„Wir sind am absoluten Limit“
Am Donnerstag gehen Medizinische Fachangestellte für mehr Gehalt bundesweit auf die Straße – auch in Neuburg. Was der Grund ist und welche Praxen sich daran beteiligen.
Landwirte, Lokführer, Lkw-Fahrer, Flughafenpersonal: Im gesamten Land folgt derzeit ein Streik auf den nächsten, immer mehr Berufsgruppen gehen auf die Straße. Nun will eine weitere ihren Unmut kundtun: Medizinische Fachangestellte (MFA). Deren Gewerkschaft ruft am 8. Februar offiziell zum Warnstreik auf, auch in Neuburg und der Region – und das hat Auswirkungen auf die hiesigen Arztpraxen.
Der Verband medizinischer Fachberufe (vmf) und die Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten (AAA) wollen sich am 8. Februar zur vierten Verhandlungsrunde über die Gehälter der MFA treffen. Es soll aber keine normale Verhandlungsrunde werden, wie der vmf mitteilte. Die nächste Tarifrunde werde „erstmalig in seiner Verbandsgeschichte mit Warnstreiks“begleitet werden. Bundesweit sind demnach alle MFA und Arzthelferinnen, die in Einrichtungen der ambulanten Versorgung tätig sind, zu einem ganztägigen Streik und einer zentralen Kundgebung aufgerufen. „Wir müssen den Druck auf die Arbeitgeberseite erhöhen“, sagt vmf-Präsidentin Hannelore König. Nach drei Verhandlungsrunden von Oktober bis Dezember 2023 hätte sich die AAA nur minimal bewegt. König bezeichnete das angebotene Einstiegsgehalt als „zu niedrig“.
Der Neuburger Hautarzt Bernhard Hildebrandt steht vollends hinter dem Streikaufruf, den es so auch zum ersten Mal überhaupt gibt. „Eine MFA ist eine hoch qualifizierte Arbeitskraft, und es kann nicht sein, dass sie deutlich weniger Gehalt bekommt als ein ungelernter Bandarbeiter bei Audi.“Es sei zudem aus seiner Sicht unmöglich, „wie die Gesellschaft eine MFA betrachtet“. Wie bei vielen anderen Berufen auch, sei der oder die MFA mit zahlreichen, unschönen Klischees behaftet. „Ein bisschen an der Anmeldung sitzen, ein wenig am Computer tippen – und all das ist Blödsinn“, betont Hildebrandt. Mehr Gehalt, aber auch mehr Wertschätzung und Anerkennung, „das wünschen wir uns“, sagt eine MFA einer Neuburger Facharztpraxis, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Die Verantwortung,
das Arbeitsaufkommen, die ganze Verwaltung, all das wird immer mehr“, betont sie. Auch wenn mal keine Patienten da seien, „heißt das nicht, dass nichts zu tun ist“. So laufe im Hintergrund einiges, vor allem im Bereich Telematikinfrastruktur, was E-Rezept, elektronische Patientenakte und E-Arztbrief beinhalte. „Hier ist Multitasking gefragt.“
Die technischen Untersuchungen sowie die Geräte seien sehr komplex, hinzu kommen Qualitätsund Hygienemanagement, Datenschutz und Praxisorganisation. „Das ist wahnsinnig viel und läuft meist neben der normalen Patientenversorgung“, sagt eine andere MFA aus Neuburg, die ebenfalls anonym bleiben möchte. Viele bilden sich an den Wochenenden weiter, Überstunden seien mittlerweile selbstverständlich geworden. „Wir sind eine wichtige Säule in der ambulanten Versorgung, jeder möchte sie am besten rund um die Uhr und lieber gestern, als heute“, so die Fachfrau weiter. „Wir sind am absoluten Limit.“
Neuburg-Schrobenhausens Hausärzte-Sprecher Uli Kurutz schließt sich seinem Kollegen Bernhard Hildebrandt an: „Ich unterstütze den Streik vollends“, sagt der Mediziner. Wer von seinem Praxis-Team protestieren wolle, „der soll das in jedem Fall tun“. Er sieht hier vor allem die Krankenkassen und die Politik in der Pflicht. „Wir arbeiten in einem sozialen Beruf, und es kann nicht sein, dass alles nur noch der Ökonomisierung unterliegt und Druck von allen Seiten kommt“, klagt der Ärztesprecher und ergänzt: „Und es gibt noch ein großes Problem: Es entscheiden Leute über die Dinge, von denen sie keine Ahnung haben.“
Das findet auch Allgemeinmediziner Matthias Fischer-Stabauer. So seien die Tarife in den vergangenen Jahren für die MFA zwar deutlich angehoben worden, was richtig und wichtig sei, „aber das wurde bislang in keinster Weise über die Kassen refinanziert“, so der Neuburger. „Das schnürt mich und viele Kollegen wirtschaftlich ein.“Doch Fischer-Stabauer stehe vollkommen hinter dem Streikaufruf,
nur durch ihn hätte sein Team, auch überhaupt er, davon erfahren. „Ich habe es ihnen freigestellt, ob sie streiken möchten.“Man hätte sich untereinander geeinigt, dass die Praxis am Vormittag nicht geschlossen sei, „und sie sozusagen gestaffelt auf die Straße gehen, und am Nachmittag machen wir dann auch zu“.
Die Praxis von Bernhard Hildebrandt in Neuburg, in der 20 MFA und neben ihm fünf weitere Ärzte arbeiten, wird am 8. Februar geschlossen bleiben, „und von 11 bis 13 Uhr sind wir auf dem Schrannenplatz“. Hier werden sich neben MFA von Fischer-Stabauer auch Alexander Robert aus Schrobenhausen sowie weitere Kollegen aus dem südlichen Landkreis anschließen. „Ich habe mehr als 100 Kollegen in der Region angeschrieben, von gerade einmal einer Handvoll habe ich überhaupt eine Rückmeldung bekommen“, sagt Hildebrandt.
Umso mehr will der Mediziner allen MFA Mut zusprechen, auf die Straße zu gehen. „Viele haben Angst vor Konsequenzen durch den Vorgesetzten – aber das müssen sie nicht, denn sie können weder abgemahnt noch gekündigt werden.“
Ärzte stehen hinter dem Streik