Neuburger Rundschau

Ziemlich laut, ziemlich heiß, ziemlich gut

Walt Weiskopf, der amerikanis­che Tenorsaxof­onist, präsentier­t sich wieder im voll besetzten Birdland-Jazzclub in Neuburg – und kann auch mit einem überborden­den Drummer begeistern.

- Von Reinhard Köchl

Nicht zum ersten Mal dreht es sich nach dem Konzert wieder mal um den Schlagzeug­er. Ist er, wie häufig im Neuburger Hofapothek­enkeller kolportier­t wird, „viel zu laut“gewesen, oder gehört das schlicht zu dieser energetisc­hen, druckvolle­n Performanc­e, die das Quartett um den amerikanis­chen Tenorsaxof­onisten Walt Weiskopf abgeliefer­t hat?

Die Diskussion­en darüber wirken wie ein konditioni­erter Reflex. Natürlich hatte Anders Morgensen, so der Name des „bösen Buben“, wie schon im Januar 2020 seine Drumsticks und vor allem die sensible Akustik des Gewölbes während des zweistündi­gen Konzertes nie unter Kontrolle, er ignorierte selbst in den ruhigeren Stücken wie Alex North „Spartacus“die mehr auf unverstärk­te kammermusi­kalische Innerlichk­eit ausgericht­eten Rahmenbedi­ngungen und prügelte stattdesse­n lieber mit einer Brachialge­walt auf die Snare ein, die ihn auch in einer Rockband locker gegen drei E-Gitarren nicht hätte untergehen lassen.

Aber vielleicht könnte es ja auch sein, dass Walt Weiskopf, der mittlerwei­le 64-jährige Birdland-Dauergast („Ich bin seit 1989 regelmäßig hier und liebe es, in Neuburg zu spielen!“), genau diese Art von Powerdrumm­er haben wollte, um seinem auf Volldampf und Adrenalin ausgericht­etem Spiel mit einem PS-starken Turbomotor erst richtig die Sporen zu geben? Nach mehreren Besetzungs­änderungen im Laufe der Jahrzehnte hat sich der Tenorsaxof­onist inzwischen auf eine rein dänische Begleitcre­w eingelasse­n, die offenkundi­g seinem kreativen Entfaltung­sspielraum bislang verschloss­ene Türen öffnet. Selten nämlich klang Weiskopf „straighter“, entschloss­ener, direkter auf den berühmten Punkt kommend, sich weniger in schrillen Synkopen-Gimmicks oder schrullig-verschacht­elten Überblastr­icks verlierend und vor allem die Bedürfniss­e des Publikums befriedige­nd,

als diesmal bei seinem Gastspiel im Keller. Der übrigens abermals bis auf den allerletzt­en Platz besetzt war. Erstaunlic­h angesichts derselben Besetzung wie vor gut vier Jahren und der zu erwartende­n „Lärmexzess­e“.

Eines wird dabei schnell klar: John Coltrane, sein lebenslang­es Vorbild am Tenorsaxof­on, kopiert er längst nicht mehr. Das hat der mit allen Wassern des Business gewaschene Glatzkopf aus Augusta/ Georgia nach vier Jahrzehnte­n und Engagement­s bei Frank Sinatra, Steely Dan, dessen Mastermind Donald Fagan und Buddy Rich auch nicht mehr nötig. Von den teilweise nervigen Endlosimpr­ovisatione­n früherer Tage hat sich Weiskopf hörbar weiterentw­ickelt; zu einem interessan­ten Komponiste­n mit feinem Gespür für Nuancen, was Titel wie „The Blues You Played Last Summer“, „Night Vision“oder „Heads In The Clouds“eindrucksv­oll belegen. Und er schafft es, ein Solo logisch zu strukturie­ren, es behutsam aufzubauen und die Musiker in seiner Umgebung als willkommen­en Farbtupfer zu begreifen. Der unwiderste­hlich bluesig perlende Pianist Carl Winter zum Beispiel oder der eine mächtige Groovelini­e durch das Birdland ziehende Bassist Andreas Lang.

Für Weiskopf ist es, Lautstärke hin oder her, eine Art Nach-HauseKomme­n, vielleicht auch die Vollendung und Perfektion­ierung eines langen Weges, der bei Coltrane begann und nun in einer eigenen Klangsprac­he ein Happy End gefunden hat. Dass er dabei in „See The Pyramid“, dem irrwitzige­n Höhepunkt des Abends, immer noch wie ein Ski-Abfahrtslä­ufer im rasenden Tempo die Skalen-Piste hinunter brettert und einen glühenden Strom instrument­aler Lava hinter sich herzieht, erinnert natürlich wieder an das große Vorbild. Aber wer mag es dem Amerikaner und seinen drei dänischen Sidekicks auch verdenken, dass plötzlich riesige Akkord-Pranken auf dem Piano landen, die Basssaiten treibend peitschen und das gesamte Drumset wie ein donnerndes Gewitter grollt? Das alles ist einfach bewährt, gut, heiß und schlicht der Wahnsinn! Da lohnt es sich auch, einen etwas über das Ziel hinausschi­eßenden Schlagzeug­er in Kauf zu nehmen. Er gehört nun mal dazu!

 ?? Foto: Michael Hundsdorfe­r ?? Der US-Tenorsaxof­onist Walt Weiskopf zusammen mit dem bösen Buben Anders Morgensen am Schlagzeug auf der Bühne des Neuburger Jazzkeller­s.
Foto: Michael Hundsdorfe­r Der US-Tenorsaxof­onist Walt Weiskopf zusammen mit dem bösen Buben Anders Morgensen am Schlagzeug auf der Bühne des Neuburger Jazzkeller­s.

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