Wer klein ist, kann der Größte sein
Im Rahmen der Starken Kinderstücke steht Vicky Müller-Toùssa mit „Von Maus und Mond“auf der Neuburger Bühne. Die Handlung berührt nicht nur die Kinder unter den Zuschauern.
Ruhig und verlassen steht ein Tipi aus Weidenästen da, kuschelige Felle umgeben das kleine Heim, Holzstämme geben dem Ensemble den letzten Schliff. Schon auf den ersten Blick fühlt man sich als Besucher des Neuburger Stadttheaters in eine andere Welt versetzt, wenn man dieses Bühnenbild betrachtet. Kein Wunder, denn das Stück, das von Vicky Müller-Toùssa aufgeführt wird, entführt in die fremde Heimat der Inuit. Dort erzählt man sich schon seit Generationen die Geschichte „Von Maus und Mond oder wer ist der Größte“.
Die Neuburger Künstlerin steht bei diesem Stück allein auf der Bühne. Dennoch gelingt es ihr mühelos, in zahlreiche Rollen zu schlüpfen. Da sind die Brüder Enuki und Jonah, der Hase und der Fuchs, eine Wasserpfütze, Mond, Sonne, der Wind und natürlich drei Mäuse. Sie alle stellen sich zwei wichtige Fragen des Lebens: Wer ist größer, wer stärker? Und ist das alles eigentlich wichtig?
In einem braunen Amauti (Kleidung der Inuit, Kostüm dem nachempfunden), locker geflochtenen Zöpfen und einer filigranen Kette aus Federn kommt Müller-Toùssa auf die Bühne. Ihr Name ist Leah, sie ist eine Frau aus dem Stamm der Inuit. Der besondere Gesang der Einheimischen im Hintergrund macht dem Publikum endgültig klar, in welch exotische Welt die Zuschauer hier eintauchen dürfen. Sie erzählt von der eisigen Kälte im Winter (Weiße Federn dienen als Requisite für Schnee) und den grünen Wiesen im Frühling. Doch da wird die Idylle gestört. Denn Enuki und Jonah streiten, wer von beiden der größere ist. Die perfekte Gelegenheit, um den beiden Jungs mit einer alten Geschichte etwas Moral beizubringen.
Was in der nächsten Stunde folgt, ist wie eine liebevoll gestaltete Märchenstunde. Müller-Toùssa bringt zahlreiche handgefertigte Masken ins Spiel. So mimt sie zunächst die streitenden Brüder, wird dann zu Fuchs und Hase. Mit einer Trommel wird sie zum Mond, eine Schüssel mit Wasser hilft ihr, sich in eine Pfütze zu verwandeln. Gebannt blicken die
kleinen Zuschauer auf die Bühne, wenn die Darstellerin die Stimme verändert und ihre Körpersprache anpasst, um ganz deutlich zu machen, wer gerade ihr Protagonist ist. Das Plätschern des Wassers ist ebenso eindrücklich wie das Blasen des Windes.
Doch wer ist denn nun der Größte? Die Pfütze, weil sich der ganze Mond in ihr spiegeln kann? Oder doch der Hase, der die ganze Pfütze mit einem Schluck austrinkt? Und gibt es jemanden, der auf der Welt der Stärkste ist? Eine gelbe Teekanne wird zur Sonne, eine Felltasche zur Wolke. Die Wolke wird vom Wind besiegt, dieser wiederum scheitert an der
standhaften Mauer. So liebevoll inszeniert Müller-Toùssa dieses ganz ruhig erzählte, eindrückliche Stück. Es stammt aus der Feder von niemand Geringerem als dem berühmten Kinderbuchautor Paul Maar. Kindgerecht und mit besonderer Poesie werden Themen wie Eifersucht, Größenwahn und Eitelkeit aufgegriffen. Aber alles nur ganz sachte und mit einem liebevoll verpackten moralischen Zeigefinger, der auch nur ganz sanft erhoben wird. Dieser Spagat gelingt auch Müller-Toùssa auf der Bühne des Neuburger Stadttheaters besonders gut. Kluge Dialoge lehren die Zuschauer wichtige Lektionen. Dennoch wirkt das
Stück zu keiner Zeit gestelzt. Es macht Spaß, mit dem Mäusekönig auf die Reise nach dem perfekten Bräutigam für seine Tochter zu gehen. Die Kinder fiebern mit, als der König den Mäuserich nicht finden kann und lachen über dessen Unwissenheit.
Das Stück besticht gerade durch seine Schlichtheit. Hier braucht es keine aufwendige Kulisse, es gibt keine Umbauten, keine Szenenwechsel, Müller-Toùssa trägt ihre Inszenierung mühelos allein. Besonders die Handmasken, welche die Schauspielerin vor Jahren selbst anfertigte, sind so ausdrucksstark, dass es keines weiteren Kostümwechsels bedarf,
wenn Müller-Toùssa – meist in Sekundenbruchteilen – zwischen den einzelnen Rollen wechselt.
Am Schluss ist klar, nicht die Größe zählt und auch nicht die Stärke, alles kommt auf die Perspektive und die Situation an. Eine Maus kann stark sein, die Sonne schwach. Der Hase kann die Pfütze schlucken und dennoch vom Fuchs besiegt werden. Viel wichtiger sind am Ende Zusammenhalt und Zuneigung, das finden auch Enuki und Jonah schließlich heraus. Ein Stück, das nicht nur die Kinder berührt, sondern auch ihre Eltern und Großeltern, die am Schluss ebenso begeistert Applaus spenden.