Wie Biodiversität in der Ökobilanz sichtbar wird
Neue flexible Methode berechnet Einfluss auf die Artenvielfalt im Lebenszyklus eines Produkts.
Ökobilanzen sind seit circa 20 Jahren eine bewährte Methode in Wissenschaft und Politik. Unternehmen nutzen sie, um ihre Produkte umweltbewusster herzustellen, Konsumentinnen und Konsumenten wiederum helfen sie bei Kaufentscheidungen. Die Bewertung eines Produkts ergibt sich aus den Auswirkungen, die es auf die Umwelt hat – während der Produktion, bei der Nutzung und am Ende bei der Entsorgung. Man sieht sich dazu beispielsweise den Ressourcenverbrauch, die Menge an ausgestoßenen Treibhausgasen und den Einfluss des Produkts auf die Klimaerwärmung oder die unnatürliche Anreicherung von Nährstoffen in Gewässern oder Böden an. „Was üblicherweise bis vor Kurzem nur schlecht abgebildet wurde, ist die Wirkung des Produkts auf die Biodiversität“, sagt Jan Paul Lindner. Er ist seit Frühjahr 2023 Professor für Technology Assessment am Institut für Materials Resource Management.
„Es gibt dafür noch keine Standardmethode“, erklärt er. „Der Rückgang der biologischen Vielfalt hängt aber mit dem stetig steigenden globalen Konsum direkt zusammen. Wir müssen uns mit Biodiversität beschäftigen.“Lindner hat eine Methode entwickelt, wie sich Biodiversität im Rahmen der Ökobilanzierung, auch life cycle assessment, bewerten lässt.
Pizza, Käse, Batterien
Einer der Hauptgründe für den Verlust von Artenreichtum und genetischer Vielfalt sind die Nutzung von Land und die damit einhergehenden Produktionsprozesse. Deswegen untersuchen Lindner und sein Team, wie sich Flächen und Ökosysteme durch die Herstellung bestimmter Produkte verändern. Der „Biodiversitätswert“des Produkts verknüpft sehr viele unterschiedliche Daten miteinander. Bei Lebensmitteln, deren Ausgangsstoffe auf Äckern und Plantagen angebaut werden, sind das landwirtschaftliche Faktoren: Es geht zum Beispiel um Themen wie Fruchtfolge, Begleitpflanzung und die Größe der Felder sowie die Art der Bodenbearbeitung. Ebenso wichtig ist, wie gedüngt wird, ob mit Pestiziden gearbeitet wird und ob seltene Arten verdrängt werden.
Je nach Komplexität des zu bewertenden Produkts sind etliche Analysen nötig. Bei einer Holzofen-Pizza mit Salami würde man sich den Anbau von Weizen und Tomaten ansehen. Ebenso den von Soja, das als Futter für die Rinder und Schweine dient, die wiederum die Grundlage für Käse und Salami bilden. Bei der Tierhaltung ist ferner entscheidend, ob konventionell oder bio gehalten. Auch wie das Feuerholz gewonnen wird, geht in die Berechnungen ein.
Dabei betrachten die Forschenden alle Arten von Ökosystemen und nicht nur landwirtschaftliche Produkte. Beispielsweise bei Lithium, das insbesondere für die Batterieherstellung notwendig ist, ist wichtig, ob das Metall aus Gestein oder Salzwasser gewonnen wird und mit welchem Verfahren.
Anwenden und weiterentwickeln
„Der Biodiversitätswert, den wir mit diesen Berechnungen erhalten, sagt uns, wie weit die vom Menschen bearbeitete Natur von einem natürlichen
Idealzustand entfernt und wie hoch demzufolge der Einfluss auf die Artenvielfalt ist“, erklärt Lindner. „Nicht immer haben wir Zugriff auf alle Daten und können auch noch nicht alle Zusammenhänge modellieren. Beispielsweise, dass Insektizide auch Vogelpopulationen beeinflussen, weil diese Insekten fressen. Die Stärke der Methode ist jedoch bereits jetzt, dass sie gut anwendbar ist und Aussagekraft besitzt.“
Das Ziel ist nun, die Methode weiterzuentwickeln. Im Verbundprojekt „Biodiversity Valuing & Valuation“der Universität Augsburg mit dem Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke und dem Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin widmet sich Lindner mit weiteren Forschenden der Frage, wie die Wertschätzung von Biodiversität entlang von Produktlebenszyklen gesteigert werden kann. Neben der Weiterentwicklung der Methode an sich – Lindners Aufgabe – geht es um Wertschätzung von Artenvielfalt in der Gesellschaft und um die unternehmerische Frage, wie biodiversitätsfördernd gewirtschaftet werden kann. Für die praktische Anwendung sind die Industriepartner Alfred Ritter GmbH & Co. KG, Seeberger GmbH und die Frosta AG an Bord. „Wir möchten unsere Methode nicht nur besser anwendbar machen, sondern auch auf mehr Einflussfaktoren und Ökosysteme ausweiten“, sagt Lindner abschließend. „Wie kann zum Beispiel der Einfluss auf die Artenvielfalt
in den Weltmeeren gemessen werden? Wie können wir die diffusen Einflüsse, die nicht direkt durch die Nutzung von Land, sondern durch sich ändernde klimatische Bedingungen entstehen, mit einbeziehen?“