Wie tickt die lokale AfD?
2000 demonstrieren gegen die AfD. Lokale Vertreter der Partei tauchen ab. Seit Jahren agieren sie abseits der Öffentlichkeit und lassen doch keine Zweifel an der Treue zur Parteilinie aufkommen.
Ob beim Stammtisch der AfD am vergangenen Montag darüber gesprochen wurde, dass zwei Tage zuvor 2000 Menschen klare Kante gegen Rechtsextremismus, Hass und auch gegen die AfD gezeigt haben? Es bleibt das Geheimnis der Teilnehmer. Wo der Stammtisch stattfindet, ebenfalls. Zwar lädt der Kreisverband Neuburg-Schrobenhausen regelmäßig zum Treffen. Der Veranstaltungsort wird Interessierten allerdings nur auf Nachfrage mitgeteilt. Während Deutschland gegen Rechtsextremismus aufsteht, in Nachbarlandkreisen Kreisräte der AfD angesichts der jüngsten Enthüllungen zu Geheimtreffen in Potsdam und Dasing aus der Partei austreten, geht die AfD auf Kreisebene auf Tauchstation.
Mehrfache Anfragen dieser Zeitung bei den lokalen Vertretern werden abgeblockt. „Ich möchte mich nicht dazu äußern, es wird ohnehin alles verdreht“, sagt die AfD-Kreisvorsitzende und Neuburger Stadträtin Christina Wilhelm kurz angebunden am Telefon. „Vielleicht nicht von Ihnen als Lokalzeitung, aber sonst schon“, schiebt sie nach und beendet höflich, aber bestimmt das Gespräch. Nachfragen oder ein Austausch über die politische Arbeit, über Inhalte und Ziele, sind nicht gewünscht. Es ist ein Muster, das sich wie ein roter Faden durch die politische Arbeit der selbst ernannten Alternative für Deutschland zieht.
Etwa seit 2016 ist die AfD im Landkreis aktiv. Zentrale Figur ist Christina Wilhelm, die seit 2015 in der Partei aktiv ist und bereits für den Bundestag (2017), den Landtag (2018) und für den Bezirkstag (2023) kandidiert hat. Seit 2020 sitzt Wilhelm im Neuburger Stadtrat. Die 45-Jährige ist gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, hat selbst acht Jahre in Spanien gelebt. Aktuell ist sie als Mitarbeiterin
der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag angestellt und dort nah am Puls der Partei. Sie gilt nicht als Hetzerin, steht aber offenkundig voll hinter der Bundesparteiführung, beruft sich auf Alice Weidel.
Im Neuburger Stadtrat spielt Wilhelm lediglich eine Nebenrolle. Inhaltliche Vorstöße ihrerseits gibt es keine. In den vier Jahren hat die Heinrichsheimerin und Mutter von drei Kindern keinen Antrag eingereicht. Ihre Vorhaben, mit denen sie Wahlkampf machte – etwa ein Verbot von „Neuburg ist bunt“im Juze, niedrigere Standgebühren für den Wochenmarkt oder mehr Sicherheit für Fahrradfahrer in Heinrichsheim – bleiben bisher von ihr unbearbeitet. Weder über die sozialen Medien noch über die Internetseite des Kreisverbandes kann der Wähler oder die Wählerin nachvollziehen, für welche Inhalte in der Stadtpolitik Wilhelm aktuell steht.
Dafür aber ist auf der FacebookSeite des Kreisverbandes die inhaltliche Ausrichtung, Entwicklung und Professionalisierung der AfD klar nachvollziehbar. Die Basisarbeit begann mit Stammtischen in Neuburg und Schrobenhausen. Sommerfeste werden im Baringer Hof in Bergen gefeiert und die Bilder dazu ins Netz gestellt. Auf Facebook zu sehen sind fröhliche Gäste, die sich offensichtlich offen zur Partei bekennen. Sie tragen blaue Käppis mit AfD-Schriftzug. Auf den Shirts steht „I am the fck afd“.
Etwa bis März 2018 wird auf dem Profil vor allem Inhalt gepostet, der gegen die damalige CDUKanzlerin Angela Merkel, gegen Migration, die öffentlich-rechtlichen Medien und Journalisten
Stimmung macht. Auch die Neuburger Rundschau wird 2017 als „Lügenpresse“und „Pinocchiopresse“beschrieben. „Lieber Medien lesen, die nicht ideologisiert sind und sich nicht scheuen, ehrlich zu sein“, lautet der Appell. Ab etwa 2020 dokumentiert der Kanal vor allem die Wahlkampfarbeit der Partei mit Infoständen in Neuburg, Schrobenhausen und in Königsmoos.
In der Gemeinde im Moos hat der Kreisverband der AfD im Landkreis einen weiteren Mandatsträger: Kevin Schmidl. Er sitzt seit 2020 im Gemeinderat in Königsmoos und ist über seine Eltern, die sich ebenfalls für die AfD um einen Sitz im Gemeinderat bewarben, zur Partei gekommen. Auf der Liste des Gemeinderats Königsmoos im Internet steht bei jedem der Mitglieder eine Telefonnummer, um für Bürger erreichbar zu sein. Kevin Schmidl bleibt dies schuldig.
Ähnlich bedeckt verhält sich Christin Gmelch, ebenfalls aus Königsmoos, die zwar 2020 bereits im Kommunalwahlkampf unterstützte, aber erstmals im Sommer 2023 auf der politischen Bühne aufblitzte. Im Oktober bewarb sie sich als Listenkandidatin der AfD und holte aus dem Stand 17 Prozent, obwohl sie sich kaum in der Öffentlichkeit zeigte und sich Einladungen zu öffentlichen Diskussionsrunden wie von dieser Zeitung oder auch dem Seniorenbeirat entzog. Ob sie sich seit der Wahl politisch einbringt, ist unbekannt.
Selbst der Königsmooser Bürgermeister Heinrich Seißler kennt Gmelch nur vom Sehen. Im Ort sei sie genauso wenig politisch aktiv oder auffällig wie Gemeinderat Kevin Schmidl. Über ihn sagt er: „Das ist ein absolut unauffälliger Gemeinderatskollege.“
Matthias Enghuber, sechs Jahre Landtagsabgeordneter für die CSU, Kreis- und Stadtrat und Kenner der politischen Szene im Landkreis hat zur lokalen AfD eine klare Meinung: „Hier gibt es niemanden, der als radikaler Hetzer auftritt“, so seine Einschätzung. Es gebe kaum Kontakte, wie sie mit anderen Parteien sonst üblich seien.
Wer sich in die AfD einbringe, unterstütze mit seiner Mitgliedschaft das Große und Ganze. „Ich halte den lokalen AfD-Vertretern klar vor, dass die Zeit der Findungsphase der Partei längst vorbei ist. Die Richtung ist eindeutig. Wer da mitmacht, unterstützt das rechtsextreme Gedankengut.“
Dass der Landkreis bereits für die rechtsextremistisch eingestufte „Identitäre Bewegung“Ort für Propaganda-Aktivitäten ist, belegen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Ingolstadt. Im Februar 2023 hatten Mitglieder der Organisation, deren Verstrickung mit der AfD mehrfach belegt werden kann, vor einer Geflüchtetenunterkunft in Peutenhausen Rauchbomben gezündet und ein großes Banner mit der Aufschrift „Gefährderstandort“auf der Straße entrollt. Die Aktion führte im Spätsommer zu Razzien in Schwaben, Oberbayern sowie BadenWürttemberg und drei Schweizer
Kantonen. Die Ermittlungen laufen.
Ihre Nähe zu extremem Gedankengut haben auch Stadträte der Ingolstädter AfD im vergangenen Sommer gezeigt. Im Juli war der AfD-Politiker Matthias Helferich, fraktionsloser Bundestagsabgeordneter, zum Stammtisch der Partei nach Ingolstadt gekommen. Helferich soll sich selbst in einem Chat „das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“genannt haben, selbst innerhalb der Partei gilt er angeblich vielen als zu extrem. Nach dem Treffen hatte Helferich Bilder gepostet, auf denen auch zwei Ingolstädter Stadträte zu sehen sind: Ulrich Bannert und
Kreisvorsitzende wehrt Nachfragen zu Geheimtreffen ab.
Stadträte suchen Kontakt zu extrem rechten Abgeordneten.
Oskar Lipp, der inzwischen für den Wahlkreis Eichstätt im Landtag sitzt. Lipp ist regelmäßig Gast bei der AfD im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen.
Diese beiden und ihre zwei weiteren AfD-Mitstreiter im Stadtrat waren Ende Januar auch zu einem Bürgerdialog in die Ingolstädter Volkshochschule gekommen. Dort haben bayerische Bundestagsabgeordnete über die Arbeit in Berlin gesprochen. Es ging um Energiepolitik („Wir haben nichts gegen Kohlekraftwerke“), Verkehrspolitik („Wir halten die Fahne des Verbrenners hoch“) und Migration („Die Stabilität unseres Landes ist in Gefahr“). Was gesagt wurde, bekamen allerdings nur recht wenige Besucherinnen und Besucher zu hören. Und die, die kamen, mussten erst einmal durch eine Art Spalier aus Gegendemonstranten und Polizeikräften hindurch. Denn draußen demonstrierten mehr als 120 Personen gegen Rechtsextreme. Knapp viermal so viele, wie sich für die AfD-Politik drinnen im Rudolf-Koller-Saal interessierten. (mit rilu)