„Es gibt bis heute weltweit keinen Besseren“
Fußball: Walter Egen stand 1967 auf dem Rasen, als der FC Bayern München beim VfR Neuburg gastierte. 57 Jahre später kann er sich noch an jedes Detail des Spiels erinnern. Vor allem der Auftritt und die Aura von Franz Beckenbauer haben ihn beeindruckt.
Für die 6000 Zuschauer und die elf Spieler des VfR Neuburg war es das größte Fußballspiel, das je in der Ottheinrichstadt stattfand. Der 29. Juli 1967 ging als der Tag in die Analen des Vereins ein, an dem so viele Menschen wie nie zuvor oder danach den Weg ins damalige Brandlstadion hieß, fanden. Alle waren sie gekommen, um die Stars des FC Bayern München zu erleben, die gerade zwei Monate zuvor gegen die Glasgow Rangers ihren ersten Europapokalsieg eingefahren hatten.
Sepp Maier und Franz „Bulle“Roth waren zwar nicht in Neuburg dabei, dafür aber Gerd Müller, Georg „Katsche“Schwarzenbeck und vor allem Franz Beckenbauer. Ein unvergessliches Erlebnis auch für die VfR-Spieler, die den übermächtigen Gegner in einem Freundschaftsspiel herausforderten, aber auch für die Schiedsrichter Max Binder (aus Kösching) sowie die beiden Linienrichter Anton Rein (Ried) und Rudolf Andexinger (Zell), die quasi ein Heimspiel hatten.
Von den elf tapferen Lilaweißen, die beinahe standesgemäß mit 0:12 Prügel bezogen – Auswechslungen waren damals nur im Verletzungsfall erlaubt – sind sieben mittlerweile verstorben: Roland Mayer, Hans Hofmockel, Mannschaftskapitän Kurt Kobras, Wolfgang Behringer, Spielertrainer Max Zimmermann, Torwart Horst „Sule“Schwaiger und Erich Golling. Ebenso die Unparteiischen. Vier von ihnen leben noch, nämlich Horst Sandner, Hans Mayer, Ferdinand Isely und Walter Egen. Mit 19 war Egen damals der Youngster des Teams. 57 Jahre später kann sich der frühere BRK-Geschäftsführer und nach Meinung vieler der bislang beste Fußballer Neuburgs noch genau an jedes Detail des Jahrhundertspiels und an die Aura Franz Beckenbauers erinnern.
Herr Egen, Sie haben eine große Karriere als Fußballer hinter sich, sowohl als Spieler wie auch als Trainer. Welchen Stellenwert besitzt das Spiel gegen den FC Bayern München und Franz Beckenbauer?
Walter Egen: Einen immens großen! Natürlich waren unsere Aufstiege
mit dem VfR in die Landesliga 1971 und 1975 in die Bayernliga absolute Highlights, an die ich mich immer noch gerne erinnere. Aber dieses Freundschaftsspiel vergisst man nie mehr, das war wirklich etwas Außergewöhnliches.
Obwohl der VfR 1967 von Beckenbauer, Müller und Co. ja nach allen Regeln der Kunst vorgeführt wurde.
Egen: Wir hatten wirklich null Chancen! Das Dilemma begann schon in der zweiten Minute, als Gerd Müller das 1:0 schoss. Dann lief es für die wie am Schnürchen. Wir durften quasi nur zuschauen und Spalier stehen. Irgendwann fiel mir da wieder ein Jugendspiel ein, in dem wir zuvor auf dem Nebenplatz des Brandlstadions auf die Jugend des FC Bayern getroffen waren. Ich musste Mittelstürmer spielen, und mein Gegenspieler hieß Katsche Schwarzenbeck. Ich habe ungelogen 90 Minuten lang keinen einzigen Ball gesehen. Genauso war es dann 1967. Die Bayern ließen das Leder nach allen Regeln der Kunst laufen, wir standen
da, wunderten uns und bewunderten sie, vor allem Franz Beckenbauer. Unser Sturm existierte nur auf dem Papier, die Abwehr der Münchner stand wie eine meterhohe Wand. Die haben uns regelrecht abgekocht und in jeder Beziehung nass gemacht. Unser größtes Manko war ihr Tempo, das schon in dieser Zeit wahnsinnig hoch war.
Wir haben nur immer ihre Haken gesehen.
Warum haben Sie sich nicht mehr gewehrt?
Egen: Weil wir Angst davor hatten, einen von denen zu verletzen! Dann wären wir in allen Zeitungen Deutschlands an den Pranger gestellt worden, weil wir einen der
großen Stars des FC Bayern kaputt getreten hätten. Und das wollte wirklich niemand von uns. Über die ganzen 90 Minuten hinweg haben wir keine zwei Fouls begangen. Aber natürlich spielte da auch großer Respekt mit.
Wie haben Sie Franz Beckenbauer erlebt?
Egen: Ich hatte ja genügend Zeit, mir sein Spiel genauer anzuschauen, weil ich sowieso keinen Ball bekam (lacht). Ich glaube, dass ich zeitweise den Mund nicht mehr zubekommen habe angesichts der Dinge, die die abgezogen haben. Vor allem der Franz war eine Augenweide. Die Eleganz, mit der er über den Platz schwebte, seine Ballbehandlung, seine Spielverständnis – so etwas gab es in jenen Jahren kein zweites Mal. Er war damals noch relativ jung, aber er dirigierte die gesamte Mannschaft. Er stürmte von der Abwehr durchs Mittelfeld nach vorne und suchte schon in dieser Zeit Gerd Müller für den Doppelpass. Es gibt bis heute weltweit keinen Besseren – trotz eines Lionel Messi oder eines Cristiano Ronaldo. Der Franz hat nicht Fußball gespielt, er hat es zelebriert.
Ihr späterer Teamkollege Günter Gräbner erzählte, dass Beckenbauer vor allem als Libero sein großes Vorbild war. Was konnten Sie sich von ihm abschauen? Egen: Das Beeindruckendste war diese aufrechte Haltung, sein Blick, der nach links ging, während im selben Moment der Pass rechts landete. Dazu braucht es vielleicht auch den Außenrist, den der Franz quasi ja erfunden hat. Aber eigentlich ist das sowieso eine wesentlich unverkrampftere Beinhaltung als der Innenrist, der heute in jedem Jugendtraining gepredigt wird. Ich habe später auch regelmäßig den Außenrist benutzt, und vielleicht hat dieses Spiel in mir sogar unterbewusst die Liebe dafür geweckt. Mit über 50, als ich kurzzeitig Trainer beim TSV Egweil war, habe ich sogar mal einen Eckball direkt mit dem Außenrist ins Tor geschossen.
Jeder, der 1967 im Brandlstadion war, hatte wohl seinen persönlichen Beckenbauer-Moment. Ich saß damals als Achtjähriger hinter dem Tor und habe mit zitternden Händen am Schluss auf Franz gewartet und nicht geglaubt, dass er mir ein Autogramm gibt. Aber er hat. Das war für mich der Moment, in dem ich beschlossen habe, dass ich auch Sport machen und so werden möchte wie er. Egen: So war Franz Beckenbauer tatsächlich, und das zeichnete ihn aus. Er hat wirklich keinen, der ein Autogramm wollte, im Regen stehenlassen. Wir dachten 1967, die Bayern würden womöglich überheblich werden und uns kleine Provinzfußballer provozieren. Aber das genaue Gegenteil war der Fall! Die haben uns richtig ernst genommen und sind wie in einem Punktspiel aufgetreten. Aber wir ließen sie natürlich auch gewähren.
Hand aufs Herz: Haben Sie und Ihre Mannschaftskameraden nicht ebenfalls um Autogramme angestanden?
Egen: Nein. Selbst danach in der „Schönen Aussicht“, wo die Bayern und wir vom damaligen OB Theo Lauber zum Essen eingeladen waren, erschienen uns die noch eine Nummer zu groß. Keiner von uns hat sich hin getraut, vor allem, weil wir uns nach dem 0:12 auch ein bisschen geschämt haben.