Neuburger Rundschau

Mit Abstand der Quirligste!

Zwei Tage nach seinem 87. Geburtstag liefert die amerikanis­che Piano-Legende Kirk Lightsey im proppenvol­len Birdland einen Beleg für die zeitlose Schönheit und Vitalität des Jazz.

- Von Reinhard Köchl

Alter ist nur eine Zahl, die angibt, wie viele Atemzüge man gebraucht hat, um dorthin zu gelangen. Eine Binsenweis­heit? Keiner, der am Samstag miterlebt hat, wie sich ein gerade mal 87 Jahre jung gewordener Pianist im abermals proppenvol­len BirdlandJa­zzclub zweieinhal­b Stunden lang bewegt, wie er lustvoll in jedes Thema eintaucht, die Musik und auch sich selbst feiert und sichtbar jedes einzelne Glückshorm­on aufsaugt, wird dies ernsthaft behaupten wollen! Erst zwei Tage vor Neuburg durfte sich Kirk Lightsey zu seinem durchaus stattliche­n Wiegenfest gratuliere­n lassen. Im Hofapothek­enkeller geht die Sause weiter. Schlagzeug­er (und Conférenci­er) Sangoma Everett erzählt, dass sie während ihrer Tournee bei jedem Konzert das Publikum um ein Geburtstag­sständchen in der jeweiligen Landesspra­che gebeten hätten. Also diesmal die deutsche Version: „Zum Geburtstag viel Glück!“Und die amerikanis­che Piano-Legende grinst wie ein Honigkuche­npferd

und liefert am Klavier gleich die passenden Akkorde dazu.

Dass Lightsey, der Mann, der in seinem bewegten Leben bereits an der Seite von Jazz-Säulenheil­igen wie Cannonball Adderley, Melba Liston, Yusef Lateef, Dexter Gordon, Chet Baker, Betty Carter, Pharoah Sanders, Sonny Stitt oder Kenny Burrell in die Tasten griff, nicht mehr ganz so gut zu Fuß ist und von den Kollegen auf dem Weg zur Bühne gestützt werden muss – geschenkt! Wenn Kirk am Bösendorfe­r sitzt, dann wirkt er absolut alterslos, öffnet seinen reichen Klangfarbe­nkasten und erweist sich in einem Quartett, bei dem jeder Mitmusiker locker sein Sohn oder gar Enkel sein könnten, als der mit Abstand Quirligste, Flotteste, Agilste. Deshalb gerät der Abend zu einem einzigen Bekenntnis für die Einzigarti­gkeit des Jazz und die Schönheit des Lebens mit einem Hauptdarst­eller, der es als einer der letzten seiner Zunft meisterlic­h versteht, einen Flügel wirklich zum Klingen zu bringen. Das Song-Material? Eher zweitrangi­g. Es kommt nicht darauf an, was man spielt, sondern wie es rüberkommt: Ein glänzendes „Joy Spring“von Clifford Brown, das melancholi­sche „In Your Own Sweet Way“von Dave Brubeck, das ungewohnt gedrosselt-bluesige „Pee Wee“von Tony Williams und ein etwas langweilig­es „Take The A-Train“, das wie eine alte Dampflok dahinzucke­lt, ab und zu ein paar Rauchwolke­n ausstößt und das Herz der Nostalgike­r schneller schlagen lässt, als es der eigene Rhythmus hergibt. Von der Begleitcre­w sticht vor allem Alex Hitchcock am Tenorsaxof­on heraus, ein Rohdiamant aus Großbritan­nien, der mit seinen 33 Jahren am Anfang einer großen Karriere stehen dürfte.

Eigentlich hat er alles drauf; seinen Lester Young, seinen Dexter Gordon, seinen Wayne Shorter. Was bis dato fehlt, ist ein eigener, unverwechs­elbarer Stil – wie der seines Chefs.

Einen wie Steve Watts am Kontrabass würden alle Bebop- und Hardbop-Combos wegen seiner eleganten Walking-Linien mit Kusshand nehmen, während Drummer Sangoma Everett hin und wieder das Händchen für eine stimmige Dosierung zwischen laut und leise, zwischen hart und zart vermissen lässt.

Details wie diese spielen an einem Abend wie diesem freilich eher eine untergeord­nete Rolle. Es ist vor allem der Showcase für Kirk Lightsey, der auch eigene Stücke wie „Bebop“(nomen est omen) oder „Heaven Dance“, eine Nummer zwischen verschoben­en Metren, Shuffle, Blues, Tonartwech­seln und beseelt tanzbaren Rhythmen, beinhaltet. Die wahre Meistersch­aft des Evergreens an den Elfenbeint­asten offenbart sich jedoch in der wunderbare­n Ballade „Goodbye Mr. Evans“, einer Ehrerbietu­ng an den Piano-Kollegen Bill Evans, und dem kraftvolle­n „Blues On The Corner“von McCoy Tyner. Zwei Songs, die einen durch die gesamte Emotionssk­ala geleiten, die der Jazz zu bieten hat.

Am Schluss gibt es begeistert­e Ovationen und eine Zugabe, die sich aus der puren Freude am Momentum heraus entwickelt. Und Kirk Lightsey hat seine Heimat wieder um einen tollen Jazzkeller, ein grandioses Publikum und einen edlen Flügel erweitert. Ja, im Neuburger Birdland ist er richtig glücklich!

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Foto: Norbert Pätzold Der amerikanis­che Pianist Kirk Lightsey begeistert­e bei seinem Auftritt im Neuburger Jazzkeller.

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