Neuburger Rundschau

„Ich bin begeistert vom Leben“

Bruce Dickinson, der Frontman der Band Iron Maiden legt gerade nicht nur ein neues Soloalbum vor, sondern auch seinen ersten Comic. Ein Gespräch über die Bibel als Inspiratio­n, parallele Realitäten und das Steuern einer Boeing 747.

- Interview: Olaf Neumann

„The Mandrake Project“– so heißt sowohl Ihr neues Soloalbum als auch Ihr erster Comic. Die Geschichte dreht sich um die Alraune, die Zauberpfla­nze der Antike und des Mittelalte­rs. Um das giftige Nachtschat­tengewächs ranken sich zahlreiche Mythen. Haben Sie jemals diese Art von Drogen ausprobier­t?

Bruce Dickinson: Niemals! Ich bin 65 und vielleicht sollte ich mal eine kleine Tasse Pilztee trinken und sehen, was dann passiert. Okay, ich habe Joints geraucht, davon wurde mir aber schlecht. In meinen späten Zwanzigern war ich in Amsterdam und hing mit künstleris­ch veranlagte­n Leuten herum. Sie kamen mit dieser „tollen neuen Droge“an und meinten: „Du wirst es nicht glauben, wenn du sie nimmst!“Sie wurde Exstacy genannt. Es ging darum, dass man jeden liebt und alles wunderbar wird, wenn man es nimmt. Das ist nichts für mich, dafür bin ich vielleicht ein bisschen zu alt. Jemand sagte kürzlich zu mir, mit den Dingen, die in meinem Kopf sind, würde er nicht versuchen, etwas extra zu nehmen. (lacht)

Was inspiriert Sie? Lesen Sie fantastisc­he Comics, schauen Sie Horrorfilm­e?

Dickinson: Manchmal lasse ich mich von einem Horrorfilm ein wenig inspiriere­n. Normalerwe­ise kann ich um die meisten Dinge herum eine Geschichte erfinden. Ich suche einfach nach dem Drama in den Dingen und den Beweggründ­en der Leute, etwas Bestimmtes zu tun. Für diese Geschichte habe ich für jede Figur zwei Seiten geschriebe­n – zu ihrem Hintergrun­d, ihren Beweggründ­en, ihren Eltern, ihrer Schulzeit. Diesen Tiefgang brauchte es.

Ihre Figuren tragen zum Teil biblische Namen wie Lazarus. Zufall oder Absicht?

Dickinson: Als ich ein Kind war, musste ich immer die Bibel lesen. Wenn ich das nicht tat, wurde ich mit einem Stock geschlagen. (lacht) Das war so in der Schule. In der Bibel gibt es eine Menge toller Geschichte­n. Alraunen werden da oft erwähnt. Zum Beispiel Rachel und ihre Schwester. Sie versucht zu verführen ... ist es Noah? Jedenfalls ist er eine der Hauptfigur­en in der Bibel. Ihre Schwester hat gerade Sex mit ihm, aber die andere kommt dazu und schläft schließlic­h mit ihm. Und am Ende haben sie coole Kinder, die Propheten werden oder so. Ich weiß nicht mehr, wie der Typ hieß, Abraham oder Noah. Sie leiht sich jedenfalls eine Alraunenwu­rzel, die sie als Sex-Trank benutzt. Und ihre Schwester beschuldig­t sie, diese Wurzel von ihrem Kind gestohlen zu haben, um ihren Freund zu verführen. Die Alraune hat also einen langen Weg hinter sich.

Ist der Umstand, dass Sie damals von Ihren Lehrern und möglicherw­eise auch Kirchenleu­ten geschlagen wurden, der Grund, weshalb Sie sich künstleris­ch mit dem Thema Gewalt auseinande­rsetzen?

Dickinson: Ein paar von denen waren Lehrer und zugleich Kirchenleu­te. Aber ich glaube nicht, dass diese Erfahrung etwas mit meiner Kunst zu tun hat. Gewalt als Thema – ich bin nicht sicher, ob das bei mir wirklich der Fall ist. Vielleicht sind einige meiner Titel ein bisschen gewaltsam, die Comics sind es auf jeden Fall. Aber meine Songs sind nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Ein Stück wie „Tears of a Dragon“handelt nicht von Gewalt, sondern davon, sich dem Kampf zu stellen. Iron Maiden hat schon immer Stücke über Krieg geschriebe­n, wie „Trooper“oder „Aces High“oder „Flight of Icarus“, wo es um Missbrauch geht. Die sieben Todsünden sind sieben tolle Themen für das Schreiben von Songs. Ich kann jetzt nicht alle auf Anhieb aufzählen, aber ich nehme an, dass ich sie alle schon einmal begangen habe – bis auf Mord.

Hat „The Mandrake Project“auch eine tiefere, eine philosophi­sche Botschaft?

Dickinson: Ja, es steckt tatsächlic­h eine Philosophi­e dahinter. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Erlösung die Hauptfigur bekommen wird. Vielleicht gar keine. Hinter dem „Mandrake Project“steckt eine Philosophi­e der Wissenscha­ft, die Sie erfahren werden, wenn Sie sich meinen gleichnami­gen zwölfteili­gen Comic durchlesen.

Interessie­ren Sie sich für Wissenscha­ft?

Dickinson: Sehr sogar. Was sich im Moment in der Physik abspielt, ist absolut umwerfend. (gähnt) Sorry, ich habe letzte Nacht kaum geschlafen! Die Tatsache, dass es Stücke im Universum gibt, kleine Teilchen, die fehlen. Wie ist das möglich? Und niemand kann es erklären. Ich bin fasziniert davon. Und allein die Vorstellun­g von unserer Realität. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass diejenigen Physiker vielleicht recht haben, die sagen, wir sitzen hier auf vielen Schichten anderer Realitäten gleichzeit­ig.

Kommen Ihnen manchmal auch Ideen in den Wolken, wenn Sie eine Boeing 747 steuern?

Dickinson: Selten. Es erfordert zu viel Konzentrat­ion. Die ganze Sache mit dem Fliegen ist, dass es dich von der Realität entfernt. Es ist eine andere Realität, wenn du als Pilot ein Flugzeug fliegst, als auf der Erde unter dir. Und es ist auch nicht die gleiche Realität, die die Passagiere im Fond erleben. Als Pilot ist man in einer ganz besonderen Position. Das ist ein Grund, warum ich das früher gerne gemacht habe.

Fliegen Sie noch regelmäßig Passagierm­aschinen?

Dickinson : Nein. Ich bin jetzt zu alt, mit 65 muss man aufhören. An manchen Orten nicht, aber mal ehrlich, wann um alles in der Welt hätte ich die Zeit, wieder zur Flugschule zu gehen und alle meine Lizenzen und so weiter zu machen. Ich habe mehrere Tausend Stunden Passagierf­lüge absolviert und mache all diese tolle Musik und erschaffe Dinge. Viele Leute können Flugzeuge fliegen, da braucht es mich nicht.

Sie steuerten bislang immer die Boeing 747 Ihrer Band Iron Maiden, die Ed Force One. Werden Sie mit dieser Maschine auch auf Solo-Tour gehen?

Dickinson: Es gibt kein Flugzeug. Wir werden mit dem Bus fahren. Was bedeutet: permanente Turbulenze­n!

Und welche musikalisc­he Vision hatten Sie von dem Album?

Dickinson: Ich wollte ein Album, das zugleich heavy und zeitgemäß klingt, aber auch sehr authentisc­h. Einfach wichtig war mir der Gitarrenso­und. Ich will nicht klingen wie Bill Haley & The Comets oder Iron Maiden im Jahr 1981. Deshalb haben wir diese Monstergit­arren auch auf der Platte.

Ist der Gesang eines Songs das Wichtigste überhaupt?

Dickinson: Nein, ganz und gar nicht. Um wirksam zu sein, muss die Stimme manchmal weniger laut sein. Sie fügt sich ein wie ein zusätzlich­es Instrument. Nicht wie: Hier ist der Sänger und seine Backing Band. Ich hasse so etwas, ich mag eher ein Bandgefühl. Das ist in meiner Musik oft der Fall, wo der Sänger etwas weiter unten im Mix ist. Der Gesamteffe­kt ist, dass die Leute zwar nicht alle Worte verstehen können, aber das Gefühl haben, dass die Musik rockt.

Hören Sie sich bei der Tour-Vorbereitu­ng Ihre alten Platten noch einmal an?

Dickinson: Das ist genau das, was wir tun. Normalerwe­ise hat man ein paar Stücke, von denen man weiß, dass sie live funktionie­ren werden, und die anderen hört man sich noch einmal an und lässt sich dabei überrasche­n. Ich bin immer wieder schockiert, wenn ich mir ältere Iron Maiden-Platten anhöre. An die Hälfte von ihnen kann ich mich gar nicht mehr erinnern.

Auf Tour gehen ist doch auch Hochleistu­ngssport, extrem anstrengen­d. Macht der Körper das auf Dauer mit?

Dickinson: Oh ja. Es sind 43 Solo-Shows, gefolgt von einer Iron Maiden-Tour von August bis Weihnachte­n. Insgesamt ungefähr 90 Konzerte. Aber ich bin Sänger, das ist, was ich mache. Normalerwe­ise trainiere ich zwei bis drei Tage die Woche, manchmal auch mehr.

In Ihrer Autobiogra­fie erzählen Sie von den Qualen Ihrer Krebsthera­pie. Mittlerwei­le haben Sie die Krankheit überwunden. Wie würden Sie Ihr momentanes Lebensgefü­hl umschreibe­n?

Dickinson: Zunächst einmal ist das Leben besser als alle anderen Optionen, die es gibt. Wahrschein­lich hätte ich vor sieben Jahren geantworte­t, dass mein Lebensgefü­hl immer gleich ist. Jetzt habe ich aber erkannt, dass dem nicht so ist, und ich bin mir bewusst geworden, dass ich nur so viel Zeit habe, wie sie mir geschenkt wird. Ich bin entschloss­en, sie nicht zu verschwend­en.

Woher kommt Ihre positive Einstellun­g zum Leben?

„Als Pilot ist man in einer ganz besonderen Position. Das ist der Grund, warum ich das früher gerne gemacht habe.“

„Wir leben in einer sehr gefährlich­en Zeit. Man kann gewählt werden für das Erzählen von Bullshit.“

Dickinson: Ich habe keine Ahnung. Vielleicht liegt es an meiner Kindheit und Jugend. Ich bin einfach begeistert vom Leben, vom Geschehen, von den Menschen.

Es ist eine Schande, was sie sich gegenseiti­g antun, aber letztendli­ch sind wir alle noch hier. Vielleicht lernen wir also, miteinande­r auszukomme­n.

Viele Künstler reden davon, sie würden gerne in Würde altern. Was bedeutet das für Sie persönlich?

Dickinson: Solange dein Körper das tut, was er tun soll, würde ich das Altern als würdevoll bezeichnen. Ich kümmere mich nicht allzu sehr um kosmetisch­e Verbesseru­ngen, wie Sie sehen können. (lacht)

Immer mehr junge Menschen unterziehe­n sich heutzutage kosmetisch­en Operatione­n. Wie erklären Sie sich das?

Dickinson: Die Leute werden paranoid deswegen. Es gibt einen Song darüber auf der Platte, er heißt „Fingers in the Wounds“. Er ist eine Imitation der biblischen Stigmata, also wenn man seine Finger in die Löcher der Hände von Jesus Christus steckte und sagte: „Es ist echt. Er wurde wirklich gekreuzigt!“Das ähnelt dem Umgang der Leute mit Internet-Einflüssen. Sie wollen einfach glauben, dass bestimmte Menschen wie Gott sind. Sie schlucken jede dumme Idee, die von jemandem kommt, der nichts über etwas weiß, aber eine Meinung hat. Das sind die Influencer. Oh mein Gott! Warum hört jemand auf Kim Kardashian – ich weiß es nicht. Aber die Leute tun es.

Wie informiere­n Sie sich denn?

Dickinson: Ich versuche, mich in der Welt umzusehen. Natürlich kann ich das nur begrenzt tun, also muss ich mich meistens im Internet oder im Fernsehen informiere­n. Aber ich suche immer nach der Hintergrun­dgeschicht­e und der Motivation. Wann immer ich eine neue Nachricht lese oder höre, überlege ich, welche Botschaft man mir vermitteln will. Denn es gibt immer eine. Das entkräftet nicht unbedingt das, was sie sagen, aber es wäre in gewisser Weise einfacher, wenn sie zugeben würden, dass es eine Absicht gibt. Dann kann man sich nämlich ein Urteil bilden. Aber das Problem ist, dass viele Menschen heute nicht so gebildet sind, Fake News oder Verschwöru­ngstheorie­n zu erkennen. Wir leben in einer sehr gefährlich­en Zeit. Man kann im Grunde genommen gewählt werden für das Erzählen von Bullshit.

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Foto: John McMurtrie Musiker, Pilot, Bestseller­autor: Bruce Dickinson, Frontman der Band Iron Maiden.

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