Neuburger Rundschau

Der Mord an Franziska: Zehn Jahre danach

Am 15. Februar jährt sich das schrecklic­he Verbrechen an der zwölfjähri­gen Franziska aus Möckenlohe zum zehnten Mal. Der zuständige Notarzt und der damalige Polizeiche­f erinnern sich.

- Von Dorothee Pfaffel

Es sei nicht wirklich kalt gewesen, aber auch nicht warm, und die Sonne habe leicht geschienen, erinnert sich Notarzt Alexander Hatz an den 16. Februar vor zehn Jahren. An diesem Sonntag wird er an den Rathei-Weiher südlich von Neuburg-Zell gerufen. Die Meldung lautet schlicht: Person im Wasser. Nicht im Traum hätte er damals daran gedacht, dass er dort ein kleines Mädchen vorfinden würde, für das er nichts mehr tun kann. Hatz kann nur noch den Tod der Zwölfjähri­gen feststelle­n. Ein Tod, dem ein grausames Martyrium voranging, wie die Polizei später herausfind­et. Bereits einen Tag zuvor, also am 15. Februar, wurde Franziska schwer sexuell missbrauch­t und anschließe­nd ermordet.

Es war ein Verbrechen, das aufgrund seiner Grausamkei­t den Menschen in der Region den Atem stocken ließ und sie bis heute schockiert. Heinz Rindlbache­r, der 2014 noch Polizeiche­f in Eichstätt war und heute die Inspektion in Neuburg leitet, sagt: „So einen Fall vergisst man nie. Er war auf tragische Art und Weise einzigarti­g.“Der Einsatz sei für alle Beteiligte­n sehr belastend gewesen. Verhindert werden hätte der Tod von Franziska nicht, ist Rindlbache­r sich sicher. Die Polizeiarb­eit sei von der Aufnahme der Vermissten­meldung am Sonntagmit­tag bis zur Festnahme des Täters mustergült­ig abgelaufen.

Als Alexander Hatz am Weiher ankommt, habe er zunächst nur eine kleine Person am Ufer liegen sehen. Ein Feuerwehrm­ann hatte sie bereits aus dem Wasser gezogen und auf den Rücken gedreht. Und dann sei einfach „ein Programm“bei ihm abgelaufen, sagt Hatz. Er habe geprüft, ob er dem Mädchen noch helfen könne, doch schnell bemerkt er die sicheren Anzeichen des Todes: mehrere Leichenfle­cken und die Leichensta­rre. Da wird ihm klar, das für das Mädchen jede Hilfe zu spät kommt, ja, dass es schon länger tot sein muss. Als er den Körper genauer ansieht, fallen ihm die schweren Kopfverlet­zungen auf. Nach kurzer Zeit steht fest, dass das Mädchen wohl nicht auf natürliche Weise ums Leben gekommen ist, sondern dass es sich vermutlich um ein Tötungsdel­ikt handelt. Die Kriminalpo­lizei fängt an, zu ermitteln.

Von der Polizei habe er dann erfahren,

dass eine Zwölfjähri­ge aus Möckenlohe schon seit dem Vortag verschwund­en sei und auch intensiv gesucht werde. Die Zwölfjähri­ge – das war Franziska. Ein „fröhliches, aufgeweckt­es und sehr liebenswür­diges Mädchen“, wie der Pfarrer sie ein paar Tage später bei der Beerdigung beschreibt. Eine, die viel gelacht, gesungen und getanzt hat. Eine, die das Leben geliebt hat und in die dörfliche Gemeinscha­ft integriert war.

Franziskas Mörder, der seit seiner Verurteilu­ng im Gefängnis sitzt, ist das Gegenteil: Stefan B. aus Egweil wird beim Prozess, der ungefähr ein Jahr nach der Tat beginnt, als gewaltbere­iter Außenseite­r beschriebe­n, mit rechtsradi­kalen Neigungen. Einer, der zunehmend in einer virtuellen Parallelwe­lt lebte. Ein Mensch, dem ein Gutachter eine erkennbare Gefühlskäl­te gegenüber anderen Menschen bescheinig­t. Ein Arbeitslos­er, der im Neuburger Obdachlose­nheim

wohnte oder einfach in seinem Auto, das bei der Ermordung von Franziska eine wichtige Rolle spielte.

Am Samstag, 15. Februar, verlässt die Zwölfjähri­ge gegen 12.30 Uhr ihr Elternhaus in Möckenlohe, um sich mit Freundinne­n auf dem Skaterplat­z in Nassenfels zu treffen. Schon dort fällt Zeugen ein grüner Toyota auf, dessen Fahrer die Kinder beobachtet. Gegen 17.15 Uhr radelt Franziska heimwärts. Sie nimmt den Fahrradweg zwischen Nassenfels und Möckenlohe. Kurz nach Nassenfels schickt das Mädchen mit ihrem Handy eine Nachricht über einen unheimlich­en Verfolger in einem grünen Auto an ihre Freundin. Diese SMS wird aber erst viel später bemerkt. Sie ist das letzte Lebenszeic­hen von Franziska. Denn Stefan B. schneidet ihr den Weg ab. Er hält den Lenker ihres Fahrrads fest und fordert sie auf, in sein Auto einzusteig­en. Er fährt mit ihr bis zu einem Waldweg in der Nähe von Neuburg. Dort missbrauch­t er sie brutal. Dann fährt er mit ihr weiter zum Rathei-Weiher, wo er zunächst versucht, sie mit einem Gürtel zu erdrosseln und sie dann mit einem Holzscheit erschlägt.

Als das Mädchen nicht heimkommt, glauben die Eltern zunächst, es übernachte bei einer Freundin. Schließlic­h erstatten sie doch Vermissten­anzeige. Am Sonntag finden Angler gegen 16.30 Uhr am Rathei-Weiher die Leiche des Mädchens. Die Hinweise auf den grünen Toyota brachten die Polizei rasch auf die Spur von Stefan B. Noch in der Nacht des Sonntags spüren die Beamten der Polizeiins­pektion Neuburg ihn auf und können ihn nach einer wilden Verfolgung­sjagd mit bis zu 170 Stundenkil­ometern im Nachbarlan­dkreis Donau-Ries bei Auchseshei­m stellen. Der 26-Jährige kommt in Untersuchu­ngshaft in die Justizvoll­zugsanstal­t Kaisheim.

Der schnelle Fahndungse­rfolg sei sehr wichtig gewesen, erklärt Rindlbache­r. Für die Polizei, weil der Druck, den Täter zu überführen, sehr hoch gewesen sei, vor allem aber für die Eltern, denen Rindlbache­r damals zusammen mit dem Kriseninte­rventionsd­ienst die Nachricht vom Gewaltverb­rechen an ihrer Tochter überbringt. Durch die Festnahme hätten die Eltern wenigstens zeitnah die Gewissheit gehabt, dass der Verantwort­liche gefasst ist, meint der Polizeiche­f. Über einen Bekannten, der nach wie vor mit den Eltern Kontakt hat, weiß Rindlbache­r auch, wie es ihnen heute geht: „Geteilt“– also mal besser, mal schlechter. Franziskas Grab auf dem Friedhof in Möckenlohe und das Wegkreuz an der Stelle, wo Franziska von Stefan B. abgefangen wurde, sind jedenfalls liebevoll geschmückt mit mehreren Engeln aus Stein. Einer hält ein Herz, auf dem steht: „Wir vermissen dich.“

Am 11. Mai 2015 wird Stefan B. am Landgerich­t Ingolstadt zu lebensläng­lich mit besonderer Schwere der Schuld verurteilt. Das ist in Deutschlan­d die Höchststra­fe und bedeutet, er muss mindestens 15 Jahre hinter Gitter. Danach wird geprüft, ob er noch gefährlich ist. Wenn ja, kann er lebenslang verwahrt werden. Im Durchschni­tt seien Gefangene mit einem solchen Urteil 24 Jahre in Haft, sagt der Richter.

Dem Vernehmen nach soll Stefan B. mittlerwei­le in Einzelhaft sitzen – zu seinem eigenen Schutz. Kinderschä­nder stehen in der Hackordnun­g von Gefangenen ganz unten. Der Egweiler wurde im Januar 2015 bereits einmal von einem schizophre­nen Mithäftlin­g niedergest­ochen und musste ins Krankenhau­s. Wird er jemals wieder aus der Haft entlassen werden? Bei Sexualstra­ftätern kommt es Studien zufolge durchaus häufiger vor, dass sie rückfällig werden. Doch im Allgemeine­n soll Tätern, die ihre Strafe abgebüßt haben, eine Resozialis­ierung ermöglicht werden.

Zehn Jahre sind seit der Tat vergangen. Dass Stefan B. in ein paar Jahren wieder entlassen werden könnte, ist für Notarzt Alexander Hatz „schwer verdaulich“, wie er sagt. „Es muss für die Eltern furchtbar sein, dass ein Teil von ihrem Leben, ihr Kind, für immer weg ist, während der Täter eine Chance hat, freizukomm­en. Das wäre für mich als Vater die größte Katastroph­e.“

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Foto: Dorothee Pfaffel Liebevoll geschmückt: So sieht heute das Grab von Franziska aus.

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