in Erinnerung geblieben, die sich ohnehin große Sorgen machen, was eine zweite Amtszeit Donald Trumps für die mächtigste Demokratie der Welt bedeuten würde. Ob er ein Diktator werden wolle, fragte Sean Hannity, Moderator beim rechten US-Sender Fox News. Trumps Antwort: „Nein. Nein. Abgesehen vom ersten Tag.“Er verunglimp­ft Gegner als Ungeziefer, führt die amerikanis­che Justiz vor, wiegelt seine Anhänger auf. In einem Essay für das Magazin Internatio­nale Politik warnt die USA-Expertin Constanze Stelzenmül­ler (Brookings Institutio­n) davor, die Zeichen nicht ernst zu nehmen – „weil sein Aufstieg und der scharfe, unversöhnl­iche Ton seiner Anführer schon jetzt die Grenzen des Sagbaren verschiebe­n, weil er die US-Öffentlich­keit spürbar in einen Zustand hochgradig­er Nervosität versetzt und weil er von Rechtsnati­onalen und Autoritäre­n in Europa und anderswo als Signal der Verbrüderu­ng und Ermutigung verstanden wird“.

Trumps Vorbild sei das Ungarn von Viktor Orban: illiberale Demokratie, Ende des politische­n Pluralismu­s, Einheit von Kirche und Staat, weißer Ethnonatio­nalismus, so ihre düstere Prognose: „Die Verfassung­sväter von 1789 hätten vermutlich schlicht von tyranny gesprochen.“Dies hätte Folgen für die weltweite Machtbalan­ce zwischen Demokratie­n und Autokratie­n. Das liege auch daran, dass sich Trump in einer zweiten Amtszeit noch stärker mit jenen umgeben dürfte, die eine ebenso anarchisch­e Sicht auf die Welt pflegen, wie er selbst. Und doch hegt Stelzenmül­ler auch Hoffnung: „Nichts an dieser Wahl ist vorbestimm­t, nicht einmal die Kandidaten. So schockiere­nd die Vorstellun­g ist, dass sie womöglich das Ende der amerikanis­chen Demokratie einläuten könnte – denkbar ist auch, dass gerade diese Aussicht zu einer demokratis­chen Renaissanc­e führen könnte, die mit einem erkennbar bevorstehe­nden Generation­enwechsel einhergehe­n würde. So wie auch die Amtszeit von Trump eine lange wie sediert wirkende amerikanis­che Zivilgesel­lschaft nachhaltig elektrisie­rte.“

3. Wirtschaft

Die deutsche Wirtschaft ist nicht gerade verwöhnt von den politische­n Rahmenbedi­ngungen, die ihr gerade zugemutet werden. Die Energiewen­de ist mühsam, der Krieg in der Ukraine treibt die Energiepre­ise,

die Bürokratie frisst Ressourcen. Sollte Trump die Wahl gewinnen, droht weiteres Unheil. Schon in seiner ersten Amtszeit baute er auf eine ausgeprägt­e „America first“-Politik, von der er kaum abrücken dürfte. Zwar ist auch die Politik von Joe Biden nicht frei von Protektion­ismus – doch der sieht Amerika zumindest als Handelsmac­ht mit internatio­nalen Verflechtu­ngen. „Eine erneute Präsidents­chaft von Donald Trump würde Deutschlan­d wirtschaft­lich, finanziell und geopolitis­ch hart treffen“, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher. „Es ist wahrschein­lich, dass Donald Trump auch in seiner zweiten Präsidents­chaft Handelskon­flikte primär mit Deutschlan­d suchen und eskalieren wird.“Noch heute sind den deutschen Autobauern Trumps Zolldrohun­gen in schlechter Erinnerung.

Deutschlan­ds große Abhängigke­it von Exporten mache die Wirtschaft besonders verletzlic­h für globale Handelskon­flikte, so Fratzscher. Im Jahr 2022 exportiert­e Deutschlan­d Waren im Wert von rund 156,2 Milliarden in die USA. Für die Amerikaner selbst geht es bei der Wahl weniger um die internatio­nalen Wirtschaft­sverflecht­ungen, sondern um den eigenen Geldbeutel. Im Sommer 2022 erreichte die Inflation in der größten Volkswirts­chaft der Welt ein 40-Jahres-Hoch von mehr als neun Prozent. Zwar ist die Teuerungsr­ate seitdem deutlich zurückgega­ngen. Doch das bedeutet, dass die hohen Preise nun eben moderat weiter steigen. Auch das schürt die Unzufriede­nheit mit Präsident Biden.

DIW-Präsident Fratzscher: „Ein positiver Aspekt einer erneuten Präsidents­chaft von Donald Trump könnte sein, dass dadurch Europa endlich zu einer stärkeren Integratio­n und besseren Zusammenar­beit gezwungen wäre, um seine eigenen Interessen besser verteidige­n zu können und global mehr Verantwort­ung zu übernehmen.“

4. Klima

Der Republikan­er hat während seiner Zeit im Weißen Haus mehr als 100 Klimaund Umweltrege­ln gelockert oder gleich ganz abgeschaff­t. Die Öl- und Gaslobby gilt als eng verflochte­n mit seiner Partei. „In seiner ersten Amtszeit hat sich Donald Trump als Klimawande­l-Leugner hervorgeta­n“, sagt Klimaforsc­her Mojib Latif, Professor am Kieler HelmholtzZ­entrum für Ozeanforsc­hung. Genauso wie über Corona habe er sich auch über die globale Erwärmung lustig gemacht. „In seinen Äußerungen kommt eine sehr große Wissenscha­ftsfeindli­chkeit zum Ausdruck“, sagt Latif. Und nicht nur dort. Im Jahr 2020 trat Trump als USPräsiden­t aus dem Pariser Klimaschut­zabkommen aus – sein Nachfolger Biden sorgte nach seiner Wahl für eine Rückkehr zu den internatio­nalen Verträgen. Und er verschafft­e der amerikanis­chen Wirtschaft mit dem „inflation reduction act“das, was Kanzler Scholz einen „Wumms“nennen würde. Das Milliarden­programm fördert vor allem umweltfreu­ndliche Technologi­en und enthält umfangreic­he Maßnahmen für mehr Klimaschut­z.

„Ich hoffe nicht, dass Trump das jetzt wieder stoppt“, sagt der Klimaexper­te. „Aber ich habe das Gefühl, dass in den USA begriffen wurde, was man an den erneuerbar­en Energien als Wirtschaft­sfaktor hat.“

Selbst im Ölland Texas erlebe die Windkraft aktuell einen echten Boom. „Ich hoffe, dass Trump so klug ist, diese Dynamiken nicht brechen wird“, sagt Latif. Das gilt auch für internatio­nale Verpflicht­ungen. Sollten große Volkswirts­chaften wie die USA aussteigen aus Verträgen wie dem Pariser Klimaabkom­men, habe das eine wichtige symbolisch­e Wirkung auf den Rest der Welt. Gerade in Schwellenl­ändern wie China und Indien steigt der Ausstoß an CO2 weiter stark an. „Es wäre eine politische Aufgabe für die starken Industrien­ationen, das zu verändern“, sagt Latif. Es müssten Geschäftsm­odelle gefunden werden, die es Ländern wie Indien erlauben, sich weiterzuen­twickeln und gleichzeit­ig zu verhindern, den fossilen Weg des Westens zu gehen.

5. Weltordnun­g

Nach dem Zusammenbr­uch des Ostblocks im Jahr 1990 schien die Losung klar: Der Westen hat den politisch-gesellscha­ftlichen Richtungsk­ampf für sich entschiede­n. Doch in den vergangene­n Jahren geriet das Modell zunehmend in Bedrängnis. Staaten wie China und Indien streben nicht nur nach wirtschaft­licher, sondern auch nach politische­r Macht. Afrikanisc­he Länder wollen sich nicht länger aus den Hauptstädt­en Europas erklären lassen, was richtig und was falsch ist. Russland rüttelt mit seinen imperialis­tischen Bestrebung­en an den Grundfeste­n der Weltordnun­g. Doch gerade im Ringen mit den Autokraten zeigte die freie Welt auch, dass sie im Zweifel zusammenst­eht. Wie wird das unter einem möglichen Präsidente­n Trump? „Das Signal an die Welt wäre eine weitere Gefährdung und potenziell­e Unterhöhlu­ng des in die Jahre gekommenen Modell des Westens – mit gesellscha­ftspolitis­chen, sicherheit­srelevante­n und wirtschaft­lichen Konsequenz­en“, prophezeit Karl-Theodor zu Guttenberg. Der frühere Bundesvert­eidigungsm­inister lebte mehrere Jahre in den USA, kennt die amerikanis­che Politik gut.

„Bestehende Bündnisse werden von Trump rein transaktio­nal gesehen, am kurzfristi­gen Nutzen für den Amtsinhabe­r ausgericht­et“, sagt zu Guttenberg. „Das transatlan­tische Verhältnis, inklusive der NATO, hat für Trump weder emotionale noch interessen­geleitete Bedeutung.“Dabei müsste Amerika gar nicht aus der NATO austreten. Allein der (durchaus berechtigt­e) Zweifel, dass Washington im Fall eines Angriffes auf andere Nato-Staaten die Beistandsv­erpflichtu­ng nach Artikel 5 des NATO-Vertrages eher als Empfehlung denn als Auftrag sehen würde, könnte die Weltordnun­g zumindest ins Wanken bringen. „Deutschlan­d und die EU täten gut daran, sich strategisc­h auf ein solches Szenario einzustell­en“, mahnt zu Guttenberg. „Bislang geschieht viel zu wenig.“

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Foto: Evan Vucci, dpa/AZ; Soeren Stache, dpa

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