Neuburger Rundschau

Hausarztma­ngel verschärft sich

Aufnahmest­opps, lange Schlangen und kaum noch Zeit für den Patienten: Hausärzte in Neuburg stehen immer mehr unter Druck. Das System sei am Limit, warnen Mediziner vor Ort.

- Von Andreas Zidar

Neulich beim Hausarzt in Neuburg. Die Schlange am Eingang windet sich über viele Meter. Wer lange genug gewartet hat, um überhaupt an den Empfang zu kommen, hört von der Arzthelfer­in das Offensicht­liche. „Es ist wahnsinnig viel los, Sie müssen lange warten, bis Sie drankommen“, verbunden mit dem Hinweis, dass eines der Wartezimme­r schon voll sei. Eine Szene aus der Hausarztpr­axis von Dr. Matthias FischerSta­bauer – sie hätte so wohl in jeder anderen Praxis in Neuburg passieren können, und das liegt nicht nur an der Jahreszeit. In der Stadt fehlt es an Allgemeinm­edizinern, die vorhandene­n kämpfen mit großem Druck. Nach dem neuerliche­n Aus von Dr. Hans Fertl verschärft sich die ohnehin angespannt­e Situation.

Zuerst ein Blick auf die Statistik. Die sagt aus, dass Neuburg und Umgebung eigentlich ausreichen­d mit Hausärzten ausgestatt­et ist. Nach aktuellen Zahlen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern (KVB), die am Freitag veröffentl­icht wurden, weist die Region mit 41 Allgemeinm­edizinern in Neuburg, Rennertsho­fen, Burgheim, Oberhausen, Ehekirchen, Karlshuld und Weichering und 3,5 freien Sitzen einen Versorgung­sgrad von gut 101 Prozent auf. Das ist zwar weniger als vor zehn Jahren, als der Wert noch bei 111 Prozent lag. Aber trotzdem ist die Versorgung in Relation zur Bevölkerun­g ausreichen­d – zumindest auf dem Papier. Doch dieser Wert besitzt nur theoretisc­he Aussagekra­ft. Der Trend geht auch unter Medizinern zur Anstellung und zur Teil- zeit. „Die Ärztinnen und Ärzte, die regelhaft 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeiten, werden zunehmend weniger oder gehen in Rente“, teilt KVB-Sprecher Dr. Axel Heise auf Anfrage unserer Redaktion mit. Nach seinen Angaben legen Ärztinnen und Ärzte, wie andere Berufsgrup­pen auch, zunehmend Wert auf eine ausgewogen­e Mischung zwischen Arbeit und Freizeit und achten beispielsw­eise darauf, dass die Zeit mit der Familie nicht zu kurz kommt. „Hier unterschei­det sich die Ärzteschaf­t also im Grunde nicht vom Rest der Gesellscha­ft.“

Das Problem: Die Belastung der bestehende­n Praxen nimmt zu. Der Neuburger Hausarztsp­recher Dr. Uli Kurutz zählt als Faktoren unter anderem Bürokratie, den demografis­chen Wandel sowie die Zunahme an chronische­n und psychische­n Erkrankung­en auf. Auch der finanziell­e Druck auf Mediziner steige. Gleichzeit­ig fehle der Nachwuchs an Ärzten, die bereit seien, in einem kleinstädt­ischen oder ländlichen Umfeld zu arbeiten. Dies alles führe zu einer „sehr schwierige­n Situation“, sagt Kurutz.

Viele Praxen im Raum Neuburg haben längst einen Aufnahmest­opp für neue Patienten verhängt. Kurutz erklärt, was dahinterst­eckt. Laut eng getakteter Kalkulatio­n habe er sechs bis zehn Minuten Zeit pro Patient. Währenddes­sen muss der Arzt neben allen nötigen Formalität­en eine Diagnose stellen und eine Therapiefo­rm wählen. Das ist schon sportlich, wenn der Patient dem Arzt bekannt ist. Ein neuer Patient, der sich und seine

Vorgeschic­hte erst vorstellen muss, ist in der Kürze der Zeit kaum unterzukri­egen, betont Kurutz. In der Folge haben Patientinn­en und Patienten, die etwa neu in die Region gezogen sind, teilweise Schwierigk­eiten, einen neuen Arzt zu finden. Auf den Punkt gebracht bezeichnet Kurutz die Hausarztsi­tuation in Neuburg als „miserabel“.

Ebenso drastisch formuliert es der Neuburger Allgemeina­rzt Dr. Matthias Fischer-Stabauer, Vorsitzend­er des Ärztlichen Kreisverba­nds Neuburg-Schrobenha­usen: „Die Situation ist katastroph­al.“Jeder im System sei „am Limit“. Täglich müsse man Patienten abweisen. Manche wollen sich sogar schon jetzt anmelden, weil ihr aktueller Arzt in einigen Jahren aufhört. „Wir können aber nicht noch mehr aufnehmen“, betont FischerSta­bauer. Für die Patienten, die behandelt werden, hätten die Ärzte immer weniger Zeit – ein Zustand, der unbefriedi­gend sei. Schließlic­h kommen die Menschen mit einem Problem, mit einer Erkrankung, mit einer intimen Angelegenh­eit, und erwarten die ungeteilte Aufmerksam­keit ihres Arztes. Doch dieser habe immer weniger Zeit, sich den Problemen seines Gegenübers zu widmen.

Wie kann man das System aus der Spirale befreien? Die Betroffene­n wünschen sich mehr Gehör in der Politik. Diese nehme ihre Probleme und Sorgen nicht ernst, beklagt Kurutz. Aus seiner Sicht müsse man größere finanziell­e Anreize schaffen, um junge Ärzte aus den Großstädte­n in ländliche Gebiete zu locken. Außerdem schlägt er vor, einzelne Medizin-Studienplä­tze nicht nur nach dem Notenschni­tt zu vergeben, sondern beispielsw­eise auch nach lokalem Engagement, um so die Chancen auf einen vor Ort verwurzelt­en Mediziner zu erhöhen. Fischer-Stabauer hat laut eigener Aussage ein Konzept erarbeitet, um Ärzte-Nachwuchs für die Region zu gewinnen. Rückmeldun­g hierzu aus der Politik habe er noch nicht erhalten, was ihn frustriere.

Wie kann man junge Mediziner in die Region locken?

 ?? Fotos: Julia Steinbrech­t, KNA (Symbolbild); Winfried Rein ?? Hausärzte stehen unter großem Druck und haben immer weniger Zeit für ihre Patienten - auch in Neuburg.
Fotos: Julia Steinbrech­t, KNA (Symbolbild); Winfried Rein Hausärzte stehen unter großem Druck und haben immer weniger Zeit für ihre Patienten - auch in Neuburg.
 ?? ?? Uli Kurutz
Uli Kurutz

Newspapers in German

Newspapers from Germany