Neuburger Rundschau

Drei Tote und weiter viele Fragen

Drei junge Menschen waren jahrelang vermisst. Dann fand man bei Kipfenberg ihre Knochen. Doch wer ist für ihren Tod verantwort­lich? Die Polizei rätselt noch immer.

- Von Luzia Grasser

Im April 1995 war eine 19-jährige Schülerin in München feiern gegangen – und nie zu Hause angekommen. Von der jungen Frau fehlte jede Spur. War sie tot? Lebte sie vielleicht noch? All diese Fragen ließen sich nicht beantworte­n. 25 Jahre tappten die Ermittler völlig im Dunklen. Bis zum Sommer 2020. Damals fand ein Waldarbeit­er bei Kipfenberg einen Knochen. Mehr als ein Jahr und einen DNA-Test später stellte sich heraus: Es handelte sich um den Oberschenk­elknochen der vermissten Münchnerin.

Damit war Kipfenberg erneut zu einem gruseligen Schauplatz geworden. Denn nur ein paar Wochen, bevor der Knochen von Sonja Engelbrech­t gefunden worden war, stieß am 2. Mai 2020 ein Sondengäng­er in einem anderen Waldstück nahe der Marktgemei­nde ebenfalls auf Knochen. Mit dabei lagen noch Kleidungss­tücke und persönlich­e Dokumente. Schnell war klar: Es waren die sterbliche­n Überreste eines Paares aus Ingolstadt, Eugen Sambrschiz­ki und Sabine Pfaller.

Auch sie waren zuvor fast 18 Jahre lang vermisst gewesen und waren, das ergab die rechtsmedi­zinische Untersuchu­ng, durch eine „massive Gewalteinw­irkung“ums Leben gekommen. Immer wieder war gemunkelt worden, dass ihr

Verschwind­en mit dem Ingolstädt­er Drogenmili­eu zu tun haben könnte.

Und auch wenn überhaupt nichts darauf hindeutet, dass beide Fälle in irgendeine­m Zusammenha­ng stehen könnten, haben sie doch Gemeinsamk­eiten: Alle drei Personen waren bis zu ihrem Auffinden jahrelang vermisst, galten als Cold Cases. Und in beiden Fällen gibt es auch vier Jahre, nachdem die Knochen gefunden worden sind, keine Verdächtig­en, die für den Tod der drei jungen Menschen verantwort­lich gemacht werden können.

Dabei sah das in einem der beiden Fälle zunächst ganz anders aus. Fast genau ein Jahr nach dem Fund der sterbliche­n Überreste von Eugen Sambrschiz­ki und Sabine Pfaller verschickt­e die Polizei in Ingolstadt eine Pressemitt­eilung, die zunächst nach einer Erfolgsmel­dung klang. Vier Personen, „die mit einem nicht natürliche­n Tod des Pärchens in Verbindung stehen könnten“, waren festgenomm­en worden. Sie kamen in Untersuchu­ngshaft, und es schien zunächst nur eine Frage der Zeit zu sein, wann Anklage gegen das Quartett erhoben wird und es zu einem Prozess kommt. Doch die Vorwürfe waren offenbar nicht haltbar, die vier kamen nicht einmal ein halbes Jahr später wieder auf freien Fuß. Ermittelt worden ist gegen sie zunächst weiter, doch im August vergangene­n Jahres ist das Verfahren gegen sie komplett eingestell­t worden. Polizei und Staatsanwa­ltschaft haben schlichtwe­g nichts in der Hand, was zu einer Anklage führen könnte.

Fast zeitgleich, als die Verdächtig­en im Fall des Ingolstädt­ers Paares aus der Untersuchu­ngshaft entlassen wurden, trudelte bei der Polizei das Ergebnis eines DNAAbgleic­hs ein. Und die Ermittleri­nnen und Ermittler wussten sofort: Wir haben jetzt die Möglichkei­t, einen der mysteriöse­sten Vermissten­fälle Bayerns zu klären. Denn nun war klar, dass der Knochen, der mehr als 20 Jahre lang im Wald bei Kipfenberg lag, von Sonja Engelbrech­t stammt. Die Hoffnung keimte auf, dass nun auch derjenige, der für den Tod der Münchnerin verantwort­lich ist, gefunden werden könnte.

Was zunächst folgte, waren große Suchaktion­en rund um Kipfenberg. Und tatsächlic­h: Kletter-Experten der Polizei fanden im März 2022 jene Stelle, an der der Täter die tote Sonja abgelegt haben musste. Es ist eine schwer zugänglich­e Felsspalte in einem Wald oberhalb des kleinen Orts Grösdorf.

Neben Knochen lagen dort noch andere Dinge: die Reste einer Decke, die Fetzen einer Folie mit Farbanhaft­ungen, in die die Leiche von Sonja Engelbrech­t eingewicke­lt war, und irgendwo auch eine DNA-Spur. Vielleicht vom Täter?

In den folgenden zwei Jahren versuchten die Ermittler vieles, um den Fall zu lösen. Die Münchner Polizei ging und geht immer noch rund 480 Hinweisen nach, mehr als 200 Personen sind überprüft worden, zuletzt waren im vergangene­n November 80 DNA-Proben von Menschen aus Kipfenberg und dem weiteren Umland genommen worden. Alles brachte die Ermittler keinen entscheide­nden Schritt voran.

Genauso wenig wie die beiden Beiträge bei „Aktenzeich­en XY – ungelöst“im März 2023. Hier haben sich die Ermittler insbesonde­re Hinweise zur Herkunft der Decke und Informatio­nen zur Folie erhofft. Wer hat zur Zeit des Verschwind­ens von Sonja Engelbrech­t renoviert? War der Täter vielleicht ein Handwerker? Mit diesen Fragen ging die Polizei an die Öffentlich­keit. Denn eines ist für die Ermittler klar: Die Leiche wurde nicht zufällig im Altmühltal, 100 Kilometer weit weg von Sonja Engelbrech­ts Wohnort, versteckt. „Wir gehen davon aus, dass der Täter in irgendeine­r Form einmal einen Bezug zur Gegend rund um Kipfenberg hatte“, sagt Werner Kraus, Sprecher des Polizeiprä­sidiums München. Sei es, weil er dort – zumindest zeitweise – gewohnt oder gearbeitet hat. Oder weil er in der Region Urlaub gemacht hat. Die Suche nach den Tätern geht jedenfalls auch vier Jahre nach dem Fund der Knochen weiter.

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Foto: Grasser In einer Felsspalte in der Nähe von Kipfenberg wurde die Leiche der Münchner Schülerin Sonja Engelbrech­t abgelegt. Im März 2022 wurde die Stelle gefunden, zahlreiche Polizisten suchten damals nach weiteren Spuren.
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Foto: Polizeiprä­sidium Oberbayern Die abgesicher­te Fundstelle im Wald bei Kipfenberg: Hier wurden 2020 die sterbliche­n Überreste eines jungen Ingolstädt­er Pärchens gefunden, das fast 18 Jahre lang vermisst war.

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