Neuburger Rundschau

„Wir müssen uns Rettungsin­seln suchen, ansonsten werden wir verrückt“

Green Day ist die erfolgreic­hste Punkrockba­nd der Welt. Jetzt veröffentl­ichen die drei US-Musiker ein neues Album. Ein Gespräch über Drogensuch­t, Donald Trump und die ersten grauen Haare.

- Interview: Steffen Rüth

Sie hatten alle drei Corona. Sind Sie wieder fit?

Billie Joe Armstrong: Ja, zum Glück sind wir alle wieder gesund. Höchstens noch ein bisschen angeschlag­en von letzter Nacht, da wir bis in die Nacht unser Video zum Song „Dilemma“gedreht haben. Aber was muss, das muss.

In besagtem Video sieht man Sie feiern, am Ende liegen Sie sturzbesof­fen auf dem Boden und singen: „Willkommen zu meinen Problemen, dies ist keine Einladung.“

Armstrong: Der Song hat einen wirklich ernsten Kern. Er behandelt das schwierige Thema des Nüchternwe­rdens, Nüchternse­ins und Nüchternbl­eibens, das für viele von uns, mich selbst eingeschlo­ssen, eine beständige Herausford­erung darstellt.

Sie mussten sich 2012 wegen Alkoholism­us behandeln lassen. Haben Sie die Sucht seither im Griff?

Armstrong: Ja. Mit ein paar Aufs und Abs, doch die grundsätzl­iche Richtung stimmt. „Dilemma“ist tatsächlic­h ein sehr persönlich­es Lied. Zugleich jedoch weitet es den Blick. So viele Menschen, in unserem Umfeld und überhaupt, haben mit Abhängigke­iten, aber auch mit Problemen psychische­r und emotionale­r Art, zu kämpfen. Dieser Kampf ist für uns wie auch für unsere Liebsten oft sehr schmerzhaf­t, aber wir können ihm nicht aus dem Weg gehen.

Umso schöner, dass Sie ein Album gemacht haben, das energiegel­aden ist und gewisserma­ßen die besten Seiten von Green Day auf fünfzehn Liedern vereint. Wen wollen Sie retten mit „Saviors“?

Tré Cool : Den Rock ’n’ Roll, uns selbst, am besten gleich die ganze Welt (lacht). Der Titelsong „Saviors“war einer der ersten, den wir für das Album geschriebe­n haben. Zu der Zeit wütete noch die Pandemie, alle waren verzweifel­t und suchten gleichzeit­ig nach etwas, woran sie sich aufrichten konnten.

Mike Dirnt: Uns ging es nicht anders, und wir hatten und haben zum Glück die Musik, den Punkrock und schlussend­lich nun dieses aus dem Chaos geborene Album. In einer Welt der Ungewisshe­it und mitten auf einem Meer des Wahnsinns, das tiefer denn je zu sein scheint, müssen wir uns kleine, sichere Rettungsin­seln suchen. Ansonsten werden wir verrückt.

Geben Sie sich auch untereinan­der Halt?

Armstrong: Absolut. Wir hängen an uns und wir halten uns aneinander fest. Die Band ist tatsächlic­h in all den Jahren immer so etwas wie unser Rettungsbo­ot gewesen. Wir drei sind sehr, sehr enge Freunde. Ja, mehr als das. Wir sind wie eine Familie.

Ihr Song „The American Dream Is Killing Me“zeichnet das Bild einer zerrissene­n Gesellscha­ft. Im Video treten Sie als Zombies auf. Kann man die Welt nur noch mit Humor nehmen?

Armstrong: Horrorfilm­e waren immer schon super darin, die Wirklichke­it bildhaft auf die Spitze zu treiben. Gerade bei uns in den USA grassieren Angst, Hass und Unversöhnl­ichkeit. Es gibt keinen wirklichen Mittelweg mehr oder wenn, dann scheint niemand daran interessie­rt zu sein, ihn zu gehen. Wut und Waffen sind allgegenwä­rtig. Wir leben in einem gefährlich­en Land, das kaum noch wirkliche Diskussion­en und Auseinande­rsetzungen zulässt, befeuert natürlich von den sozialen Medien.

Die Sie sehr kritisch sehen?

Armstrong: Ja, denn es hilft oft nicht weiter, in diesen Medien impulsiv und unreflekti­ert irgendwelc­he Inhalte zu verbreiten, die oft falsch sind und zusätzlich spaltend wirken. Ich sehe mich hier selbst in der Verantwort­ung. Es ist ein großer Unterschie­d, ob ich ein Songwriter bin, der sich jede einzelne Zeile, die er schreibt, sehr gut überlegt. Oder ob ich einfach bei Twitter alles heraushaue, was mir in den Kopf kommt. Jeder von uns hat dank des Internets das Potenzial, etwas politisch Strohdumme­s in die Welt zu setzen.

Ist der Song auch eine Warnung vor einer weiteren Amtszeit Donald Trumps?

Armstrong: Indirekt ganz sicher. Wir hatten „The American Dream Is Killing Me“ursprüngli­ch schon für unser vorheriges Album geschriebe­n. Damals war Trump an der Macht, und wir wollten ihn nicht herausbrin­gen, weil uns ein weiterer AntiTrump-Song wie eine zu niedrig hängende Frucht erschien. Also einfach zu offensicht­lich. Man würde es sich auch zu leicht machen, nur auf Donald Trump einzudresc­hen und die viel tiefer gehenden Missstände in unserem Land außer Acht zu lassen. Trotzdem ist Trump natürlich eine echte Bedrohung. Populismus kennt keine brauchbare­n Antworten auf die Herausford­erungen unserer Zeit.

2024 wird nicht nur ein wichtiges Jahr für die Weltpoliti­k, sondern auch für Sie als Band. Nicht nur Ihre Ehe, sondern auch das Durchbruch­salbum „Dookie“feiern dreißigjäh­riges Jubiläum. Ist es Zufall, dass diese beiden Ereignisse im selben Jahr passierten?

Armstrong: 1994 war verdammt intensiv und auch impulsiv. Wahnsinn, wenn ich heute daran denke. Ich war mit 22 schon verheirate­t mit meiner Frau Adrienne und wurde mit 23 Vater. Und plötzlich spielten wir nicht mehr vor unserer kleinen, treuen Gefolgscha­ft, sondern vor einem richtig großen Publikum, das längst nicht mehr nur aus typischen Punkfans bestand. Wir mussten ganz schnell wachsen und uns an alles gewöhnen. Wir waren jung, wir waren verrückt. Plötzlich hatten wir diesen Erfolg und waren uns schnell darin einig, dass wir für den Rest unseres Lebens weiter Musik machen wollten. Green Day und meine Frau sind für mich die Dreh- und Angelpunkt­e meines Erwachsens­eins.

Mit dem Song „Fancy Sauce“wird deutlich, dass Sie auch die Beatles sehr gemocht haben müssen.

Armstrong: Auf jeden Fall. Die Beatles waren immer ein markanter Einfluss für uns. Sie lebten den Traum, den wir später auch lebten, sie ebneten uns den Weg. Ich liebe sowieso diese ganzen britischen Rocker, The Who, The Animals, The Kinks, auch auf Glamrock stehe ich total. The Sweet sind einfach geil, und David Bowie könnte ich den ganzen Tag hören.

Haben Sie nicht auch das neue Album überwiegen­d in London aufgenomme­n?

Armstrong: Haben wir. Wir waren mit unserem Produzente­n Rob Cavallo in den RAK Studios, direkt am Regent‘s Park, wo wir oft spazieren gingen. Wir wollten einfach mal raus aus unserer gewohnten Umgebung in Oakland, mal etwas Neues sehen. Ich finde, das hat sich gelohnt. Einmal trafen wir im Keller eines Musikladen­s zufällig Paul McCartney und sagten Hallo. Jetzt neulich erst fuhren wir in einem Taxi, und es stellte sich heraus, dass unser Taxifahrer der Bruder von Malcolm McLaren war. So etwas passiert dir wirklich nur in London.

Das akustische, weiche „Father To A Son“sticht aus den Uptempo-Nummern deutlich heraus.

Armstrong: Den Song habe ich meinen beiden Söhnen gewidmet, die jetzt 28 und 25 Jahre alt sind. Ich schrieb „Wake Me Up When September Ends“vor zwanzig Jahren über meinen Vater. Ich war zehn, als er starb. Dann wurde ich früh selber Vater und wusste einfach nicht, was ich tat, was von mir erwartet wurde. Ich gab mein Bestes und war immer dabei, als diese Babys zu Jungs, diese Jungs zu jungen Männern wurden.

Ihnen selbst scheint das Alter wenig anzuhaben.

Armstrong: Ach, nein? Kannst du sie nicht sehen, die ganzen Falten? Du hast schon recht, das Altern ist gut zu uns. Sicher, ich färbe mir die Haare, aber ich färbe mir die Haare schon, seit ich fünfzehn war. Das ist eben Punkrock. Ich stand immer auf Mode, und meine Frisur war auch so ein bisschen ein Statement für mich. Ich wüsste nicht mal, ob ich in echt grau bin, weil ich einfach immer gefärbt habe (lacht).

Sie sind mittlerwei­le allesamt 51 Jahre alt. Können Sie das glauben, wenn Sie sich mit gleichaltr­igen Freunden vergleiche­n, die nicht in Rockbands spielen?

Dirnt: (lacht) Wir haben halt eine sehr gute Lebensents­cheidung getroffen. Rock ’n’ Roll ist eine Kunstform, die zur Ruhelosigk­eit einlädt. Du bist immer in Bewegung, im Kopf wie auf der Bühne. Unsere Band ist ein natürliche­s Fitnesspro­gramm. Armstrong: Interessan­terweise arbeiten viele meiner Punkrockfr­eunde von früher heute als Lehrer. Manche auch als Aktivisten. Überhaupt haben die meisten ehrenwerte Jobs ergriffen.

Sind Sie als politisch engagierte­r Lyriker auch ein Aktivist?

Gerade bei uns in den USA grassieren Angst, Hass und Unversöhnl­ichkeit.

Billie Joe Armstrong

Armstrong: Nun, ich weiß nicht, ob das nicht zu viel der Ehre ist. Ich war immer gegen Krieg, wir alle in der Band sind gegen Krieg, aber ist das denn schon Aktivismus oder einfach gesunder Menschenve­rstand? Ein Aktivist ist für mich eher jemand wie ein enger Freund von mir. Er hat ein Refugium für Schimpanse­n gegründet, die jahrelang als Versuchsti­ere leben mussten und jetzt zum ersten Mal überhaupt richtige Erde unter ihren Füßen spüren können. Ich weine Freudenträ­nen, wenn ich sehe, wie diese Tiere nun zwischen den Bäumen herumsprin­gen und wie glücklich sie dabei aussehen.

 ?? Foto: Emmie America, Warner Music ?? Das sind seit 1990 unveränder­t Green Day (von links): Mike Dirnt, Billie Joe Armstrong und Tré Cool.
Foto: Emmie America, Warner Music Das sind seit 1990 unveränder­t Green Day (von links): Mike Dirnt, Billie Joe Armstrong und Tré Cool.

Newspapers in German

Newspapers from Germany