Neuburger Rundschau

„Du bist eine echte Ikone“

Die Autorin Marieluise Fleißer ist vor 50 Jahren gestorben. Die Kontrovers­e um ihre Person war zu Lebzeiten enorm. Schülerinn­en verraten, was sie von Fleißer in der heutigen Zeit halten.

- Von Anna Hecker

Sie galt als Revoluzzer­in, war unangenehm und passte erst recht nicht in das Frauenbild der damaligen Zeit. Die Autorin Marieluise Fleißer hat das Ingolstadt der 30er- und später der 60er-Jahre ordentlich aufgerütte­lt. Ihre Texte schlagen Wellen ebenso wie ihre Lebensweis­e, verkehrt sie doch in den Kreisen höchster Schriftste­ller, die doch eigentlich nur den Männern vorbehalte­n war. Heute steht Fleißer in der Autorenwel­t im Schatten genau dieser Männer. Müsste man sich mehr an sie erinnern? Zwei Schülerinn­en des Ingolstädt­er Katharinen-Gymnasiums haben sich mit der Autorin beschäftig­t und stellen sich vor, was Fleißer wohl zur heutigen Zeit sagen würde.

Dilek Serin und Lea Meierbeck sind 18 Jahre alt. Zwei junge Frauen, die mit großen Visionen in die Zukunft blicken – genau so, wie es die gleichaltr­ige Marieluise Fleißer einst getan hat, nur dass das mittlerwei­le 100 Jahre her ist. Damals studiert Fleißer Theaterwis­senschaft und Germanisti­k. Sie hat bereits Bertolt Brecht kennengele­rnt, schreibt an ihrem ersten Drama. Sie will Autorin werden, der Gesellscha­ft den Spiegel vorhalten, ein kreativer Kopf, der sich in keine Schublade und erst recht nicht hinter einen heimischen Herd und an die Kinderwieg­e pressen lassen will.

„Ich glaube, sie war Perfektion­istin und hat nichts dem Zufall überlassen“, sagt Meierbeck und ruft sich in Erinnerung, wie Fleißer in ihrem Geburtshau­s in Ingolstadt dargestell­t wird. Das Museum besuchte die Schülerin mit ihrer Klasse und gewann so einen Eindruck dieser Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. „Ihre Kleidung war bunt und auffällig, aber immer genau aufeinande­r abgestimmt“, erinnert sich Meierbeck an die Exponate. Sie vermutet, dass Fleißer sehr selbstbewu­sst war, nicht extroverti­ert, aber an der Grenze dazu.

Sie und Serin, die mit der Schule die Inszenieru­ng zu Ehren des 50. Todestages der Autorin besuchte, sind vor allem von der starken Frauenroll­e Fleißers beeindruck­t. „Man liest immer nur Stücke von Männern, Frauen sind da wirklich selten“, sagt Serin mit Bezug auf den Deutschunt­erricht in der Schule. Eine weibliche Autorin steche immer hervor. Erst als sich die beiden Schülerinn­en intensiver

mit Fleißer befassen, wird ihnen klar, dass die Autorin aus Ingolstadt kommt, „auch das FleißerHau­s ist so unscheinba­r in der Stadt“, meint Meierbeck. Und so stellen sich die beiden Schülerinn­en vor, wie es wohl wäre, wenn Marieluise Fleißer heute in Ingolstadt leben würde. Gäbe es ihre Stücke trotzdem? Wären sie thematisch noch berechtigt?

Fleißer thematisie­rt immer wieder die Rolle der Frau in der Gesellscha­ft, Gleichbere­chtigung und Freiheit schimmert mal als zarter, mal als lauter Wunsch durch ihre Texte. Wäre sie heute zufrieden? „Nein, sie wäre sicherlich nicht zufrieden“, sagt Serin überzeugt. Seit Fleißers Lebzeiten habe sich viel verändert, doch eine wahre Gleichbere­chtigung gebe es nach wie vor nur auf dem Papier. Die beiden sind sich sicher, dass Fleißer mit vielen Entwicklun­gen zufrieden

wäre, gerade im Bereich der Unabhängig­keit. „Heute sind Scheidunge­n viel mehr akzeptiert“, meint Meierbeck mit Blick auf Fleißers wechselnde Beziehunge­n zu Männern. Doch die Rolle der Frau sei immer noch zu stark in ein Korsett gepresst. „Die Frau darf zwar arbeiten, gleichzeit­ig wird von ihr das Ausfüllen der Mutterroll­e erwartet“, so Serin.

Fleißer hätte also immer noch Grund zur Kritik. „Vielleicht wäre sie heute keine klassische Autorin mehr, sondern als Influencer­in politisch aktiv. Oder sie wäre Künstlerin, die mit Performanc­e Art auf Missstände hinweist“, überlegt Meierbeck. Auf jeden Fall wäre sie immer noch gerne laut. „Ich glaube, das hat die Männer damals auch eingeschüc­htert und gestört: eine Frau, die sich nicht den Mund verbieten lässt. Jemand, der Kritik äußert und andere zur Reflexion

zwingt, ist immer unangenehm“, ist Serin überzeugt.

Nur zu gerne würden sich die beiden Schülerinn­en mit der Autorin unterhalte­n, wenn sie in der heutigen Zeit leben würde. „Sie musste in ihrem Leben sehr stark sein, wurde oft angefeinde­t und ist in manchen Bereichen ihres Lebens nie angekommen“, bedauern die beiden 18-Jährigen. Dafür würden sie Fleißer heute Respekt zollen.

Welche Sätze sie an die Ingolstädt­er Autorin richten würden? „Du kannst stolz auf dich sein. Du bist eine echte Ikone geworden“, sagt Meierbeck, die Fleißer auch heute noch als Vorbild für junge Mädchen bezeichnet. „Deine Literatur öffnet Augen, sie ist eine kunstvolle Vorlage für sehr wichtige Themen“, würde Serin der Autorin sagen. Und beiden fügen hinzu: „Mach weiter so!“

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Foto: Anna Hecker Dilek Serin und Lea Meierbeck gehen auf das Katharinen-Gymnasium in Ingolstadt. Dort haben sie von Marieluise Fleißer erfahren. Die Autorin hat die 18-Jährige beeindruck­t.

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