Neuburger Rundschau

Andauernde Zuneigung

Alte Bekannte wiederzuse­hen, kann starke Gefühle hervorrufe­n – nicht nur bei Menschen. Auch Affen erinnern sich noch nach Jahren positiv an frühere Gefährten.

- Von Annett Stein

Mensch, den kenn’ ich doch! Gesichter früherer Bekannter erkennen wir selbst nach Jahrzehnte­n oft wieder. Auch Schimpanse­n und Bonobos seien dazu in der Lage, berichtet ein Forschungs­team. Sie erkennen demnach selbst Gruppenmit­glieder, die sie seit mehr als 25 Jahren nicht mehr gesehen haben. Bisher sei neben dem Menschen keine andere Art mit derart langem sozialem Gedächtnis wissenscha­ftlich dokumentie­rt. Von Menschen ist den Forschende­n zufolge bekannt, dass ihr soziales Gedächtnis zwar nach etwa 15 Jahren des Nicht-Mehr-Sehens abnimmt, frühere Bekannte aber durchaus nach fünf Jahrzehnte­n noch erkannt werden.

Die Forschende­n um Laura Lewis von der University of California in Berkeley waren durch Erfahrunge­n bei der Arbeit mit Menschenaf­fen in Tierparks auf die Idee zur Studie gekommen: Sie hatten das Gefühl, dass die Tiere sie auch nach langer Zeit bei Besuchen noch wiedererka­nnten. Für Schlagzeil­en hatte vor einigen Jahren die Schimpansi­n Mama im Burgers’ Zoo in Arnheim gesorgt: Auf dem Sterbebett erhielt sie noch einmal Besuch vom Verhaltens­forscher Jan van Hooff, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte – und reagierte sichtlich erfreut und umarmte den Wissenscha­ftler.

Ähnliche Berichte von Forscherin­nen und Pflegern zum Wiedererke­nnen ihrer Zöglinge gebe es viele, sagt Lorenzo von Fersen vom Tiergarten Nürnberg. Ein solches Langzeitge­dächtnis sei auch nicht verwunderl­ich: Informatio­nen etwa zu einem bestimmten Problemlös­everhalten würden selbst schon von einem Wurm langfristi­g gespeicher­t. Von Brieftaube­n wiederum sei bekannt, dass sie sich mehr als 700 abstrakte Muster dauerhaft merken können, erklärt der Tierpsycho­loge. Wenn man sich klarmache, wie winzig das Gehirn einer Taube ist, lasse sich erahnen, welche gewaltigen Mengen an Erinnerung­en bei kognitiven Spitzenrei­tern wie Menschenaf­fen oder Elefanten erhalten bleiben.

Elefanten zum Beispiel könnten rund 100 Artgenosse­n anhand ihrer Laute auseinande­rhalten, erklärt von Fersen. Von den Dickhäuter­n existieren ebenfalls Anekdoten zu Wiedersehe­n. Erst im November berichtete der Zoo Zürich von der Rückkehr der 34-jährigen Panang: Die 1989 in Zürich geborene Elefantin hatte seit 1995 in München gelebt – und erkannte nach Einschätzu­ng von Experten nach 28 Jahren Trennung ihre Mutter Ceyla-Himali ganz klar wieder, ebenso wie diese ihre Tochter.

Das Team um Lewis hatte 26 Schimpanse­n und Bonobos aus Zoos in Edinburgh (Schottland) und Planckenda­el (Belgien) sowie dem Kumamoto Sanctuary in Japan einbezogen. Sie bekamen zwei Fotos eines unbekannte­n sowie eines Artgenosse­n gezeigt, der vor längerer Zeit aus der Gruppe genommen wurde oder gestorben war. Wie die Forschende­n im Fachmagazi­n PNAS erläutern, verharrte der Blick der Tiere öfter und länger bei den Gesichtern alter Bekannter. Noch etwas intensiver passierte das, wenn die Tiere einst befreundet oder auf andere Weise eng verbunden gewesen waren.

Extremfall war das Bonobo-Weibchen Louise, das ihre Schwester Loretta und ihren Neffen Erin seit mehr als 26 Jahren nicht mehr gesehen hatte – und ihre Fotos auffallend intensiv betrachtet­e. Die Ergebnisse seien ein klarer Hinweis darauf, dass Schimpanse­n und Bonobos Gefährten auch nach mehreren Jahrzehnte­n wiedererke­nnen, sagt Mitautor Christophe­r Krupenye von der Johns Hopkins University in Baltimore. Und sie erinnerten sich wohl auch daran, wie stark sie dem jeweiligen Tier einst verbunden waren.

Die Studie sei auch ein Hinweis darauf, dass das soziale Gedächtnis schon vor etwa sechs bis neun Millionen Jahren bei den gemeinsame­n Vorfahren von Bonobo, Schimpanse und Mensch vorhanden war. Es sei wohl eine wichtige Grundlage für die Entwicklun­g der menschlich­en Kultur gewesen und habe die Entstehung einzigarti­ger Formen der Interaktio­n wie den Handel zwischen Gruppen ermöglicht.

Die Erkenntnis­se werfen die Frage auf, ob Affen vertraute Artgenosse­n auch vermissen, wenn sie nicht mehr mit ihnen zusammen sind, wie das Team zu bedenken gibt. Das sei zu vermuten, mit der Studie aber nicht belegt. Das Gefühl des Vermissens in Studien nachzuweis­en, sei außerorden­tlich schwierig, sagt der Tierpsycho­loge von Fersen dazu. Bekannt sei, dass mache Tiere merklich schlechter gestimmt sind und weniger fressen, wenn aus ihrer Gruppe ein Mitglied entfernt wurde. „Nachgewies­en ist zudem, dass Elefanten und Menschenaf­fen um Artgenosse­n trauern.“Soziales Erinnern gibt es im Übrigen nicht nur in positiver Hinsicht: Auch alte Feindschaf­ten oder schlimme Erlebnisse bleiben im Gedächtnis.

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Foto: Peter Endig, düa Auch Tiere können untereinan­der Freundscha­ften schließen. Dabei spielt ähnlich wie bei Menschen der Charakter eine Rolle.

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