Hausarztmangel verschärft sich
Aufnahmestopps, lange Schlangen und kaum noch Zeit für den Patienten: Hausärzte in Neuburg stehen immer mehr unter Druck. Das System sei am Limit, warnen Mediziner vor Ort.
Neulich beim Hausarzt in Neuburg. Die Schlange am Eingang windet sich über viele Meter. Wer lange genug gewartet hat, um überhaupt an den Empfang zu kommen, hört von der Arzthelferin das Offensichtliche. „Es ist wahnsinnig viel los, Sie müssen lange warten, bis Sie drankommen“, verbunden mit dem Hinweis, dass eines der Wartezimmer schon voll sei. Eine Szene aus der Hausarztpraxis von Dr. Matthias FischerStabauer – sie hätte so wohl in jeder anderen Praxis in Neuburg passieren können, und das liegt nicht nur an der Jahreszeit. In der Stadt fehlt es an Allgemeinmedizinern, die vorhandenen kämpfen mit großem Druck. Nach dem neuerlichen Aus von Dr. Hans Fertl verschärft sich die ohnehin angespannte Situation.
Zuerst ein Blick auf die Statistik. Die sagt aus, dass Neuburg und Umgebung eigentlich ausreichend mit Hausärzten ausgestattet ist. Nach aktuellen Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), die am Freitag veröffentlicht wurden, weist die Region mit 41 Allgemeinmedizinern in Neuburg, Rennertshofen, Burgheim, Oberhausen, Ehekirchen, Karlshuld und Weichering und 3,5 freien Sitzen einen Versorgungsgrad von gut 101 Prozent auf. Das ist zwar weniger als vor zehn Jahren, als der Wert noch bei 111 Prozent lag. Aber trotzdem ist die Versorgung in Relation zur Bevölkerung ausreichend – zumindest auf dem Papier. Doch dieser Wert besitzt nur theoretische Aussagekraft. Der Trend geht auch unter Medizinern zur Anstellung und zur Teil- zeit. „Die Ärztinnen und Ärzte, die regelhaft 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeiten, werden zunehmend weniger oder gehen in Rente“, teilt KVB-Sprecher Dr. Axel Heise auf Anfrage unserer Redaktion mit. Nach seinen Angaben legen Ärztinnen und Ärzte, wie andere Berufsgruppen auch, zunehmend Wert auf eine ausgewogene Mischung zwischen Arbeit und Freizeit und achten beispielsweise darauf, dass die Zeit mit der Familie nicht zu kurz kommt. „Hier unterscheidet sich die Ärzteschaft also im Grunde nicht vom Rest der Gesellschaft.“
Das Problem: Die Belastung der bestehenden Praxen nimmt zu. Der Neuburger Hausarztsprecher Dr. Uli Kurutz zählt als Faktoren unter anderem Bürokratie, den demografischen Wandel sowie die Zunahme an chronischen und psychischen Erkrankungen auf. Auch der finanzielle Druck auf Mediziner steige. Gleichzeitig fehle der Nachwuchs an Ärzten, die bereit seien, in einem kleinstädtischen oder ländlichen Umfeld zu arbeiten. Dies alles führe zu einer „sehr schwierigen Situation“, sagt Kurutz.
Viele Praxen im Raum Neuburg haben längst einen Aufnahmestopp für neue Patienten verhängt. Kurutz erklärt, was dahintersteckt. Laut eng getakteter Kalkulation habe er sechs bis zehn Minuten Zeit pro Patient. Währenddessen muss der Arzt neben allen nötigen Formalitäten eine Diagnose stellen und eine Therapieform wählen. Das ist schon sportlich, wenn der Patient dem Arzt bekannt ist. Ein neuer Patient, der sich und seine
Vorgeschichte erst vorstellen muss, ist in der Kürze der Zeit kaum unterzukriegen, betont Kurutz. In der Folge haben Patientinnen und Patienten, die etwa neu in die Region gezogen sind, teilweise Schwierigkeiten, einen neuen Arzt zu finden. Auf den Punkt gebracht bezeichnet Kurutz die Hausarztsituation in Neuburg als „miserabel“.
Ebenso drastisch formuliert es der Neuburger Allgemeinarzt Dr. Matthias Fischer-Stabauer, Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbands Neuburg-Schrobenhausen: „Die Situation ist katastrophal.“Jeder im System sei „am Limit“. Täglich müsse man Patienten abweisen. Manche wollen sich sogar schon jetzt anmelden, weil ihr aktueller Arzt in einigen Jahren aufhört. „Wir können aber nicht noch mehr aufnehmen“, betont FischerStabauer. Für die Patienten, die behandelt werden, hätten die Ärzte immer weniger Zeit – ein Zustand, der unbefriedigend sei. Schließlich kommen die Menschen mit einem Problem, mit einer Erkrankung, mit einer intimen Angelegenheit, und erwarten die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Arztes. Doch dieser habe immer weniger Zeit, sich den Problemen seines Gegenübers zu widmen.
Wie kann man das System aus der Spirale befreien? Die Betroffenen wünschen sich mehr Gehör in der Politik. Diese nehme ihre Probleme und Sorgen nicht ernst, beklagt Kurutz. Aus seiner Sicht müsse man größere finanzielle Anreize schaffen, um junge Ärzte aus den Großstädten in ländliche Gebiete zu locken. Außerdem schlägt er vor, einzelne Medizin-Studienplätze nicht nur nach dem Notenschnitt zu vergeben, sondern beispielsweise auch nach lokalem Engagement, um so die Chancen auf einen vor Ort verwurzelten Mediziner zu erhöhen. Fischer-Stabauer hat laut eigener Aussage ein Konzept erarbeitet, um Ärzte-Nachwuchs für die Region zu gewinnen. Rückmeldung hierzu aus der Politik habe er noch nicht erhalten, was ihn frustriere.
Wie kann man junge Mediziner in die Region locken?