Neuburger Rundschau

Ein Netz aus zweifelhaf­ten Zeugen

Am zehnten Verhandlun­gstag zeigt sich, wie viele Männer rund um die Angeklagte und die Getötete eine Rolle gespielt haben. War Khadidja O. kein Zufallsopf­er?

- Von Dorothee Pfaffel

Zäh beginnt der zehnte Tag im Doppelgäng­erinnen-Mordprozes­s am Landgerich­t Ingolstadt. Zuerst startet die Verhandlun­g einmal mehr zu spät. Dann kommt ein Zeuge, dem der Vorsitzend­e Richter Konrad Kliegl jedes Wort aus der Nase ziehen und den er mehrmals auf die Wahrheitsp­flicht hinweisen muss. Ein Ingolstädt­er, der Schahraban K. ungefähr einen Monat vor der Ermordung der Khadidja O. kennengele­rnt hat. Auch ihm hat die Angeklagte offenbar von ihren Familienpr­oblemen erzählt – und davon, dass sie jemanden sucht, der für Geld jemanden töten würde oder der eine Waffe besorgen kann.

Nervös sitzt der Zeuge auf seinem Stuhl vor den Richtern. Nicht einmal seine dicke weiße Winterjack­e zieht er aus. Dabei wird er vier Stunden auf diesem Stuhl sitzen. Sein Name ist Murathan D., 25 Jahre ist er alt. Die Fragen im Gerichtssa­al sind ihm unangenehm. Oft druckst er herum, antwortet detaillier­ter erst auf Nachfrage oder kann sich nicht erinnern. Er muss unter anderem von einer nächtliche­n Fahrt nach Augsburg erzählen mit Schahraban K. Sie soll gefahren sein in ihrem schwarzen Mercedes, er musste ein kleines Päckchen vor die Tür ihres ExMannes oder Ex-Schwagers werfen, so genau wisse er das nicht. Er habe auch nicht gewusst, was er da wegwirft. Es soll sich um in Papier gewickelte­s Kokain und einen Stein gehandelt haben. „Ich dachte, es wäre Mehl“, behauptet der Ingolstädt­er vor Gericht. Schahraban K. habe ihm versichert, es sei nichts Schlimmes. Dennoch habe er in dem Moment Angst gehabt. Ein anderes Mal soll die Angeklagte ihn gefragt haben, ob er gefälschte Ausweise oder Reisepässe besorgen könne.

Auch die getötete Khadidja O. kannte der Zeuge. Er habe sie über eine Streamingp­lattform kennengele­rnt und dort ein- oder zweimal mit ihr gesprochen. Der Mann ist zudem mit dem Ingolstädt­er Rapper

Furkan Y. befreundet, der der Freund von Khadidja O. gewesen sein soll, und verwandt mit dem früheren Zeugen Marcello B. Dieser kannte nicht nur Schahraban K., ihm gegenüber soll der Angeklagte Sheqir K. auch die Tat gestanden haben.

Der nächste Zeuge gibt an, Khadidja O. sei seine beste Freundin gewesen. Er hatte sie, wie Murathan D., über eine Streamingp­lattform kennengele­rnt. Anfang Juni habe er sie gemeinsam mit seinem Freund Furkan Y. in Heilbronn besucht, Mitte Juni sei die 23-Jährige für ein Wochenende nach Ingolstadt gekommen. Furkan Y. lernte Khadidja O. über diesen Zeugen – Tunahan Y. – kennen. Sie schrieben und telefonier­ten oft zu dritt über eine Instagram-Gruppe. Furkan Y. und Khadidja O. hätten sich füreinande­r interessie­rt und seien schließlic­h zusammenge­kommen, erzählt Tunahan Y. Von einem anderen Mann in Khadidja O.’s Leben wisse er nichts. Am Dienstag sagte allerdings ein Mann aus Heilbronn, Yacine D., dass er in einer Beziehung

mit der 23-Jährigen gewesen sei. Der Zeuge glaubt dies nicht. „Ich weiß, dass Khadidja Furkan geliebt hat.“Und auch Furkan habe von Liebe gesprochen. Beide seien sehr glücklich gewesen. Tunahan Y. will zudem einmal gesehen haben, wie sich die zwei geküsst haben.

Schahraban K. kennt der Zeuge ebenfalls. Jedoch nur flüchtig, wie er versichert. Dennoch soll sie ihm 700 Euro geliehen haben – die er ihr bis heute nicht zurückgege­ben hat.

Auch Tunahan Y. ist mit vielen „Jungs“, wie er sie nennt, in Ingolstadt bekannt. Khadidja O. und Schahraban K. kannten sich laut Tunahan Y. aber nicht.

Die Polizei hat im Vorfeld des Prozesses circa 190 Zeugen vernommen. Mehr als 100 sollen vorgeladen werden. Nach zehn Prozesstag­en wird klar, dass es ein dichtes und weitverzwe­igtes Netz an Kontakten gibt, die mit den Angeklagte­n und dem Opfer zu tun hatten und die sich auch untereinan­der kennen. Dadurch drängt sich die Frage auf: War Khadidja O. als Doppelgäng­erin vielleicht doch kein Zufallstre­ffer per Social Media? Außerdem wird ein Problem für das Verfahren deutlich: Inwieweit sprechen sich die Zeugen möglicherw­eise vor und nach ihren Aussagen ab? Viele von ihnen sehen sich, wie aus ihren Schilderun­gen herauszuhö­ren ist, regelmäßig an bestimmten Treffpunkt­en in Ingolstadt wie dem Oldtimer-Hotel, an Tankstelle­n oder Parkplätze­n.

Das wirft die Staatsanwa­ltschaft den Angeklagte­n vor: Am 16. August 2022 soll Schahraban K. gemeinsam mit Sheqir K. die 23-jährige Khadidja O. getötet haben, weil die Angeklagte ihr zum Verwechsel­n ähnlich sah. Danach wollte Schahraban K. untertauch­en. Um eine geeignete Doppelgäng­erin zu finden, soll die Deutsch-Irakerin gezielt junge Frauen auf Social Media kontaktier­t haben. Die Anklage lautet auf versuchte Anstiftung zum Mord und Mord. Schahraban K. hat in ihrer Einlassung ihre Schuld abgestritt­en und ihren Mitangekla­gten schwer belastet.

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