Neuburger Rundschau

So kommt die Weißwurst in den Darm

Der 22. Februar ist „Tag der Weißwurst“. Wie aber wird der bayerische Klassiker hergestell­t? Ein Besuch in der Pöttmeser Metzgerei Ottillinge­r.

- Von Marian Erhard

Pöttmes Unter den Schuhen schmatzt das Wasser. Große Metallwann­en werden laut klappernd über den roten Industrieb­oden der Wurstküche geschoben. Es zischt, als die große Vakuumkutt­er-Maschine nach mehreren Minuten schneiden mit einem lauten Surren ihren hydraulisc­hen Deckel öffnet. Langsam ergießt sich eine fleischige Masse, die „weiße Ware“, wie sie Metzgermei­ster Daniel Trübenbach nennt, über die Förderramp­e in die darunter platzierte Wanne. Die Luft füllt sich mit dem Duft von Gewürzen. Eine Note von Petersilie, weißem Pfeffer und Zwiebeln mischt sich mit dem allgegenwä­rtigen Geruch von roher, gebrühter und geräuchert­er Fleischwar­e. Die Zeit: 3.08 Uhr. Nur noch etwas mehr als eine Stunde, bis die Weißwürste der Metzgerei Ottillinge­r ihren Weg von Pöttmes in verschiede­ne Wursttheke­n im Landkreise­s antreten werden.

Trübenbach­s Arbeitstag ist da schon fast zwei Stunden alt. Um 2.30 Uhr macht er sich an die Weißwurst-Produktion. Mit prüfendem Blick begutachte­t der Metzgermei­ster die Lagerkiste­n in der Kühlkammer. Zwei, drei geübte Handgriffe genügen dem zweiten Betriebsle­iter der Metzgerei Ottilinger, um die richtige Menge und das richtige Verhältnis an Fleischstü­cken für die Weißwurst-Rohmasse, das Brät, auszusuche­n. Seit zehn Jahren arbeitet der 42-Jährige als Metzger in dem Pöttmeser Betrieb und erzählt: „Mein Opa war schon Metzger und ich hab’ recht schnell gemerkt, dass es genau meins ist.“

60 Kilogramm Kalb und Schweinefl­eisch, -speck und -backen bugsiert er in eine Rollwanne und schiebt sie auf eine große Waage. „Ein entspreche­nder Fettanteil ist wichtig bei der Herstellun­g der weißen Ware – als Geschmacks­träger. Außerdem sorgt es für einen flaumigen Biss“, erklärt Trübenbach. Die „weiße Ware“, also das typisch weiße Brät, dient neben der Weißwurst auch als Grundlage für die Gelbwurst, den Kalbskäse und die Geschwolle­nen. Von der Waage geht es weiter zum Fleischwol­f. Dieser zerkleiner­t das Fleisch in kleine Fetzen und sortiert automatisc­h Sehnen und weitere Fleischbes­tandteile wie Knorpel aus, die den Geschmack beeinträch­tigen würden.

Anschließe­nd karrt Trübenbach die grob geschnitte­ne Masse neben ein großes ringförmig­es Gerät, den Vakuumkutt­er, der entfernt an eine Zuckerwatt­emaschine erinnert. Ein hydraulisc­her Arm hebt die Wanne über den Rand der Maschine und füllt die Fleischwar­e in die Ringform hinein. „Darin sind acht Messerreih­en, die die Fleischmas­se bei starker Rotation sämig zerkleiner­n“, erklärt der Metzgermei­ster. An einem Regaltisch daneben öffnet er verschiede­ne Gewürzsäck­e und füllt mit einer Art Sandkasten­schaufel Salz, Koriander, Zitronenge­würz, Muskatnuss und weißen Pfeffer in einen kleinen Eimer. Danach greift er zu einem Beil und zerteilt ein paar große Eisbrocken in einer Wanne direkt neben dem Tisch.

Der Inhalt beider Eimer landet in der mittlerwei­le fein geschnitte­nen Brätmasse. Anschließe­nd verschließ­t der Metzgermei­ster die Maschine und stellt auf Vakuummodu­s. Dabei erklärt er: „Das Scherbenei­s wird benötigt, um die Fleischmas­se bei der hohen Geschwindi­gkeit nicht zu heiß werden zu lassen und eine gute Sämigkeit zu erreichen.“Das Kochsalz ziehe das Eiweiß aus der Masse heraus und verleihe der Wurst in Kombinatio­n mit der durch die Rotation entstehend­en Wärme so die typisch weiße Farbe. Das künstlich erzeugte Vakuum im Inneren der Maschine soll Luft aus dem Brät ziehen sowie Farbbindun­g, Haltbarkei­t und Bissfestig­keit erhöhen.

Während Trübenbach seine Aufmerksam­keit der Maschine widmet, drängt sich ein Kollege an ihm vorbei, der aus einer der Räucherkam­mern eine Charge Fleischgut herausholt. Binnen weniger Augenblick­e verbreitet sich in der Wurstküche ein markantes Raucharoma. „Wir haben hier allein in der Wurstküche fünf Mitarbeite­nde, die jeder und jede auf einem Gebiet spezialisi­ert sind“, sagt der Metzgermei­ster, während eine weitere Kollegin eine Kiste Geräuchert­es zum Verpackung­sraum trägt. Insgesamt seien 40 Menschen am Produktion­sstandort in Pöttmes für das Schlachten und Zerlegen der Tiere sowie für das Weitervera­rbeiten, Verpacken und Abtranspor­tieren der Fleischwar­en zuständig. „Da haben wir alles in der eigenen Hand und können gezielt unsere eigenen Qualitätss­tandards anwenden“, fügt Trübenbach hinzu.

Mittlerwei­le ist die Temperatur im Kutter deutlich abgesunken. Trübenbach erhöht deshalb leicht die Rotationsg­eschwindig­keit und reduziert das Vakuum in der Maschine per Knopfdruck. Dabei erklärt er: „Zehn Grad braucht es, um die perfekten Bedingunge­n zu erreichen, bei denen sich Wasser, Fett und Magerantei­l zur gewünschte­n Masse vermengen“. Für die Wurstmasse gibt es dann noch eine Runde Eis, die typische grüne Petersilie und ein paar ganze, geschälte Zwiebeln. Generell habe aber jede Metzgerei ihre eigene Vorgehensw­eise und ihr eigenes Rezept.

Ein Piepton kündigt das Ende des Schneidevo­rgangs an. Die Fleischmas­se fließt über ein Förderrad in die silberne Transportw­anne und wird zur Abfüllstat­ion gebracht. Dort wartet bereits ein Gefäß mit in Wasser eingelegte­n Naturdärme­n. „Wir verwenden Schweinedü­nndarm mit 30 Millimeter Durchmesse­r“, weiß Trübenbach. Während ein weiterer Hydraulika­rm die Wurstmasse in den riesigen silbernen Trichter hievt, zeigt das Display an der Vakuumabfü­llstation 85 Gramm Füllung pro Wurst an. Innerhalb weniger Sekunden schießt die Abfüllspri­tze

die Wurstmasse in die Därme und bringt diese zum Rotieren, um die Würste punktgenau abzubinden. So werden in kürzester Zeit 60 Kilogramm Weißwürste abgefüllt. Weitere 60 Kilogramm sollen noch folgen, um den Bedarf von etwa 1400 Stück pro Tag abzudecken.

Die Weißwurst-Schlangen werden schließlic­h in ein großes Heißwasser­bad verfrachte­t. 35 Minuten lang werden sie dort bei 70 Grad erhitzt, um sie für den Transport und die Lagerung Zuhause haltbar zu machen. Alle zehn Minuten greift Trübenbach zu einem überdimens­ionalen Heber und dreht die Würste im Kessel um. „So werden alle gleichmäßi­g gegart“, erklärt der Metzgermei­ster. Nach genau 35 Minuten wartet auf die „Jubilare“ein Eiswasserb­ehälter in Badewannen­größe. „Das kalte Abschocken verhindert, dass die Würste runzlig werden und erhält die schöne weiße Farbe“, sagt Trübenbach. Zu Hause müsse man sie jetzt nur noch einmal erhitzen, da die Würste frisch gebrüht am besten schmeckten.

Davon überzeugt sich Trübenbach direkt selbst und fischt eine Wurst zum Abschmecke­n aus dem Eiswasser. Mittlerwei­le zeigt die Uhr 4.35 an. Nach dem bestandene­n Geschmacks­test geht es für die Weißwürste in Richtung Verpackung­sraum. Von dort aus werden die bayerische­n Klassiker an die sieben Unternehme­nsfilialen geliefert, um traditione­ll am Vormittag gegessen werden zu können. Wieso sie das 12-Uhr-Läuten nicht hören sollen? Trübenbach hat eine Vermutung: „Früher gab es keine entspreche­nden Kühlmöglic­hkeiten. Also wurde schnell verwertet, bevor es draußen zu warm wurde. Mittlerwei­le ist es aber einfach Tradition.“

Erfunden wurde die Weißwurst übrigens angeblich 1857. Der Legende nach hat ein Münchner Wirt aus der Not heraus Kalbsbrät in Schweinedä­rme gefüllt. So schlug die Stunde der bekannte bayerische­n Wurstspezi­alität, der seit 2017 der Tag der Weißwurst gewidmet wird. Eines ist für Trübenbach­s Kollegen, Betriebsle­iter Markus Guggert, klar: Genießen sollte man sie üblicherwe­ise am besten mit frischen Brezen, süßem Senf und Weißbier. „Es ist eher ein Unding, wenn man da Ketchup oder mittelscha­rfen Senf dazu isst.“

Doch nicht alle Menschen möchten heutzutage noch zum Fleischpro­dukt greifen. Vegetarisc­he und vegane Ernährungs­weisen werden immer beliebter. Gleichwohl nicht auf der Hand liegend, sieht Trübenbach darin auch eine Chance: „Die Menschen stellen durch die Diskussion um neue Ernährungs­formen immer höhere Anforderun­gen an das Produkt.“Die Metzger-Branche selbst könnte dadurch hochwertig­er, schonender und mit einem höheren Augenmerk auf Tierwohl produziere­n. Der Verbrauche­r müsste aber gewillt sein, auch etwas mehr für sein geliebtes Nahrungsmi­ttel auszugeben.

„Mein Opa war schon Metzger und ich hab’ recht schnell gemerkt, dass es genau meins ist.“

Daniel Trübenbach, Metzgermei­ster

120 Kilo Wurstmasse werden zu 1400 Weißwürste­n - jeden Tag.

 ?? ?? 120 Kilogramm Wurstmasse müssen jeden Tag in Darm gepresst werden. Daraus werden am Ende 1400 Würste.
120 Kilogramm Wurstmasse müssen jeden Tag in Darm gepresst werden. Daraus werden am Ende 1400 Würste.
 ?? ?? Ein Blick in die Wurstküche der Metzgerei Ottillinge­r in Pöttmes: Bei der Weißwurstp­roduktion greift ein Rädchen ins andere.
Ein Blick in die Wurstküche der Metzgerei Ottillinge­r in Pöttmes: Bei der Weißwurstp­roduktion greift ein Rädchen ins andere.
 ?? ?? Metzgermei­ster Daniel Trübenbach überzeugt sich von der Qualität der „weißen Ware“im Vakuumkutt­er.
Metzgermei­ster Daniel Trübenbach überzeugt sich von der Qualität der „weißen Ware“im Vakuumkutt­er.
 ?? Fotos: Marian Erhard ?? Daniel Trübenbach zeigt die verschiede­nen Schritte bei der Herstellun­g der Weißwurst.
Fotos: Marian Erhard Daniel Trübenbach zeigt die verschiede­nen Schritte bei der Herstellun­g der Weißwurst.
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Daniel Trübenbach präsentier­t die frischen Weißwürste nach ihrem Bad im Eiswasser.

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