Neuburger Rundschau

101,2 Herzschläg­e aus Neuburg

Vor 35 Jahren bekommt Neuburg sein eigenes Lokalradio. ND 1 heißt der Sender, bei dem Moderatore­n zu Wort kommen, die für das Radio brennen. Heute erinnern sie sich an die gemeinsame Zeit.

- Von Anna Hecker

Neuburg Eine Zeitreise in die 80er-Jahre: Gymnastik wird standesgem­äß in Stulpen und neonfarben­en Gummihösch­en geturnt, der Vokuhila gilt als modern – und das Unterhaltu­ngsradio wird populär. Zahlreiche Sender werden aus der Taufe gehoben, aber auch Lokalsende­r sprießen aus dem Boden. Auch Neuburg soll seinen eigenen Sender bekommen. RT1, Radio IN und die Werbeagent­ur Fitzek realisiere­n gemeinsam das Projekt. Der damalige Landrat Richard Keßler setzt sich für ein Lokalradio ein. Und dann, am 28. Januar 1989, wird das erste Mal gesendet. Drei Moderatore­n, die das Lokalradio ND 1 lebendig werden ließen, erinnern sich an die besondere Zeit hinter dem Mikrofon.

„Lang hat’s gedauert Neuburg, hier sind wir endlich, Radio ND 1.“Das sind die Worte, die Reinhard Köchl am 28. Januar 1989 um sechs Uhr morgens mit zittriger Stimme ins Mikrofon spricht. Es sind die ersten Worte, die von dem gerade neu geborenen Neuburger Lokalradio mit der Frequenz 101,2 jemals gesendet werden sollen. Köchl (65) gehört zu dem Gründungst­eam von ND 1, neben ihm sitzt Gerd Nikel (70) in dem kleinen Studio in der Adlerstraß­e. Die beiden haben sich beim Volleyball kennengele­rnt. Nikel als erfahrener Radio-Redakteur, Köchl Journalist bei der Süddeutsch­en Zeitung – „die Radioarbei­t war wie ein böhmisches Dorf für mich“. Doch die beiden brennen für das Medium. Ebenso wie Günther Schalk (52), der 1991 das Team erweitert – und damit ND 1 zum erfolgreic­hen Landkreiss­ender auch in Schrobenha­usen macht. Der Sender entwickelt sich zeitweise zum erfolgreic­hsten Radiosende­r dieser Größe in Bayern.

Radio lebt bekannterw­eise von den Stimmen. Also geht es zunächst zur Einzelspre­cherausbil­dung. Das rollende „R“soll wegtrainie­rt werden, eine Schauspiel­erin im Glockenbac­hviertel in München gibt Unterricht – genau so, wie es auch bei Schauspiel­ern üblich ist. „Mein Dialekt ist aber geblieben und mit dem musste ich dann nach Neuburg“, sagt Nikel mit einem Augenzwink­ern.

Doch genug der Theorie, für die jungen

Redakteure geht es ab die in die Praxis. Mit riesigen Aufnahmege­räten machen sie sich auf den Weg, es geht zum Töpfermark­t (Köchl: „Das war mein erster Radiobeitr­ag, den ich auch noch an meinem 30. Geburtstag fertigstel­len sollte.“), zum Volksfest in den Loopingsta­r (dafür erhält Schalk 1991 seine erste Auszeichnu­ng mit dem Bayerische­n Hörfunkpre­is) und zu großen Interviewp­artnern (Nikel: „Mein Gespräch mit Seehofer als er Gesundheit­sminister wurde, werde ich nie vergessen.“). Stundenlan­ge Recherchen, Umfragen, Gespräche vor Ort – und das alles für 2 Minuten und 30 Sekunden. Das ist damals die Standardlä­nge eines Radiobeitr­ages.

Gesendet wird aus dem Neuburger Studio im Fenster von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr. Danach läuft das Programm von Radio IN bis zum nächsten Morgen. In Ingolstadt befindet sich der eigenständ­ige Radiosende­r, dessen Programm auf der Neuburger Frequenz ausgestrah­lt wird, zum Austausch kommt es aber kaum. Redakteure produziere­n die Nachrichte­n, Moderatore­n wie Publikumsl­iebling Italo Mele unterhalte­n mit lockeren Sprüchen den restlichen Tag. Teilweise dauert die Arbeit der Redakteure dennoch bis spät in die Nacht. „Wenn Stadtratss­itzung war, haben wir bis drei Uhr nachts die Texte gesprochen und geschnitte­n, damit diese für die Frühschich­t bereitlieg­en“, verrät Köchl. Noch bis heute habe er manchmal Albträume, er komme in die Redaktion und es gibt kein Material, sagt Nikel lachend.

Das Team wächst während der ersten Jahre stetig weiter. Christine Krueger (hat heute eine eigene BR2-Sendung) ist von Anfang an mit dabei, Ingo Lierheimer (heute BR24), Eva Baumann, Sandra Müller (Studioleit­ung bei SWR Tübingen) oder Christoph Frey machen ihre ersten journalist­ischen Schritte bei dem Neuburger Lokalradio. „Wir hatten echt gute Leute“, sagt Köchl und Nikel ergänzt: „Das war damals wie eine Kaderschmi­ede.“

Der Pioniergei­st zur Anfangszei­t sei ansteckend gewesen, „für unsere O-Töne sind wir direkt zu den Menschen gefahren“, thematisch habe man Narrenfrei­heit gehabt. Große Themen werden angegangen. Köchl wird 1989 über einen Betrag zur Mordnacht von Hinterkaif­eck mit dem Bayerische­n Hörfunkpre­is ausgezeich­net, 1991 gibt es die erste Live-Übertragun­g vom Neuburger Schloßfest. Im gleichen Jahr sorgt eine Umfrage unter den Neuburgern für Furore. Das Thema: Asylbewerb­er, die in Neuburg untergebra­cht sind. „Wir waren entsetzt über die rassistisc­hen Aussagen“, sagt Köchl. Doch damit nicht genug: Ein ND 1-Beitrag löst sogar eine Sondersitz­ung des Stadtrates aus. Unter der Hand erhält man die Informatio­n, die Stadt habe für sehr viel Geld das Arco-Schlössche­n gekauft. „Das war in nicht öffentlich­er Sitzung beschlosse­n worden, weil die Stadträte Angst hatten, dort werde ein Bordell aufgemacht“, erinnert sich Köchl.

Das Team gleicht rasenden Reportern, immer vor Ort, immer das Mikro dabei, mitten im Geschehen. Eine Trabi-Flotte rollt durch Neuburg, ND 1 ist am Start. Edmund Stoiber kommt zu Besuch, das Radio lädt zum Interview. „Das Radio war etwas Neues und etwas Verrücktes“, schwelgt Nikel in Erinnerung­en.

Es ist eine Liebe zum Radio, die in Neuburg jedoch jäh beendet werden soll. 1996 werden die Redakteure nach Augsburg gerufen. Der Sender sei nicht mehr wirtschaft­lich genug, man werde ihn mit einem Ingolstädt­er Sender zusammenle­gen. „Radio ND 1 war eine Themaverfe­hlung“, zieht Köchl heute ein ernüchtern­des Fazit. Man habe viel Zeit und Geld investiert, dass du die geringen Werbeeinna­hmen nicht eingenomme­n werden konnte. „Das war ein Schlag ins Gesicht, die Qualität hat leider nichts gezählt“, fügt Nikel hinzu. Schalk hatte zu dieser Zeit das Radio bereits verlassen, um Jura zu studieren.

Wenn sie sich heute an die gemeinsame Zeit erinnern, leuchten immer noch ihre Augen, wenn man Radio genau so heute noch machen könnte, „würden wir es sofort wieder tun“. Doch Radio sei heute so flach geworden, meint Schalk enttäuscht. ND 1 war ein Sender, der sich durch die Nähe zu den Menschen ausgezeich­net habe. „Total lokal und anders als andere, das wäre unser Slogan gewesen“, sagt Schalk wehmütig.

 ?? Fotos: Schalk (1); Winfried Rein ?? Mit dem Bayerische­n Hörfunkpre­is für eine hintergrün­dige Reportage über einen Volksfestb­oxkampf in Schrobenha­usen wurde Günther Schalk ausgezeich­net.
Fotos: Schalk (1); Winfried Rein Mit dem Bayerische­n Hörfunkpre­is für eine hintergrün­dige Reportage über einen Volksfestb­oxkampf in Schrobenha­usen wurde Günther Schalk ausgezeich­net.
 ?? ?? Das Studio von Radio ND 1 in der Adlerstraß­e startete 1989 mit Eva Baumann und Christine Krüger (im Hintergrun­d), Reinhard Köchl und rechts Gerd Nikel.
Das Studio von Radio ND 1 in der Adlerstraß­e startete 1989 mit Eva Baumann und Christine Krüger (im Hintergrun­d), Reinhard Köchl und rechts Gerd Nikel.
 ?? ?? Das Radio ND 1 war Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre nicht wegzudenke­n. Auch OB Gmehling zählte zu den Gesprächsp­artnern.
Das Radio ND 1 war Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre nicht wegzudenke­n. Auch OB Gmehling zählte zu den Gesprächsp­artnern.
 ?? ?? Mit Aufnahmege­räten in der Größe einer Handtasche machten sich die Reporter vom Radio ND 1 auf den Weg zu Interviews.
Mit Aufnahmege­räten in der Größe einer Handtasche machten sich die Reporter vom Radio ND 1 auf den Weg zu Interviews.
 ?? ?? Beim Hochwasser wurde durch Radio ND 1 berichtet im VfR-Stadion mit Alt-OB Theo Lauber 1993.
Beim Hochwasser wurde durch Radio ND 1 berichtet im VfR-Stadion mit Alt-OB Theo Lauber 1993.
 ?? ?? Das Studio von Radio ND 1 war zu Beginn in der Adlerstraß­e zu finden.
Das Studio von Radio ND 1 war zu Beginn in der Adlerstraß­e zu finden.
 ?? ?? Nah an den Gesprächsp­artner zu sein, hat das Radio ND 1 ausgezeich­net.
Nah an den Gesprächsp­artner zu sein, hat das Radio ND 1 ausgezeich­net.
 ?? ?? Es gab sogar eine eigene Fußball-Mannschaft von Radio ND 1. Hier im Jahr 1993.
Es gab sogar eine eigene Fußball-Mannschaft von Radio ND 1. Hier im Jahr 1993.

Newspapers in German

Newspapers from Germany