Kinderbuchlesung sorgt für Furore
Die Drag-Künstler Vicky Voyage und Eric BigClit veranstalten in Ingolstadt eine Lesung für Kinder. Die AfD spricht von „Indoktrination“, die Stadt Ingolstadt steht hinter der Veranstaltung.
Normalerweise sorgt eine Kinderbuchlesung kaum für Aufmerksamkeit. Anders in Ingolstadt. Kaum war bekannt geworden, dass zwei Drag-Künstler mit den Künstlernamen Eric BigClit (übersetzt „Große Klitoris“) und Vicky Voyage für eine Lesung im Rahmen des Fem*-Festivals nach Ingolstadt kommen würden, gingen die Diskussionen los, vor allen Dingen in den Sozialen Medien. „Da wird eine Überzeugung mit der Brechstange durchgedrückt. Ohne Rücksicht auf Verluste“, heißt es beispielsweise auf Facebook. Oder: „Hypersexualisierte Darstellungen einer Frau, die ein Mann verkörpert, ist Sexismus – Kinder brauchen so was nicht.“
Aber auch die Politik hat sich zu Wort gemeldet. Die Ingolstädter AfD zeigte sich empört und sprach in einer Pressemitteilung von „Indoktrination“und „Frühsexualisierung“. Grund ist, dass die beiden queeren Künstler Hauptakteure einer Veranstaltung sind, die sich explizit an Familien mit Kindern ab vier Jahren richtet. Sie findet am 4. März in der Fronte 79 statt. Neben der Kritik gibt es jedoch auch Stimmen, die das Angebot begrüßen oder ihm zumindest neutral gegenüberstehen: „Kunst ist vielfältig und frei!!! Wo liegt das Problem?“, fragt sich ein User. Und eine andere meint: „Wird irgendwer zu irgendwas gezwungen? Hingehen werden die, die das wollen. Alle anderen bleiben weg, so einfach ist das.“
Unter dem Motto „Wir lesen die Welt, wie sie euch gefällt“werden die beiden Künstler aus Kinderbüchern gelesen, die Titel tragen wie „Puppen sind doch nichts für Jungen“
oder „Der Junge im Rock“. Aber auch der Klassiker „Der kleine Prinz“von Antoine de SaintExupéry steht auf dem Programm. In den Bilderbüchern geht es um Jungs in Kleidern oder Prinzessinnen, die einen ganz eigenen Willen haben. Das Fem*-Festival findet in diesem Jahr zum zweiten Mal statt und ist aus dem Künstlerinnentagen „Der Oktober ist eine Frau“hervorgegangen. Es handelt sich um ein Kooperationsprojekt zwischen dem Kulturamt und der Gleichstellungsstelle der Stadt Ingolstadt.
Für die 18 Veranstaltungen gibt es eine Förderung vom Bezirk Oberbayern, außerdem tritt die Sparkasse als Sponsor auf.
Die Veranstalter stehen trotz der Diskussionen hinter der Lesung der Drag-Künstler. „Es gibt keine sexuellen Inhalte“, sagt Matthias Neuburger vom Kulturamt. „Die beiden sind fancy verkleidet – so what!“Kulturreferent Gabriel Engert sieht ebenfalls keinen Anlass, die Lesung infrage zu stellen: „Es gibt keinen Grund, diese Veranstaltung nicht durchzuführen.“
Damit erteilt er auch der Forderung der AfD eine Absage, wonach Engert die Veranstaltung nicht mehr öffentlich bewerben und dafür auch keine städtischen Gebäude zur Verfügung stellen solle. Es gehe bei der Lesung allein darum, zu sein, wie man selbst sei, sagt Engert: „Es geht also gerade nicht um Indoktrination und Frühsexualisierung.“Er glaubt nicht, dass die Kritik die Lesung an sich um Fokus hat, vielmehr geht er davon aus, dass damit „bestimmte politische Themen transportiert werden sollen“. Dieser Ansicht ist auch Vicky Voyage. Im realen Leben ein Mann, tritt er in pompösen Kostümen bei verschiedenen Dragshows, zumeist rund um München, als Frau auf. Am Abend richten die sich an ein erwachsenes Publikum, unter- tags gibt es auch Lesungen für Kinder. Wie eben in Ingolstadt. Vicky Voyage betont, dass die Veranstaltung absolut familiengerecht sei: „Wir stehen am Ende nicht mit Strapsen da.“
Trotzdem war im Sommer massive Kritik aufgebrandet, als Vicky Voyage und Eric BigClit eine Lesung für Familien im Rahmen des Christopher-Street-Days in München geplant hatten. Verkleidet als Schneekönigin und Fuchskönig traten sie in der Stadtbibliothek in Bogenhausen auf. Mit gerade einmal 70 Personen war die Veranstaltung ausverkauft, und trotz ihrer geringen Größe hatte sie für mächtig Furore gesorgt. Freie-WählerChef Hubert Aiwanger sprach von „Kindeswohlgefährdung“, auch CSU-Generalsekretär Martin Huber schrieb damals auf Twitter: „Vierjährige sollten mit Bauklötzen oder Knete spielen und nicht mit woker Frühsexualisierung indoktriniert werden.“
Wegen einer Demonstration mussten die Familien damals das Gebäude über den Hintereingang betreten. Für Vicky Voyage ist klar: „Das war alles nur Wahlkampfspektakel.“Denn zwei Lesungen nach der Landtagswahl seien „herrlich unaufgeregt“gewesen.
„Es geht nicht darum, dass wir die Kinder alle queer machen wollen“, sagt Vicky Voyage. Aber die Kinder sollen bei der Lesung den Raum dazu bekommen, „so zu sein, wie sie sein möchten. Alles nach dem Motto: Leben und leben lassen.“