Viel Applaus für „Cabaret“
Im Ingolstädter Stadttheater fand die Premiere des Musicals „Cabaret“statt. Ein plakatives Bekenntnis gegen Rassismus und Faschismus.
Der Kunde ist König und das Publikum hat immer recht. Demzufolge und gemessen an der Begeisterung der Premierengäste ist die Inszenierung des Musicals „Cabaret“, die jetzt am Stadttheater Ingolstadt über die Bühne ging, ein voller Erfolg.
Sehr lange bevor die Berlin-Babylon-Begeisterung durchs Land schwappte, hatte die Verfilmung von „Cabaret“aus dem Jahr 1972 des sechs Jahre zuvor uraufgeführten Musicals von Joe Masteroff den wilden 20ern und ihrem Abgesang schon ein Denkmal gesetzt.
Regisseur Philipp Moschitz, der sich selbst auch eine Rolle in seiner Inszenierung zugedacht hat, bringt jetzt den Stoff über den „halb verhungerten amerikanischen Schriftsteller“Clifford Bradshaw (Matthias Gärtner), der um den Jahreswechsel 1929/30 in einem Berliner Amüsierschuppen in mehrfacher Hinsicht seine Unschuld verliert, als „Stück der
Stunde“auf die Bühne des Großen Hauses.
Die Nazis haben die Zeit der wirtschaftlichen Krise und wachsenden Not auf der einen Seite und der besinnungslosen, sittenlosen Ausschweifungen auf der anderen, genutzt, um nach der Macht im Staate zu greifen. Alle spüren, ein
Sturm ist nah und einige wissen genau, wem der morgige Tag gehört und was die Zukunft bringen wird. Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als um Deutschland und das Ende der Welt, wie wir gleich zu Beginn und am Ende des Abends aus dem Off hören.
Der Star des KitKat-Clubs ist Sally Bowles. Olivia Wendt gibt das moralisch indifferente Nachtclub-Starlet mit beeindruckender, geradezu bedrängender Power, ein umjubelter Kraftakt. Moschitz hat die markante Figur des Conferenciers – nicht durchgängig konsequent – aus der Handlung herausgenommen, sie, warum auch immer, verdoppelt und lässt dieses genderfluide Duo Infernal das ganze Stück hindurch als vulgäre Pausenclowns agieren.
Die Bühne (Ayse Gülsüm Özel) ist weitestgehend unmöbliert, ein wenig Dekor, ein wenig Projektion – die wechselnden Spielorte entstehen vor allem durch hinaufund hinabschwebende, durchscheinende und durchschreitbare Raumteiler. Die Kostüme (Claudio Pohle), eine Mischung aus historischen Zitaten und zeitloser Freudenhaus-Fashion, lässt den sechs tanzenden Kitkats viel Bewegungsfreiheit (Choreografie: Sven Niemeyer). Das zehnköpfige Orchester unter Tobias Hofmann, das souverän von Salonmusik über Jazz zu Heimatsound, Marschmusik und wieder zurück unterwegs ist, lässt absolut keine Wünsche offen. Die Evergreens dieses Musicals sind allerdings auch wirklich nicht totzukriegen.
Während der erste Teil des Abends mit seiner demonstrativen Verruchtheit, den andauernden, irgendwie doch aus der Zeit gefallenen Frivolitäten und überdimensionierten Geschlechtsteilattrappen, mit denen alle herumhantieren, ständig zu einer Parodie des Stücks zu werden droht, wirkt der zweite dramaturgisch gesammelter. Am Ende bringt Moschitz Mannschaft den Gegenwartsbezug der Handlung für alle, die es bislang nicht kapierten, demonstrativ affirmativ über die Rampe und verhindert so wie nebenbei, dass das Ingolstädter „Cabaret“am Ende nur eine schrille, irgendwie tragisch endende Nummernrevue von gestern wird.
Dass das Publikum angesichts der aktuell bis in die Sphären der behaglichen Unterhaltung hineindrängenden, politisch aufgeladenen Stimmung dem Ensemble für seinen Stellvertreter-Mut und das plakative Bekenntnis gegen Rassismus und Faschismus mit frenetischem Applaus dankte, war unvermeidbar – und ok.
Das Musical spielt zur Zeit des Nationalsozialismus.