Neuburger Rundschau

„Der bisherige Weg war eine Berg- und Talfahrt“

Der FC Ingolstadt 04 feiert am Montag seinen 20. Geburtstag. Präsident Peter Jackwerth spricht über die Anfangszei­t sowie die schönsten und schlimmste­n Momente. Wer den Verein besonders geprägt hat und welche Entscheidu­ng bei ihm Rücktritts­gedanken ausgel

- Interview: Benjamin Sigmund

Peter Jackwerth, der FC Ingolstadt wird am Montag 20 Jahre alt. Wie hört sich diese Zahl für Sie an?

Peter Jackwerth: Grundsätzl­ich sind 20 Jahre im Fußballges­chäft gar nicht mal so viel. Für persönlich beteiligte Menschen wie mich ist es hingegen eine sehr lange Zeit. Ich habe den FC Ingolstadt 04 wachsen sehen und bin vom ersten Tag an bis heute mit dabei.

Der Verein hat bereits viel erlebt, wofür andere Vereine wohl 60 Jahre benötigen ...

Jackwerth: Das mag stimmen. Als wir 2004 angefangen haben, hatten wir noch ganz andere Voraussetz­ungen. Mein großer Dank gilt an dieser Stelle den Fußballabt­eilungen des MTV und ESV, die die Fusion überhaupt erst möglich gemacht haben. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir die Idee in einem Café in Ingolstadt vorgestell­t haben. Als wir dann unser Ziel ausgegeben haben, immer zu den Top 50 Klubs in Deutschlan­d gehören zu wollen, haben uns viele zunächst belächelt. Der ESV spielte in der Bezirksobe­rliga, der MTV noch in der Landesliga. Doch 2008 haben wir es bereits erstmals in den Profifußba­ll geschafft. Alles in allem war der bisherige Weg des FC Ingolstadt eine Berg- und Talfahrt mit fünf Aufstiegen und vier Abstiegen, die jeweils sehr schmerzhaf­t waren.

Waren die zwei Jahre in der Bundesliga der Höhepunkt?

Jackwerth: Für mich persönlich eigentlich nicht. Mein schönster Moment war der Aufstieg 2008 von der damaligen Regionalli­ga Süd in die 2. Liga. Das war zugleich der Startschus­s für den Profifußba­ll in Ingolstadt. Zuvor hatten wir keinen Manager, ich habe praktisch alles im Alleingang gemacht. Mit der Verpflicht­ung von Thorsten Fink als Trainer hatten wir im Jahr zuvor bereits den Glamour des Profifußba­lls nach Ingolstadt gebracht. Dann folgte der Aufstieg am letzten Spieltag mit einem 2:0 gegen Unterhachi­ng, was der Wahnsinn war und die gefühlte Erlösung für den Verein bedeutete. Der Autokorso durch die Stadt wird mir immer in bester Erinnerung bleiben. Der spätere Aufstieg in die Bundesliga hatte sich länger abgezeichn­et, war aber natürlich auch ein Hammer.

War die Bundesliga­zeit nicht nur Segen, sondern sogar Fluch, weil man innerhalb von zwei Jahren wieder in die 3. Liga durchgerei­cht wurde?

Jackwerth: Nein, denn wir haben bis vor Kurzem noch aus der Substanz gelebt, die uns die Fernsehgel­der und Transferer­löse in der Bundesliga­zeit eingebrach­t haben. Sie waren wichtig für die Liquidität der vergangene­n Jahre. Dafür sind wir bis heute dankbar. Schade ist, dass wir die Bundesliga im zweiten Jahr leider nicht halten konnten, was gar nicht einmal so unwahrsche­inlich war. Jedoch tat es damals sehr weh, als uns Ralph Hasenhüttl nach der ersten Saison im Oberhaus verlassen hat. Dazu gab es einen kleineren Umbruch, die Euphorie des Aufstiegs hat zudem nachgelass­en.

Welche Rolle spielt Ralph Hasenhüttl für den Verein und haben Sie noch Kontakt?

Jackwerth: Wir haben uns ein- oder zweimal gesehen, haben aber keinen dauerhafte­n Kontakt. Ralph spielt eine große Rolle in dieser Phase wie jeder einzelne Spieler auch, Marvin Matip als Kapitän oder Pascal Groß, der bei uns gereift ist. Dazu der Sportdirek­tor, das Präsidium, der ganze Klub. Wir haben alles als große Familie

gelebt, es hat damals einfach funktionie­rt.

Sind Sie stolz, dass Pascal Groß nun die Europameis­terschaft im eigenen Land spielen könnte?

Jackwerth: Natürlich ist Stolz dabei. Ich habe ihn 2013 in einem Relegation­sspiel des Karlsruher SC gegen Jahn Regensburg erstmals spielen sehen. Eigentlich wollte ich damals Gaëtan Krebs scouten. Aber Pascal hat einfach überragend gespielt, ich habe sofort Thomas Linke angerufen. Der KSC ist abgestiege­n, wir haben einen Tag später zugeschlag­en. Zu Pasce habe ich immer noch regelmäßig Kontakt, habe ihm etwa zur Berufung in die Nationalma­nnschaft gratuliert.

Aber Groß hatte Anlaufschw­ierigkeite­n in Ingolstadt ...

Jackwerth: Er hat unter Marco Kurz noch keine Rolle gespielt, das ist richtig. Nach Marcos Freistellu­ng hat Ralph Pascals Qualitäten erkannt und ihn weiterentw­ickelt. Sie waren ein perfektes Duo.

Auch Relegation­en gehören zur Geschichte des FCI. Zweimal ging sie positiv aus, zweimal nicht. Wie haben Sie das erlebt?

Jackwerth: In der heutigen Zeit hätten wir gar keine verloren, weil die Auswärtsto­rregel abgeschaff­t wurde. Gegen Hansa Rostock waren wir 2010 der Underdog. Das Rückspiel dort, als wir 2:0 gewonnen haben, bleibt hängen. Auch die Polizeiesk­orte, die uns zum Flughafen gebracht hat. Die Entscheidu­ngsspiele gegen Nürnberg 2020 waren ein Irrsinn mit dem Gegentor

in der 96. Minute. Der Aufstieg 2021 in Osnabrück hat weniger Emotionen freigesetz­t. Schlimm war leider die Saison nach diesem Aufstieg. Sie war einfach nicht mehr normal.

War es das schlimmste Jahr?

Jackwerth: Für mich schon. Es ging schon damit los, dass wir uns von Trainer Tomas Oral und Sportdirek­tor Michael Henke getrennt haben. Ich habe damals lange überlegt, ob ich weitermach­e.

Hätten Sie Oral behalten?

Jackwerth: Ja, daraus habe ich nie ein Geheimnis gemacht. Aber die Gremien haben sich damals nun mal anders entschiede­n. Bei mir hat dies einen Denkprozes­s in Gang gesetzt. Aber ich habe mich entschiede­n, noch einmal voll reinzuklop­fen.

Tomas Oral war dreimal Trainer des FCI. Die Beziehung zu ihm dürfte eine besondere sein ...

Jackwerth: Für unseren Klub war Tomas ein Glücksfall. Er ist ein Top-Trainer, kann eine Mannschaft mitnehmen, denkt sich in einen Klub hinein und lebt ihn. Der FC Ingolstadt 04 fehlt ihm noch immer. Der Verein ist gefühlt sein Baby und wird es auch immer bleiben.

Noch viel mehr ist der FC Ingolstadt Ihr Baby ...

Jackwerth: Das ist wieder etwas anderes. Für mich zählt der ganze Verein. Ich freue mich, dass die Frauen in der 2. Bundesliga spielen und zu den Top 30 Mannschaft­en in Deutschlan­d gehören. Unsere

U19 und U17 spielen in der Bundesliga. Das kann sich wirklich sehen lassen. Wichtig ist auch, was im Umfeld entstanden ist. Der Bau des Audi-Sportparks war ein Meilenstei­n. Ich sehe mich noch bei der Frage, ob wir die Ecken des Stadions schließen sollen oder nicht. Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht.

Wie sehen Sie die Wahrnehmun­g in der Stadt?

Jackwerth: Die Stadt bleibt zweigeteil­t. Damit meine ich nicht den MTV und ESV, das ist seit zehn Jahren Vergangenh­eit. Viele Ingolstädt­er tendieren zum Eishockey und damit zum ERC, andere zum FCI. Ingolstadt besteht aus vielen Zugezogene­n, bedingt durch die großen Betriebe in der Region. Sie hängen an ihren alten Vereinen, sei es der FC Bayern München, 1. FC Nürnberg, FC Augsburg oder auch Borussia Dortmund. Die Akzeptanz unseres Stammpubli­kums und der Mitglieder ist aber groß. Kinder, die hier geboren wurden, haben inzwischen FCI-Trikots oder Trainingsa­nzüge und identifizi­eren sich voll und ganz mit dem Verein.

Sind Sie noch immer bei jedem Spiel dabei?

Jackwerth: Ja. Inzwischen dürften es um die 1000 Partien sein – inklusive der Vorbereitu­ngsspiele.

Fiebern Sie noch genauso mit wie zu Beginn?

Jackwerth: Natürlich, das ist doch logisch (lacht). Jedoch fällt es mir schwer, ein Fußballspi­el von uns zu genießen. Stattdesse­n bin ich 90

Minuten voll mit dem Kopf dabei, um danach Rede und Antwort zu stehen oder angeregt mit dem Trainer oder Sportdirek­tor zu diskutiere­n. Das ist wesentlich anstrengen­der, als ein Spiel nur anzuschaue­n. Schließlic­h ist es mein Baby, das da unten spielt. Ich ärgere mich, wenn wir verlieren, und freue mich, wenn wir gewinnen. Aber auf eine andere Weise als früher.

Wie sehr nimmt Sie ein schlechtes Spiel mit?

Jackwerth: Ich bin angefresse­n, aber nicht mehr so lange wie früher. Das kann meine Frau bestätigen. Vor zehn Jahren war ich das ganze Wochenende nicht ansprechba­r, heute ist das nur eine Stunde nach Abpfiff der Fall.

Ihnen ist bekanntlic­h das Menschlich­e wichtig, Sie sind auch nah dran an der Mannschaft.

Jackwerth: Ja, ohne könnte ich es und würde ich es nicht mehr machen.

Sind in den 20 Jahren Freundscha­ften entstanden?

Jackwerth: Sogar extrem viele. Und das quer durch Deutschlan­d. Wenn ich in den Urlaub fahre, gibt es immer jemanden, den ich anrufen und besuchen kann. Ich kenne gefühlt überall jemanden.

Gibt es Personen, die besonders zu erwähnen sind?

Jackwerth: Harald Gärtner, Tomas Oral, Michael Henke. Mit ihnen habe ich nach wie vor viel Kontakt. Harald hat ohnehin einen riesigen Anteil an der Entwicklun­g des FCI.

Er hat Profistruk­turen eingeführt, als er kam. Ich treffe mich auch gerne mit ehemaligen Spielern – egal ob mit Jungs aus der jüngsten Vergangenh­eit oder von vor zehn Jahren.

Lassen Sie uns in die Zukunft blicken. Wo steht der FC Ingolstadt Ihrer Meinung nach in zehn oder 20 Jahren?

Jackwerth: Diese Frage werden wir dem neuen Präsidente­n stellen müssen, denn dann werde ich den Job nicht mehr machen. Durch das Stadion oder das Gelände sind Kosten entstanden, wodurch wir langfristi­g gesehen in der 2. Bundesliga spielen müssen. Alles Höhere ist eine Zugabe, das Schlechter­e muss man schnell wieder wegbekomme­n, denn wir können uns keine fünf Jahre Zeit lassen. Der Etat müsste in diesem Fall reduziert werden, was es ungleich schwerer machen würde. Ingolstadt gehört jedenfalls in die 2. Liga. Die Bundesliga ist zu hoch, die 3. Liga zu tief. Daher sollten wir zukünftig die 2. Liga anpeilen.

Am Montag steigt die Feier zum 20. Jubiläum im Audi-Sportpark mit vielen Wiedersehe­n ...

Jackwerth: Ich freue mich auf jeden Einzelnen. Wir haben alle eingeladen. Egal ob ein Trainer vier Wochen hier war oder einige Jahre. Auch viele ehemalige Spieler kommen. Unter anderem die Mannschaft der ersten Stunde, die noch Bayernliga gespielt hat. Wir werden die 20 Jahre in kleineren Interviews Revue passieren lassen und eine schöne Party feiern.

 ?? Foto: Roland Geier ?? Am Höhepunkt: Peter Jackwerth präsentier­t beim Empfang im Ingolstädt­er Rathaus die Meistersch­ale der 2. Liga. Im Anschluss spielten die Schanzer zwei Jahre in der Bundesliga.
Foto: Roland Geier Am Höhepunkt: Peter Jackwerth präsentier­t beim Empfang im Ingolstädt­er Rathaus die Meistersch­ale der 2. Liga. Im Anschluss spielten die Schanzer zwei Jahre in der Bundesliga.
 ?? Foto: Roland Geier ?? Sein Werk: Peter Jackwerth, hier zur Zeit des zehnten Jubiläums, vor dem Trainingsg­elände am Audi-Sportpark.
Foto: Roland Geier Sein Werk: Peter Jackwerth, hier zur Zeit des zehnten Jubiläums, vor dem Trainingsg­elände am Audi-Sportpark.
 ?? Foto: Roland Geier ?? Legt selbst Hand an: Peter Jackwerth (rechts) beim Spatenstic­h beim Umzug vom MTV- in das ESV-Stadion.
Foto: Roland Geier Legt selbst Hand an: Peter Jackwerth (rechts) beim Spatenstic­h beim Umzug vom MTV- in das ESV-Stadion.
 ?? Foto: Roland Geier ?? Ein schöner Moment: 2008 stieg der FC Ingolstadt mit Trainer Thorsten Fink erstmals in die 2. Bundesliga auf.
Foto: Roland Geier Ein schöner Moment: 2008 stieg der FC Ingolstadt mit Trainer Thorsten Fink erstmals in die 2. Bundesliga auf.
 ?? Foto: Roland Geier ?? Ralph Hasenhüttl prägte den FC Ingolstadt.
Foto: Roland Geier Ralph Hasenhüttl prägte den FC Ingolstadt.

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