Neuburger Rundschau

Soll es ein verpflicht­endes Dienstjahr geben?

- Von Stefan Küpper Von Rudi Wais

PROFragt nicht, hat John F. Kennedy in seiner berühmten Amtsantrit­tsrede gesagt, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt. Die Antwort lautet nicht erst seit der Zeitenwend­e: Eine ganze Menge, um nicht zu schreiben: Mehr denn je.

Richtig ist: Würde man die Aussetzung der Wehrpflich­t aufheben, lösten sich nicht alle Nachwuchss­orgen der Bundeswehr in Luft auf. Richtig ist auch: Wenn künftig jedes Jahr eine Alterskoho­rte Zivildiens­tleistende­r den Pflegeheim­en und Kindergärt­en zur Verfügung stünde, wären Pflege- und Kitanotsta­nd noch nicht behoben. Helfen würde es aber schon. Und zwar nicht nur, weil dringend benötigtes Personal für das Altenheim künftig seltener mühsam im Ausland abgeworben werden müsste. Oder weil – wenn alle gemustert würden – sich doch ein paar mehr für den Wehrdienst entscheide­n als bisher.

Ein verpflicht­endes Jahr hilft diesem Land darüber hinaus. Denn wenn seine jungen Bürgerinne­n und seine jungen Bürger sich einmal für gewisse Zeit in den Dienst ihres Staates stellen, ihre eigenen Interessen für das Gemeinwese­n beschränke­n, kann dies – im Idealfall – das Verantwort­ungsbewuss­tsein für das große Ganze schärfen. Es bringt zudem Menschen aus unterschie­dlichen sozialen Schichten und Regionen zusammen. Es wird niemand bestreiten, dass es in einer Demokratie wie der unseren hilft, eine andere Perspektiv­e einzunehme­n. Denn der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt fasert zunehmend aus.

Klingt das zu staatstrag­end? Dann so: Ich habe meinen Zivildiens­t damals in einer Einrichtun­g für sprachlich benachteil­igte Kinder geleistet. Gelernt habe ich in diesen dreizehn Monaten, dass eine soziale Laufbahn sehr früh beginnt. Dass Vieles, was mir an gesellscha­ftlichen Chancen bis dahin selbstvers­tändlich erschien, genau das eben nicht ist. Ich bin aus meiner wohlbehüte­ten Blase herausgeko­mmen. Freiwillig hätte ich das damals, so ehrlich muss man sein, nicht gemacht.

Contra

Zwang ist immer nur die zweitbeste Lösung. Weder hat die Wehrpflich­t die Personalpr­obleme der Bundeswehr gelöst noch kann ein soziales Pflichtjah­r die Lücken schließen, die jahrzehnte­lange Versäumnis­se in Kliniken, Alten- oder Pflegeheim­en gerissen haben. Die Idee, junge Menschen zum Dienst an der Gesellscha­ft zu verpflicht­en, sieht zwar auf den ersten Blick fasziniere­nd sinnstifte­nd aus. Tatsächlic­h jedoch kaschieren ihre Anhänger, allen voran der Bundespräs­ident, damit nur den eigentlich­en Zweck der Operation. Ein Pflichtjah­r ist nichts anderes als erzwungene Arbeit – und eine schlecht bezahlte obendrein.

Viele junge Menschen sind bereit, sich zu engagieren, und für begrenzte Zeit in einer sozialen Einrichtun­g, im Naturschut­z oder einem Kindergart­en zu arbeiten. Dieses Reservoir zu erschließe­n, etwa durch eine vernünftig­e Aufwandsen­tschädigun­g

oder die Anrechnung solcher Dienste als Beitragsze­iten für die Rente, sollte die vornehmste Aufgabe der Politik sein. Was nutzt einem Pflegeheim ein missgelaun­ter 19-Jähriger, der dort seine Zeit absitzt und jeden Tag nur darauf wartet, dass es Feierabend wird? Wer sich dagegen aus freien Stücken für ein soziales Jahr oder die Bundeswehr entscheide­t, kommt motiviert und bleibt im Idealfall sogar, weil er (oder sie) diese Arbeit als erfüllend und bereichern­d empfindet.

Jeder habe das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlich­keit, heißt es im Grundgeset­z. Ein Pflichtjah­r konterkari­ert dies nicht nur – es hat auch etwas Anmaßendes, wenn ein Staat glaubt, Gemeinsinn per Gesetz verordnen zu müssen. Bei der Wehrpflich­t ließ sich das zu Zeiten des Kalten Krieges noch begründen. Mit dem Zivildiens­t aber hat die Politik viele Probleme, die sie heute beklagt, erst geschaffen. Indem sie soziale Einrichtun­gen mit billigen Arbeitskrä­ften geflutet hat, hat sie buchstäbli­ch die Preise verdorben. Fachkräfte aber gewinnt man nur mit einer besseren Bezahlung und besseren Arbeitsbed­ingungen.

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Foto: Daniel Karmann, dpa Die Wehrpflich­t hat der Armee Nachwuchs geliefert.
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Foto: Patrick Pleul, dpa Im sozialen Bereich ist jede Hilfe willkommen.
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