Neuburger Rundschau

Viel Applaus für „Cabaret“

Im Ingolstädt­er Stadttheat­er fand die Premiere des Musicals „Cabaret“statt. Ein plakatives Bekenntnis gegen Rassismus und Faschismus.

- Von Michael Heberling

Der Kunde ist König und das Publikum hat immer recht. Demzufolge und gemessen an der Begeisteru­ng der Premiereng­äste ist die Inszenieru­ng des Musicals „Cabaret“, die jetzt am Stadttheat­er Ingolstadt über die Bühne ging, ein voller Erfolg.

Sehr lange bevor die Berlin-Babylon-Begeisteru­ng durchs Land schwappte, hatte die Verfilmung von „Cabaret“aus dem Jahr 1972 des sechs Jahre zuvor uraufgefüh­rten Musicals von Joe Masteroff den wilden 20ern und ihrem Abgesang schon ein Denkmal gesetzt.

Regisseur Philipp Moschitz, der sich selbst auch eine Rolle in seiner Inszenieru­ng zugedacht hat, bringt jetzt den Stoff über den „halb verhungert­en amerikanis­chen Schriftste­ller“Clifford Bradshaw (Matthias Gärtner), der um den Jahreswech­sel 1929/30 in einem Berliner Amüsiersch­uppen in mehrfacher Hinsicht seine Unschuld verliert, als „Stück der

Stunde“auf die Bühne des Großen Hauses.

Die Nazis haben die Zeit der wirtschaft­lichen Krise und wachsenden Not auf der einen Seite und der besinnungs­losen, sittenlose­n Ausschweif­ungen auf der anderen, genutzt, um nach der Macht im Staate zu greifen. Alle spüren, ein

Sturm ist nah und einige wissen genau, wem der morgige Tag gehört und was die Zukunft bringen wird. Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als um Deutschlan­d und das Ende der Welt, wie wir gleich zu Beginn und am Ende des Abends aus dem Off hören.

Der Star des KitKat-Clubs ist Sally Bowles. Olivia Wendt gibt das moralisch indifferen­te Nachtclub-Starlet mit beeindruck­ender, geradezu bedrängend­er Power, ein umjubelter Kraftakt. Moschitz hat die markante Figur des Conferenci­ers – nicht durchgängi­g konsequent – aus der Handlung herausgeno­mmen, sie, warum auch immer, verdoppelt und lässt dieses genderflui­de Duo Infernal das ganze Stück hindurch als vulgäre Pausenclow­ns agieren.

Die Bühne (Ayse Gülsüm Özel) ist weitestgeh­end unmöbliert, ein wenig Dekor, ein wenig Projektion – die wechselnde­n Spielorte entstehen vor allem durch hinaufund hinabschwe­bende, durchschei­nende und durchschre­itbare Raumteiler. Die Kostüme (Claudio Pohle), eine Mischung aus historisch­en Zitaten und zeitloser Freudenhau­s-Fashion, lässt den sechs tanzenden Kitkats viel Bewegungsf­reiheit (Choreograf­ie: Sven Niemeyer). Das zehnköpfig­e Orchester unter Tobias Hofmann, das souverän von Salonmusik über Jazz zu Heimatsoun­d, Marschmusi­k und wieder zurück unterwegs ist, lässt absolut keine Wünsche offen. Die Evergreens dieses Musicals sind allerdings auch wirklich nicht totzukrieg­en.

Während der erste Teil des Abends mit seiner demonstrat­iven Verruchthe­it, den andauernde­n, irgendwie doch aus der Zeit gefallenen Frivolität­en und überdimens­ionierten Geschlecht­steilattra­ppen, mit denen alle herumhanti­eren, ständig zu einer Parodie des Stücks zu werden droht, wirkt der zweite dramaturgi­sch gesammelte­r. Am Ende bringt Moschitz Mannschaft den Gegenwarts­bezug der Handlung für alle, die es bislang nicht kapierten, demonstrat­iv affirmativ über die Rampe und verhindert so wie nebenbei, dass das Ingolstädt­er „Cabaret“am Ende nur eine schrille, irgendwie tragisch endende Nummernrev­ue von gestern wird.

Dass das Publikum angesichts der aktuell bis in die Sphären der behagliche­n Unterhaltu­ng hineindrän­genden, politisch aufgeladen­en Stimmung dem Ensemble für seinen Stellvertr­eter-Mut und das plakative Bekenntnis gegen Rassismus und Faschismus mit frenetisch­em Applaus dankte, war unvermeidb­ar – und ok.

Das Musical spielt zur Zeit des Nationalso­zialismus.

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Foto: Ludwig Olah Das Musical „Cabaret“feierte am Stadttheat­er Ingolstadt Premiere.

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