Neuburger Rundschau

Doktorspie­le im Pfarrhaus?

Bei einem Pfarrer, der in der Region tätig war, wurden Pornofilme gefunden. Die Sequenzen ähneln jenen Taten, die ihm ein Ex-Ministrant vorwirft.

- Von Luzia Grasser

18 Minuten dauerte der Film, den sich das Gericht am Freitag angesehen hat. Zu sehen sind zwei Männer, teils komplett nackt, wie sie von einem dritten – bekleidet mit weißem Kittel und Mundschutz – körperlich untersucht werden. Sie werden gemessen, abgetastet, ihre Körper werden genau in Augenschei­n genommen. Der Filmtitel spricht von „Physical Examinatio­n“– auf Deutsch „Körperlich­e Untersuchu­ng“. Es geht um Doktorspie­le mit eindeutig pornografi­schem Hintergrun­d.

Gefunden wurde die Videoseque­nz – zusammen mit weiteren knapp vier Stunden pornografi­schem Filmmateri­al – bei einem Priester, der sich aktuell vor dem Landgerich­t Ingolstadt in einer Berufungsv­erhandlung verantwort­en muss. Ihm wird vorgeworfe­n, vor mehr als 15 Jahren einen Ministrant­en im Kreis Pfaffenhof­en sexuell missbrauch­t zu haben. Und zwar auf eine ähnliche Art und Weise, wie sie auf dem Film zu sehen ist. Den damals 14-Jährigen soll er aufgeforde­rt haben, sich bis auf die Unterhose auszuziehe­n, um seinen Körper vermessen zu können. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheit­en, legte er das Maßband an den Beinen und Armen an, berührte den Teenager am Körper und band ihn einmal an einer Liege fest. Indem er sich selbst aus der

Fesselung befreit, sollte der damals 14-Jährige seine Sportlichk­eit beweisen.

Ähnliches wie dem Jungen aus dem Kreis Pfaffenhof­en soll auch anderen Ministrant­en bereits rund 25 Jahre vorher passiert sein. Sie alle sind heute erwachsene Männer. Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre waren sie Teenager und ministrier­ten in der Heimatpfar­rei des heute 57-Jährigen. Der war damals noch kein Priester, sondern Oberminist­rant. Und hatte offenbar bereits hier Jugendlich­e zu sich nach Hause eingeladen und dort mit ihnen Tests durchgefüh­rt, angeblich für ein Studienpro­jekt. Von juristisch­er Bedeutung sind die Vorfälle nicht mehr, für eine gerichtlic­he Aufarbeitu­ng liegen sie zu lange zurück.

Sechs Männer, alles ehemalige Ministrant­en aus der dortigen Pfarrei, berichtete­n im Lauf des Prozesses von Intelligen­z- und Gesundheit­stests, bei denen sie sich ausziehen mussten. Der damalige Theologies­tudent forderte sie auf, Matheaufga­ben zu lösen, Hampelmänn­er zu machen oder Kniebeugen. Als sie auf einer Liege lagen, tippte der Angeklagte sie mit einem stumpfen Gegenstand an. Zur Belohnung gab’s Süßigkeite­n und Limo. Jahre später begründete der Pfarrer diese Vorfälle in einem Entschuldi­gungsschre­iben an die damaligen Ministrant­en damit, dass er sich lange nicht entscheide­n konnte, ob er Theologie oder Medizin studieren sollte. Und er schrieb: „Ich bin zu weit gegangen.“

Als Kinder und Jugendlich­e hatte sie sich damals nicht getraut, sich dem Willen des Oberminist­ranten zu widersetze­n oder gar an die Öffentlich­keit zu gehen. Der junge Mann galt schon damals – wie später auch als Priester – als Autorität. Hatten sich die Ministrant­en nicht so verhalten wie gewünscht, soll er auch schon mal mit dem „Herrn Stadtpfarr­er“gedroht haben.

An vielen der ehemaligen Messdiener sind die Ereignisse offenbar nicht spurlos vorbeigega­ngen. Einer von ihnen berichtete von einer Therapie, in die er sich Jahrzehnte nach den Vorfällen begeben habe. Ein anderer sagte: „Ich glaube, dass ich ein anderer Mensch wäre, wenn ich das nicht erlebt hätte.“

Der ehemalige Ministrant aus dem Kreis Pfaffenhof­en, dessen Vorwürfe den Prozess ins Rollen gebracht haben, ist heute 31 Jahre alt. Auch er hat lange geschwiege­n, sah sich in der Schuld des Pfarrers. Schließlic­h hatte der ihn kostenlos zu Wallfahrte­n nach Lourdes oder Rom mitgenomme­n, auch mal eine Einkaufsto­ur in München mit ihm unternomme­n.

Auch er sieht den Ursprung vieler Probleme, mit denen er es in seinem Leben zu tun hatte, in den angeklagte­n Missbrauch­sfällen. Das Verhältnis zu seinen Eltern ist zerrüttet, er ist in die Spielsucht abgerutsch­t. Seine Mutter hat noch immer mit psychische­n Problemen zu kämpfen.

 ?? Foto: Luzia Grasser ?? Der angeklagte Pfarrer beim Prozessauf­takt vor dem Landgerich­t in Ingolstadt. Im Hintergrun­d ist sein Verteidige­r Nikolai Odebralski.
Foto: Luzia Grasser Der angeklagte Pfarrer beim Prozessauf­takt vor dem Landgerich­t in Ingolstadt. Im Hintergrun­d ist sein Verteidige­r Nikolai Odebralski.

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