Härtetest für das Immunsystem
Der Landkreis hustet und schnupft – nichts Ungewöhnliches für die Jahreszeit. Warum viele Verläufe in dieser Erkältungssaison langwieriger und hartnäckiger sind.
„Da hat es mich ganz schön erwischt! So krank war ich schon lange nicht mehr.“Sätze wie diese hört man seit einiger Zeit immer wieder. In der Familie, unter den Arbeitskollegen oder im Freundeskreis: Es wird gehustet, geschnupft, gefiebert. Und kaum eine Familie berichtet nicht von Kindern, die das Bett hüten müssen. Die Erkältungswelle ist zu dieser Jahreszeit nichts Ungewöhnliches, doch scheint es so, als ob die Auswirkungen derzeit massiver sind als in vergleichbaren Jahren. Doch ist das wirklich so?
Die Frage kann Allgemeinarzt Dr. Matthias Fischer-Stabauer mit einem klaren „Ja“beantworten. Schon im vergangenen Herbst habe sich abgezeichnet, dass mehr Menschen krank sind, als üblicherweise in der kalten Jahreszeit. Der Anstieg dieses Jahr sei ungewöhnlich hoch und konstant über dem Durchschnitt, sagt er. Das mache sich nicht nur im vollen Wartezimmer seiner Praxis bemerkbar, sondern auch unter seiner dezimierten Belegschaft. Husten, Schnupfen, Fieber, Glieder-, Hals- und Ohrenschmerzen – das seien die häufigsten Symptome seiner Patientinnen und Patienten. Solche grippalen Erscheinungen sind völlig normal für diese Jahreszeit, allerdings nicht deren Intensität. Die Beschwerden würden aktuell auffallend lange anhalten. „Wir bemerken wochenlange Verläufe“, sagt der Mediziner. Oder aber es komme innerhalb kürzester Zeit wieder zu einem Rückfall. Es habe schon immer „Exoten“gegeben, die sich nur langsam auskuriert hätten. „Aber mittlerweile ist das schon normal.“
Dieselben Erfahrungen hat auch Dr. Waldemar Klimek vor allem in den vergangenen vier Wochen gemacht. Das Wartezimmer voll, das Personal ausgedünnt und Patienten, die drei Wochen lang nicht auf die Beine kommen. Das Fieber sei bei vielen Patienten zwar nach ein paar Tagen weg, aber die Beschwerden insbesondere in den oberen Atemwegen würden sich so hartnäckig halten, dass die Menschen im Alltag nicht einsatzfähig seien. „Im
Vergleich zu anderen Jahren sind solche Krankheitsbilder diese Saison besonders ausgeprägt“, sagt auch er. Und das treffe nicht nur auf Erwachsene, sondern auch auf Kinder zu, die wieder vermehrt mit dem RSV-Virus zu kämpfen hätten.
In der Karlshulder Praxis von Dr. Florian Pallmann zeigt sich ein ähnliches Bild. Aktuell müssten er und sein Team vor allem infektiöse Atemwegsinfekte behandeln. In den Weihnachtsfeiertagen seien die Krankheitsfälle nach oben geschnellt und seitdem „auf einem hohen Niveau“geblieben. Er relativiert aber auch: „Wäre die Pandemie nicht gewesen, wären wir nicht überrascht über diese hohe Anzahl.“
Am stärksten würde es die Jüngsten und die Ältesten treffen – Kinder bis etwa zum fünften Lebensjahr und Senioren über 80. „Gerade bei den sehr Hochbetagten ist nicht die Anzahl der Erkrankten, sondern die Schwere des Verlaufs überraschend hoch“, ist seine Beobachtung. So mancher Patient müsse deshalb im Krankenhaus behandelt werden. In diesem Zusammenhang betont Pallmann die Notwendigkeit von Kliniken im ländlichen Raum. Durch eine Reduzierung der Häuser auf „hoch spezialisierte Fälle“würde sich eine große Versorgungslücke ergeben.
Als Grund für das kollektive schwache Abwehrsystem nennen die Ärzte unisono die Maskenpflicht während der Coronajahre. „Ich vergleiche es gerne mit einem Sportler. Wenn Sie einem Marathonläufer das
Training verbieten, dann wird er seine Fitness verlieren. Will er dann nach drei Jahren wieder einen Marathon laufen, wird er dazu nicht imstande sein“, erklärt Matthias Fischer-Stabauer. Dementsprechend müsse auch das Immunsystem wieder trainiert werden, damit es Viren und Keime erfolgreich abwehrt. Und wie gelingt das am besten? Grundsätzlich hilft natürlich eine gesunde Lebensweise mit einer ausgewogenen, vitaminreichen Ernährung und regelmäßiger Bewegung. Darin sind sich alle befragten Ärzte einig. Als gesunde Sache gilt übrigens auch das Küssen. Durch den wechselseitigen Austausch von Bakterien werden die körpereigenen Abwehrkräfte mobilisiert, und so wirkt ein Kuss ähnlich wie eine Impfung. „Da ist was Wahres dran“, sagt Matthias Fischer-Stabauer, ohne diese Empfehlung aussprechen zu wollen. Stattdessen gebe es auch „andere Mittel und Wege“, um als gesunder Mensch sein Immunsystem zu trainieren, indem man sich zum Beispiel einfach unter vielen anderen Menschen tummelt.
Waldemar Klimek hingegen rät dieser Tage eher zu Zurückhaltung und gegebenenfalls zum Tragen einer Maske. Und Florian Pallmann empfiehlt den Risikogruppen als Prophylaxe jährliche Impfungen gegen Influenza und in besonderen Fälle die aus der Coronazeit bekannten Schutzmaßnahmen: Maske, Distanz und Händedesinfektion.
Krankheitswelle trifft vor allem die Jüngsten und Ältesten.