Glücksspiel und Datenschutz statt Diesel-Verfahren
Die Richter am Landgericht Ingolstadt haben mittlerweile viele Dieselklagen abgearbeitet. Welchen Trend sie nun beobachten.
Der Betrugsprozess um eine Heilpraktikerin aus Schrobenhausen und einen Unternehmer aus Ingolstadt, der vergangenes Jahr nach zwei Jahren mit 64 Verhandlungstagen zu Ende gegangen war, ist der bislang längste in der Geschichte des Landgerichts Ingolstadt. Dies berichteten die beiden Pressesprecher des Gerichts, Thomas Schlappa und Fabian Lettenbauer, am Mittwoch gemeinsam mit ihrer neuen Präsidentin Bettina Mielke bei der alljährlichen Pressekonferenz. Sie zogen Bilanz für das Jahr 2023.
Während das Heilpraktiker-Verfahren der dominierende Fall im Strafrecht am Ingolstädter Landgericht war, beschäftigten sich die
Zivilrichter im vergangenen Jahr nach wie vor mit den Diesel-Klagen. 800 relativ gleich lautende Verfahren aus Spanien hatten das Gericht erreicht, da Audi in Ingolstadt seinen Sitz hat. Verhandelt wurde nach spanischem Recht und mit mehreren Gutachtern. Es habe sich um eine regelrechte „Gutachter-Schlacht“gehandelt, sagt Schlappa. Inzwischen seien aber mehr als 90 Prozent der Fälle entschieden – es werde allerdings oft Berufung eingelegt. Denn viele Kläger wollten ihr Fahrzeug zurückgeben, stattdessen wurde ihnen ein Schmerzensgeld von 500 Euro zugesprochen.
Von den deutschen Diesel-Verfahren habe man in den letzten Jahren mehrere Tausend abgearbeitet, erzählt Lettenbauer. Und die Klagen werden weniger. Waren es 2020 noch über 5000, waren es 2023 bereits unter 2000. Aktuell seien noch 120 anhängig. Man spüre zwar die Entlastung, sagt Lettenbauer. Doch die Diesel-Verfahren seien komplizierter geworden, sodass man sich mit dem einzelnen Fall länger auseinandersetzen müsse. Dies sei ein genereller Trend, meint Schlappa. Rechtsfälle gingen immer weiter in die Tiefe und würden schnell sehr komplex werden mit sehr langen Schriftsätzen.
Das Phänomen der Massen-Verfahren könne auch an anderer Stelle beobachtet werden, fährt Schlappa fort. Immer dort, wo viele Menschen beziehungsweise Verbraucher betroffen sind und Rechtsanwälte mit dem immer gleichen Schriftsatz zahlreiche Fälle abdecken können. Insbesondere zwei Bereiche kristallisieren sich hier heraus: Datenschutz und Glücksspiel. Erklären lässt sich dies dadurch, so Lettenbauer, dass aufgrund der Datenschutzgrundverordnung jeder Anspruch auf Schmerzensgeld hat, sollte sein
Datenschutz verletzt werden. Zudem sei vor dem 1. Juli 2021 Online-Glücksspiel in allen Bundesländern außer in Schleswig-Holstein verboten gewesen. Verluste, die dabei gemacht wurden, können von den Betreibern eingeklagt werden, erklären die Pressesprecher. Dabei ginge es teils um sechsstellige Summen. Das Oberlandesgericht würde einem Großteil der Kläger die Verluste in voller Höhe zusprechen. Das Problem: Wer Recht hat, bekommt nicht automatisch Recht. Wie Anwälte am Gericht erzählten, so Schlappa, sollen sich Gerichtsvollzieher in den Vollstreckungsländern – oft Malta oder Gibraltar – häufig weigern, das Urteil zu vollziehen. Lettenbauer vermutet, dass es beim Thema Online-Glücksspiel jetzt erst richtig losgehe.