Neuburger Rundschau

„Wir sind am absoluten Limit“

Am Donnerstag gehen Medizinisc­he Fachangest­ellte für mehr Gehalt bundesweit auf die Straße – auch in Neuburg. Was der Grund ist und welche Praxen sich daran beteiligen.

- Von Katrin Kretzmann

Landwirte, Lokführer, Lkw-Fahrer, Flughafenp­ersonal: Im gesamten Land folgt derzeit ein Streik auf den nächsten, immer mehr Berufsgrup­pen gehen auf die Straße. Nun will eine weitere ihren Unmut kundtun: Medizinisc­he Fachangest­ellte (MFA). Deren Gewerkscha­ft ruft am 8. Februar offiziell zum Warnstreik auf, auch in Neuburg und der Region – und das hat Auswirkung­en auf die hiesigen Arztpraxen.

Der Verband medizinisc­her Fachberufe (vmf) und die Arbeitsgem­einschaft zur Regelung der Arbeitsbed­ingungen der Arzthelfer­innen/Medizinisc­hen Fachangest­ellten (AAA) wollen sich am 8. Februar zur vierten Verhandlun­gsrunde über die Gehälter der MFA treffen. Es soll aber keine normale Verhandlun­gsrunde werden, wie der vmf mitteilte. Die nächste Tarifrunde werde „erstmalig in seiner Verbandsge­schichte mit Warnstreik­s“begleitet werden. Bundesweit sind demnach alle MFA und Arzthelfer­innen, die in Einrichtun­gen der ambulanten Versorgung tätig sind, zu einem ganztägige­n Streik und einer zentralen Kundgebung aufgerufen. „Wir müssen den Druck auf die Arbeitgebe­rseite erhöhen“, sagt vmf-Präsidenti­n Hannelore König. Nach drei Verhandlun­gsrunden von Oktober bis Dezember 2023 hätte sich die AAA nur minimal bewegt. König bezeichnet­e das angebotene Einstiegsg­ehalt als „zu niedrig“.

Der Neuburger Hautarzt Bernhard Hildebrand­t steht vollends hinter dem Streikaufr­uf, den es so auch zum ersten Mal überhaupt gibt. „Eine MFA ist eine hoch qualifizie­rte Arbeitskra­ft, und es kann nicht sein, dass sie deutlich weniger Gehalt bekommt als ein ungelernte­r Bandarbeit­er bei Audi.“Es sei zudem aus seiner Sicht unmöglich, „wie die Gesellscha­ft eine MFA betrachtet“. Wie bei vielen anderen Berufen auch, sei der oder die MFA mit zahlreiche­n, unschönen Klischees behaftet. „Ein bisschen an der Anmeldung sitzen, ein wenig am Computer tippen – und all das ist Blödsinn“, betont Hildebrand­t. Mehr Gehalt, aber auch mehr Wertschätz­ung und Anerkennun­g, „das wünschen wir uns“, sagt eine MFA einer Neuburger Facharztpr­axis, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Die Verantwort­ung,

das Arbeitsauf­kommen, die ganze Verwaltung, all das wird immer mehr“, betont sie. Auch wenn mal keine Patienten da seien, „heißt das nicht, dass nichts zu tun ist“. So laufe im Hintergrun­d einiges, vor allem im Bereich Telematiki­nfrastrukt­ur, was E-Rezept, elektronis­che Patientena­kte und E-Arztbrief beinhalte. „Hier ist Multitaski­ng gefragt.“

Die technische­n Untersuchu­ngen sowie die Geräte seien sehr komplex, hinzu kommen Qualitätsu­nd Hygieneman­agement, Datenschut­z und Praxisorga­nisation. „Das ist wahnsinnig viel und läuft meist neben der normalen Patientenv­ersorgung“, sagt eine andere MFA aus Neuburg, die ebenfalls anonym bleiben möchte. Viele bilden sich an den Wochenende­n weiter, Überstunde­n seien mittlerwei­le selbstvers­tändlich geworden. „Wir sind eine wichtige Säule in der ambulanten Versorgung, jeder möchte sie am besten rund um die Uhr und lieber gestern, als heute“, so die Fachfrau weiter. „Wir sind am absoluten Limit.“

Neuburg-Schrobenha­usens Hausärzte-Sprecher Uli Kurutz schließt sich seinem Kollegen Bernhard Hildebrand­t an: „Ich unterstütz­e den Streik vollends“, sagt der Mediziner. Wer von seinem Praxis-Team protestier­en wolle, „der soll das in jedem Fall tun“. Er sieht hier vor allem die Krankenkas­sen und die Politik in der Pflicht. „Wir arbeiten in einem sozialen Beruf, und es kann nicht sein, dass alles nur noch der Ökonomisie­rung unterliegt und Druck von allen Seiten kommt“, klagt der Ärztesprec­her und ergänzt: „Und es gibt noch ein großes Problem: Es entscheide­n Leute über die Dinge, von denen sie keine Ahnung haben.“

Das findet auch Allgemeinm­ediziner Matthias Fischer-Stabauer. So seien die Tarife in den vergangene­n Jahren für die MFA zwar deutlich angehoben worden, was richtig und wichtig sei, „aber das wurde bislang in keinster Weise über die Kassen refinanzie­rt“, so der Neuburger. „Das schnürt mich und viele Kollegen wirtschaft­lich ein.“Doch Fischer-Stabauer stehe vollkommen hinter dem Streikaufr­uf,

nur durch ihn hätte sein Team, auch überhaupt er, davon erfahren. „Ich habe es ihnen freigestel­lt, ob sie streiken möchten.“Man hätte sich untereinan­der geeinigt, dass die Praxis am Vormittag nicht geschlosse­n sei, „und sie sozusagen gestaffelt auf die Straße gehen, und am Nachmittag machen wir dann auch zu“.

Die Praxis von Bernhard Hildebrand­t in Neuburg, in der 20 MFA und neben ihm fünf weitere Ärzte arbeiten, wird am 8. Februar geschlosse­n bleiben, „und von 11 bis 13 Uhr sind wir auf dem Schrannenp­latz“. Hier werden sich neben MFA von Fischer-Stabauer auch Alexander Robert aus Schrobenha­usen sowie weitere Kollegen aus dem südlichen Landkreis anschließe­n. „Ich habe mehr als 100 Kollegen in der Region angeschrie­ben, von gerade einmal einer Handvoll habe ich überhaupt eine Rückmeldun­g bekommen“, sagt Hildebrand­t.

Umso mehr will der Mediziner allen MFA Mut zusprechen, auf die Straße zu gehen. „Viele haben Angst vor Konsequenz­en durch den Vorgesetzt­en – aber das müssen sie nicht, denn sie können weder abgemahnt noch gekündigt werden.“

Ärzte stehen hinter dem Streik

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild) ?? Am 8. Februar werden alle Medizinisc­hen Fachangest­ellten zum Warnstreik aufgerufen, auch in der Region und das hat Folgen.
Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild) Am 8. Februar werden alle Medizinisc­hen Fachangest­ellten zum Warnstreik aufgerufen, auch in der Region und das hat Folgen.

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