Neuburger Rundschau

Ein Tiguan will nach oben

VW lässt die dritte Generation des kompakten SUVs an der Oberklasse schnuppern.

- Von Rudolf Bögel

7,6 Millionen verkaufter Fahrzeuge, dritte Generation – und letzte Generation Verbrenner. Volkswagen hat seinen Besteller Tiguan zum donnernden Abschied noch mal ganz neu entwickelt. Von den Dimensione­n her bleibt sich das kompakte SUV treu. Aber endlich sieht der Tiguan auch so aus, wie der Name klingt. Geradezu progressiv für Wolfsburge­r Verhältnis­se. Die größten Änderungen finden sich im Cockpit und bei den Motoren. Und bei der technische­n Ausstattun­g. Da durften die Ingenieure ein Regal höher greifen, dort wo sich der Touareg normalerwe­ise bedient. Jetzt gibt es im Tiguan auch die Zehn-KammerMass­age-Sitze mit Heizung und Kühlung, oder die HD-MatrixSche­inwerfer, die mit jeweils 19.200 Multipixel-LEDs die Nacht zum Tage machen.

Das Gestühl ist komfortabe­l, stellen wir beim schon beim ersten Ansitzen fest. Bequem, guter Seitenhalt. Vor uns liegt – wenn man es altmodisch formuliert – das Armaturenb­rett. Kein Brett war bekannterm­aßen die Bedienung bei neueren VW-Modellen (zum Beispiel Golf 8 und ID.3). Unbeleucht­ete, berührungs­unempfindl­iche Slider, kein Lautstärke­regler mehr und auch bei der Bedienung der Klimaanlag­e haperte es mangels Tasten. Das alles ist Vergangenh­eit, die vielen Kunden-Proteste haben im wahrsten Sinne für Erleuchtun­g gesorgt. Das Infotainme­nt wurde überarbeit­et. Im 13-Zoll großen Display (15 Zoll gegen Aufpreis) gibt es jetzt zwei Leisten, die man immer im Blickfeld hat. Oben kann man die Kacheln selbst belegen, unten stellt der Fahrer die Raum-Temperatur ein oder die Sitzheizun­g. Auch im Menü findet man sich gut zurecht, die Reaktionsz­eiten des Tabletts sind sehr gut.

Neu ist der Fahrerlebn­isschalter in der Mittelkons­ole. Mit dem beleuchtet­en Drehknopf regelt man die Lautstärke, stellt die Fahrmodi ein – und dann gibt es ja noch die „Atmosphere­s“: Vorkonfigu­rierte Einstellun­gen von Ambiente-Licht und Soundsyste­m sollen bei den Passagiere­n für unterschie­dliche Stimmungen sorgen. „Lounge“mit gedämpfter Musik für den Nachhausew­eg nach einem stressigen Tag im Büro etwa, oder „Energetic“, wer noch einen kleinen Kick braucht. Wirklich schräg war die „Atmosphere“mit viel Pink und Lila – der Kollege hat ihn Barbie-Mode getauft. Wie passend.

Bleiben wir beim Infotainme­nt: Erstmals hat der VW Tiguan nicht nur die Sprachassi­stentin Ida an Bord, sie funktionie­rt jetzt sogar mit Künstliche­r Intelligen­z von ChatGPT. Wir durften schon mal testen. „Ida – wer ist Thomas Schäfer.“Antwort: „Thomas Schäfer ist ein hessischer CDU-Politiker, der am 28. März 2020 verstorben ist.“Den obersten Volkswagen-Chef und CEO Thomas Schäfer hat die KI verschwieg­en. Kein Wunder, das Wissen von ChatGPT geht bislang ja auch nur bis Januar 2022 zurück. Ansonsten funktionie­rt die Sprach-KI ganz ordentlich, für lange Fahrten könnte sie ganz unterhalts­am sein.

Aus dem überarbeit­eten Motoren-Programm haben wir uns zwei Modelle herausgepi­ckt. Zum einen den Mild-Hybrid 1,5 eTSI mit 150 PS und im Vergleich dazu den 2,0

Liter Turbodiese­l mit 193 PS. Old school gegen new school quasi. Beim Hybriden spulen die VW-Ingenieure einen 1,5 Liter großen Benziner mit einem elektrisch­en Startergen­erator zusammen. Er steuert noch mal 14 kW Leistung und 56 Nm Drehmoment bei. Das Zusammensp­iel der beiden sollte eigentlich reibungslo­s funktionie­ren. Wir haben das streckenwe­ise vermisst. Beim Tritt auf das Gaspedal zum Beispiel genehmigt sich der Motor erst einmal eine Zwangspaus­e, dann erst stürmt er lautstark los. Hier könnte die E-Maschine eigentlich für einen sanften, aber zugkräftig­en Übergang sorgen. Auch in einer anderen Situation erweist sich der Antrieb

als unharmonis­ch. Wenn man vom Gas geht, bleibt der Motor noch länger im hohen Drehzahlbe­reich, bis er sich wieder beruhigt. Und der schnellste ist er auch nicht: 10,6 Sekunden von 0 auf 100.

Ganz anders der 2,0-Liter-Allrad-Diesel 2,0 TD SCR 4Motion. Der hat eine echte Wuchtbrumm­e unter der Haube, die mit ihren knapp 200 PS und 400 Nm ganz schön anschiebt. Dieselfahr­en macht halt immer noch ziemlich Spaß, und das Brummen des Selbstzünd­ers ist uns allemal lieber als der hektische und auf Effizienz getrimmte Benziner. Enttäuscht hat uns der eTSI beim Verbrauch: 7,1 Liter ist nicht gerade wenig.

Beim Fahrwerk macht der neue Tiguan einen großen Sprung. Er bekommt das neue adaptive DCC Pro. Herzstück sind Dämpfer, die mit zwei Ventilen ausgestatt­et sind. So können Zug und Druckstufe separat angesteuer­t werden, das System reagiert dadurch schneller und feiner. Das merkt man beim Fahren tatsächlic­h. Für unseren Geschmack allerdings ist die Federung zu hart, man spürt

Querrillen und Unebenheit­en zu deutlich. Auch kann das DCC Pro nicht ganz verleugnen, dass es sich beim Tiguan um einen hochbeinig­en SUV handelt. Das gleiche System werkelt auch im neuen Passat. Mehr Ruhe und eine bessere Abstimmung hätten wir uns auch beim Travel Assist erwartet. Beim Losfahren im Stop-and-goVerkehr gibt der Assistent zu viel Gas, um dann unsanft und abrupt abzubremse­n, wenn der Vordermann stehen bleibt. Lobenswert ist der Spurhaltea­ssistent: Er bleibt dezent im Hintergrun­d und greift bei Bedarf nur ganz fein ein. So muss das sein.

Ein Blick auf die Preise: Bei 36.600 Euro geht es los. Anfang 2020 waren es noch knapp 31.000 Euro. Die Grundausst­attung der dritten Generation dürfte aber weitaus besser sein. Mit dabei ist beim 1,5 eTSI mit 130 PS zum Beispiel das voll digitale Cockpit und das 12,9 Zoll (32 cm) große Infotainme­nt-Display sowie die Rückfahrka­mera. Wer 3.000 Euro mehr investiert, bleibt immer noch unter der 40.000-Euro-Grenze und bekommt mit der Ausstattun­gslinie „Life“jedoch schon den Parkassist­enten „Plus“, die automatisc­he Distanzreg­elung ACC, den Fernlichta­ssistenten sowie die drahtlose Verbindung­smöglichke­it für das Smartphone. Unsere Meinung: Mehr Tiguan braucht es nicht.

 ?? Fotos: VW ?? Einer fängt an, die anderen folgen. Das durchgehen­de Leuchtenba­nd im Heck hat jetzt auch der VW Tiguan. So wie Audi oder Porsche und neuerdings auch Skoda.
Fotos: VW Einer fängt an, die anderen folgen. Das durchgehen­de Leuchtenba­nd im Heck hat jetzt auch der VW Tiguan. So wie Audi oder Porsche und neuerdings auch Skoda.
 ?? ?? Das Cockpit des Tiguan wurde noch einmal stark überarbeit­et. Es gibt nun auch beleuchtet­e Slider und auch die Bedienung des Infotainme­nt-Systems ist einfacher geworden.
Das Cockpit des Tiguan wurde noch einmal stark überarbeit­et. Es gibt nun auch beleuchtet­e Slider und auch die Bedienung des Infotainme­nt-Systems ist einfacher geworden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany