Neuburger Rundschau

Von Zell nach Lielvarde

Auf dem Fliegerhor­st in Neuburg wird es bald deutlich ruhiger, das Geschwader verlegt bis Ende des Jahres für eine Nato-Mission ins Baltikum. Warum der Auftrag besonders ist.

- Von Katrin Kretzmann

Insgesamt 2390-mal sind die Eurofighte­r im vergangene­n Jahr in Neuburg gestartet, 2365-mal wieder dort gelandet, an 240 Tagen herrschte Betrieb auf dem Fliegerhor­st in Neuburg-Zell. Das ist heuer anders. Ab Ende Februar wird es deutlich ruhiger auf der Basis, denn das Taktische Luftwaffen­geschwader 74 ist im Zuge des „Verstärkun­g Air Policing Baltikum“in Lettland unterwegs. Der Auftrag ist für den Verband eigentlich nichts Neues, schließlic­h war die Truppe schon mehrmals im Baltikum. Doch in diesem Jahr läuft es etwas anders.

Seit 2004 gibt es die Nato-Mission „Air Policing Baltikum“, bei der Luftstreit­kräfte verschiede­ner Bündnispar­tner den Luftraum über Estland, Lettland und Litauen überwachen und sichern. Die Bundeswehr beteiligt sich seit 2005 mit der Entsendung von Kampfflugz­eugen an der Mission. „Die baltischen Staaten haben nur kleine Luftstreit­kräfte und damit keine Flugzeuge, um selbst eine Luftraumsi­cherung betreiben zu können“, erklärt Kommodore Oberst Jürgen Schönhöfer. Im Zuge der Annexion der Krim durch Russland und der dadurch verschärft­en sicherheit­spolitisch­en Lage wurde 2014 das sogenannte „Verstärkte Air Policing Baltikum“(VAPB) im estnischen Ämari ins Leben gerufen.

Seither sind im jährlichen Rotationsv­erfahren Einsatzkon­tingente der Bündnispar­tner vor Ort. Deutschlan­d beteiligt sich mit wechselnde­n Verbänden jedes Jahr für etwa vier Monate an der Mission. Das Neuburger Geschwader war zuletzt 2021/2022 dabei, am 27. Februar verlegt es wieder dorthin – allerdings deutlich länger.

Wie Schönhöfer erklärt, teilen die Verbände ihre Präsenz in der Regel vor Ort untereinan­der auf. „Heuer übernehmen wir ganz alleine – das gab es so noch nie.“Grund dafür ist eine große Übung namens „Pacific Skies“, ähnlich der Mission „Rapid Pacific“im Jahr 2022, bei der alle anderen Verbände stark eingebunde­n sind. „Und das ist

schon eine größere Nummer für uns, denn hier reden wir pro Kontingent von rund 160 Leuten“, sagt der Oberst. Insgesamt drei sind von Ende Februar bis voraussich­tlich Anfang Dezember vor Ort, also statt vier gut neun Monate. Der Kontingent-Wechsel erfolgt in der Regel alle zwei Monate.

Hinzu kommt, dass es diesmal nicht nach Ämari in Estland geht, sondern nach Lettland, genauer gesagt nach Lielvarde. Der dortige Militärflu­gplatz ist Ausweichba­sis im Zuge von Sanierungs­arbeiten des eigentlich­en Stützpunkt­es in Ämari. Und seit einigen Wochen wird dort fleißig gewerkelt und aufgebaut. So wurde dem Kommodore zufolge eigens eine Fläche betoniert, auf der Container aufgestell­t sind, in denen Büros, Material und alles für den täglichen Arbeitsall­tag untergebra­cht sind. Ein Stückchen weiter werden die Unterkünft­e mitsamt Sanitäranl­agen und Aufenthalt­smöglichke­iten aufgebaut, „ein klassische­s Feldlager“, sagt Schönhöfer. Die insgesamt fünf Eurofighte­r werden in Interimssh­eltern untergebra­cht, die ebenfalls aufgebaut und von dicken Betonmauer­n geschützt werden.

Zu den Aufgaben der Bündnispar­tner vor Ort gehört in erster Linie die Überwachun­g und Sicherung des Luftraums an der NatoOstfla­nke. Ein Beispiel dafür ist laut Kommodore die Aufklärung und Identifizi­erung russischer Flugzeuge, die ohne Transponde­rabstrahlu­ng und ohne Flugplan unterwegs sind. „Wichtig ist, dass wir absolut defensiv agieren, aber durch unsere Präsenz ein klares, sicherheit­spolitisch­es Signal setzen.“Auch wenn der Neuburger Kommodore keine akute Bedrohungs­situation sieht, „ist das Gefühl schon ein anderes, wenn man weiß, dass nicht weit entfernt ein Krieg tobt“, sagt er. Umso ausgeprägt­er sei dieses Gefühl in den baltischen Staaten durch ihre unmittelba­re Nähe zu Russland. „Und man merkt, dass die Menschen dankbar sind, dass wir da sind“, so Schönhöfer.

Ein Teil des Personals ist bereits seit Kurzem vor Ort, das Vorkommand­o

startet am 20. Februar und am 26. Februar verlegt dann auch der Rest des ersten Kontingent­s im Rahmen eines feierliche­n Verabschie­dungsappel­ls nach Lettland sowie die fünf Eurofighte­r. Kommodore Schönhöfer wird selbst allerdings nicht mit dabei sein, denn für ihn geht es ab Mitte Juni nach Jordanien. Dort beteiligt sich die Bundeswehr seit 2015 an dem internatio­nalen Anti-IS-Einsatz „Counter Dash/Capacity Building Iraq“, um zu einer Stabilisie­rung der Region beizutrage­n. Das Mandat wurde bis 31. Oktober dieses Jahres verlängert und bis dahin wird Schönhöfer auch dort bleiben. „Es wurde ein Kontingent­führer gesucht und bei der Voraussetz­ung Oberst ist die Auswahl natürlich überschaub­ar“, sagt der Kommodore. Die zeitliche Überschnei­dung mit VAPB sei natürlich ungünstig, „aber ich wusste, dass ich eines Tages, wie auch meine Vorgänger, dorthin muss, von daher ist es absolut okay.“

Ab Ende Februar wird es also ruhig auf der Basis im Stadtteil Zell, im Juni wird der Platz aufgrund von Sanierungs­arbeiten voraussich­tlich für mehrere Wochen komplett geschlosse­n. „Von den geplanten 4100 Flugstunde­n für dieses Jahr werden etwa 30 bis 40 Prozent in Lettland geflogen“, erklärt Schönhöfer. Der wesentlich­e Auftrag des Neuburger Luftwaffen­geschwader­s bleibt aber nach wie vor bestehen: die Alarmrotte.

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Foto: Bundeswehr Für knapp neun Monate unterstütz­t das Neuburger Luftwaffen­geschwader bei der Nato-Mission „Verstärkte­s Air Policing Baltikum“in Lettland.

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